Frage an Daniel Gerber bezüglich Migration und Aufenthaltsrecht

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Daniel Gerber
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Frage von Georg S. •

Frage an Daniel Gerber von Georg S. bezüglich Migration und Aufenthaltsrecht

Wie stehen sie zur Moria-Krise? Die Lage spitzt sich mehr und mehr zu, und wir haben Platz, wir haben die Kommunen die sich bereitstellen, Menschen aufzunehmen, also wieso verweigern wir den Menschen in Moria und anderen Lagern das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit? Das sind Grundrechte.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Seide,

vielen Dank für Ihre Frage und ihr Engagement für geflüchtete Menschen. Unser Büro erreichen aktuell viele Anfragen zur Lage der Geflüchteten im Lager Moria und zum Umgang der sächsischen Regierung  mit dieser Situation.

Die Themen Asyl, Abschiebung und Integration waren bereits in den Koalitionsverhandlungen die Bereiche, in denen BÜNDNISGRÜNE und CDU am weitesten auseinanderlagen. Jede Formulierung, jede Zahl, jedes Komma in diesem Teil des Koalitionsvertrages ist ein hart verhandelter Kompromiss
zwischen nahezu unvereinbaren Positionen. Dass sich diese Positionen auch weiterhin durch die Koalition ziehen, war uns klar, als wir in diese Koalition gegangen sind – aus Vernunft und Verantwortung für dieses Land, nicht aus Begeisterung.

Aktuell werden die Positionen wieder besonders deutlich: Während die aktuellen Geschehnisse und das Leid der Geflüchteten für uns BÜNDNISGRÜNE die unabweisbare Pflicht bedeuten, zu helfen, führt das bei der CDU in großen Teilen zu Abwehrreflexen. Und nicht nur das:
Reflexartig werden wir konfrontiert mit einer Verknüpfung von humanitärer Hilfe und dem Wunsch der CDU nach Verschärfung der Abschiebepraxis.

Auch wenn es auf den ersten Blick lächerlich erscheint, ist die Vereinbarung des Koalitionsvertrages, dass wir im Rahmen der Programme des Bundes mindestens 150 Menschen aus besonders gefährdeten Gruppen aufnehmen, ein hart verhandelter Punkt. Allerdings sind wir bei dieser
Vereinbarung des Koalitionsvertrages nicht stehengeblieben. Wir BÜNDNISGRÜNEN haben seit Frühjahr 2020 in der Koalition für eine weitere Aufnahme minderjähriger Geflüchteter von den griechischen Inseln gekämpft und erreicht, dass zusätzlich 70 minderjährige Geflüchtete
aufgenommen werden.

Nach den schrecklichen Ereignissen von Moria letzte Woche haben wir erneut das Gespräch mit unseren Koalitionspartnern gesucht, um gemeinsam zu überlegen, was wir in Sachsen tun können.

Wir wissen, dass es momentan nicht ohne den Bund geht, darum waren für
uns zentrale Punkte:

-        den Druck auf den Bund aufrechtzuerhalten und weiter zu erhöhen

-        Eine sogenannte „Freie Hand“ bei Sachsens Abstimmungsverhalten
zu § 23 im Bundesrat zu verhandeln, da es Länder und Kommunen gibt, die Aufnahmebereitschaft Geflüchteter signalisiert haben, diese jedoch nicht umsetzen können, da der Bund mauert

Die „Freie Hand“ konnten unsere Regierungsmitglieder im Kabinett leider nicht verhandeln. Darum konnte sich Sachsen bei der Abstimmung im Bundesrat nur enthalten. In vielen anderen Bundesländern, in denen Grüne an der Regierung beteiligt sind, war das genauso.

Darüber hinaus haben wir BÜNDNISGRÜNE durchgesetzt, dass es ein proaktives und humanes Bekenntnis Sachsens zur Aufnahmebereitschaft gibt.

Die LINKE hatte im Sozialausschuss ihren Antrag aus dem April dieses Jahres zur Aufnahme von Geflüchteten aus Griechenland durch ein Landesaufnahmeprogramm zur Abstimmung gestellt. Wir teilen die Forderung, Geflüchtete aus Griechenland in Sachsen aufzunehmen. Die Entscheidung, dennoch gegen den Antrag zustimmen, hat unterschiedliche Gründe, über die in den letzten Tagen viel diskutiert wurde.

Zum einen scheitert ein Landesaufnahmeprogramm derzeit am Bund und ist ohne dessen Zustimmung nicht umsetzbar.  Aktuell verweigert der Bund seine Zustimmung und blockiert Initiativen wie in Thüringen und Berlin. Indem wir als Freistaat deutlich machen, dass wir gemeinsam mit dem Bund Geflüchtete aus Griechenland aufnehmen können, erhöhen wir den Druck auf
den Bund, seine Blockade aufzugeben und somit Kommunen und Ländern die Aufnahme nach ihren Kapazitäten zu ermöglichen.

Zum anderen gab es bis zur Abstimmung keine Einigung innerhalb der Koalition über ein mögliches Landesaufnahmeprogramm. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, als Koalition stets gemeinsam abzustimmen. Es ist verständlich, dass dieser formale Mechanismus in Anbetracht der
Bedeutung des Themas an dieser Stelle in Frage gestellt wird. Allerdings hätte ein unterschiedliches Stimmverhalten in der Koalition dem Linken-Antrag nicht zur Mehrheit verholfen, gleichwohl aber der CDU die Möglichkeit eröffnet, ein von den Koalitionspartnern abweichendes
Verhalten bei Abstimmungen auch für sich zu reklamieren. Dies könnte schlimmstenfalls dazu führen, dass AfD-Anträge plötzlich eine Mehrheit erhalten – selbst wenn sich die CDU nur enthält. So schmerzhaft dies ist: Der Mechanismus sichert, dass Verfassungsfeinde keine Mehrheit im
Landtag erhalten.

Für uns BÜNDNISGRÜNE gilt, dass wir – auch jenseits der Symbolik von Abstimmungen – für eine menschenwürdige Asylpolitik in dieser Koalition kämpfen.

Wir haben bereits vor Wochen mit der Vereinbarung, 70 Kinder in Sachsen aufzunehmen, einen ersten kleinen, aber wichtigen Schritt erreicht. Daran müssen wir anknüpfen. Wir wissen, dass Sachsen mehr Kapazitäten und Platz hat.

Inzwischen hat der Bund, auch aufgrund der Bereitschaft in den Ländern, erklärt 1.553 Eltern und Kinder aufzunehmen. Die Einigung steht in keiner Relation zu dem Elend auf den griechischen Inseln, dennoch sind wir froh um jeden Platz, der Geflüchteten ein menschenwürdiges Ankommen ermöglicht. Der sächsische Ministerpräsident äußerte sich zuletzt dazu, Sachsen wolle 75 Menschen davon aufnehmen. An unserer Vereinbarung, zusätzlich 70 Menschen aufzunehmen, halten wir fest und werden uns weiterhin dafür einsetzen, dass Sachsen und der Bund noch weitere Geflüchtete aus Griechenland aufnehmen wird.

Für uns ist das natürlich eine schwierige Situation. Das Thema Asyl ist unserer Einschätzung nach einer der stärksten Konfliktherde dieser Koalition. Wir bitten darum, dass bei aller Empörung und Enttäuschung auch in die Waagschale gelegt wird, dass wir uns alle seit Jahren für
das gemeinsame Ziel engagieren – und das auch in Zukunft tun werden.

Wir müssen und werden den Druck weiter aufrechterhalten. Dabei hilft uns ihr Engagement – sei es auf der Straße oder in den Kommunen, welche ebenso ihre Aufnahmebereitschaft erklären können.

Unser Team sammelt und veröffentliche Informationen und neue
Entwicklungen zu dieser Thematik unter:

https://danielgerber.eu/moria/

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Dr. Daniel Gerber

 

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