Frage an Cem Özdemir bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Cem Özdemir
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Gülcin H. •

Frage an Cem Özdemir von Gülcin H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Guten Tag Herr Özdemir,

Ich hätte eine wichtige Frage bezüglich den jetzigen Doppelpass-Diskussionen.
Und zwar bin ich ein wenig verwirrt, denn alle Artikel die ich über das Thema gelesen habe erwähnten nur Kinder die nach 2000 geboren wurden (denn diese haben die Optionspflicht)
Wie sieht es aus mit Jugendlichen die VOR dem Jahr 2000 geboren sind? Gelten die selben genannten Bedingungen in den Artikeln oder ist es für diese UNMÖGLICH eine doppelte Staatsangehörigkeit zu besitzen?

Ich bin 1994 in Deutschland (Waiblingen) geboren. Ich habe die türkische Staatsbürgerschaft und habe mein ganzes Leben lang in Deutschland gelebt, und habe auch vor hier zu bleiben. Ich ging hier zur Schule und beginne demnächst eine Ausbildung und danach habe ich vor zu studieren.
Aber ich bin seit Jahren unschlüssig was ich mit meiner Staatsangehörigkeit. Ich mag meine türkische Staatsangehörigkeit, weil sie ein Teil von mir ist, gleichzeitig ist ´deutsch´ auch ein Teil von mir. Außerdem ist es SEHR frustrierend nicht Wählen gehen zu können oder sonst eine Art legales Stimmrecht zu haben, da ich kein EU-Bürger bin, obwohl im Gedankengut und meiner Lebensweise ich es bin. Genauso wie ich Deutsch-Türkisch bin.

Ich würde mich auf eine baldige Antwort freuen und wünsche Ihnen noch einen angenehmen Tag

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Hasirci,

die aktuell diskutierte Abschaffung der Optionspflicht bezieht sich nur auf diejenigen, die auch der Optionspflicht unterliegen. Es wird von der Großen Koalition zur Staatsangehörigkeit bzw. Mehrstaatigkeit nichts kommen, was darüber hinausgeht. Jedenfalls ist das schwer vorstellbar. Der SPD-Vorsitzende hatte nach den Bundestagswahlen erklärt: „Ich werde der SPD keinen Koalitionsvertrag vorlegen, in dem die doppelte Staatsbürgerschaft nicht drin ist“. Es kam ganz anders, denn bekanntermaßen hat er den Koalitionsvertrag sehr wohl unterschrieben, obwohl die doppelte Staatsbürgerschaft darin nicht enthalten ist.

Aktuell haben wir de facto ein Einbürgerungsrecht erster und zweiter Klasse. Manchen wird bei der Einbürgerung erlaubt, ihren früheren Pass zu behalten, anderen wird das in der Regel untersagt (letzteres betrifft auch türkische Staatsangehörige). Entsprechend erfolgt auch etwa jede zweite Einbürgerung in Deutschland mit Beibehaltung des früheren Passes. Das gilt allerdings in der Regel nur für Angehörige bestimmter Herkunftsländer, die Türkei ist nicht darunter. Allerdings können auch türkische Antragsteller beantragen, den türkischen Pass zu behalten. Die Zustimmungsquote liegt aktuell bei rund 20 Prozent. Hier gibt es weitere Informationen: http://mediendienst-integration.de/integration/staatsbuergerschaft.html

Wir GRÜNE fordern schon lange, dass unser Staat viel entspannter mit Mehrstaatigkeit umgehen sollte. Der ehemalige niedersächsische Ministerpräsident und aktuelle Spitzenkandidat der CDU zur Europawahl, David McAllister, beispielsweise hat zwei Staatsangehörigkeiten (neben der deutschen auch die britische). Es wird ihm niemand unterstellen, dass er deshalb weniger loyal gegenüber der BRD ist. Ich wiederum besitze ausschließlich den deutschen Pass, da ich meinen türkischen Pass als Jugendlicher bewusst aufgegeben habe.

Es ist eine sehr persönliche Entscheidung, eine Einbürgerung zu beantragen und einen Pass gegebenenfalls aufzugeben. Ich kann Ihre geschilderten Beweggründe nachvollziehen. Sollten Sie Ihre persönliche Zukunft in Deutschland sehen (das Sie - so verstehe ich Ihre Nachricht - auch als Ihr Heimatland betrachten), dann würde ich mich freuen, wenn Sie als deutsche Staatsbürgerin mit ihrer Stimme bei Wahlen die Geschicke Ihres Landes mitbestimmen.

Mit freundlichen Grüßen
Cem Özdemir

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