Frage an Ernst Dieter Rossmann bezüglich Soziale Sicherung

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Ernst Dieter Rossmann
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Frage von Marcel F. •

Frage an Ernst Dieter Rossmann von Marcel F. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Dr. Rossmann,

in Ihrer Antwort vom 20.6. wundern Sie sich, dass die Diskussion sich auf "abseitige Punkte" fokussiert. Ich teil
diese Einschätzung zwar nicht, stimme Ihnen aber zu dass das europäische Sozialmodell mitverantwortlich ist für die Ablehnung
des EU-Vertrags. Deshalb interessiert mich Ihre Meinung zu dem alternativen Sozialsystem des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE).

Wie Sie vielleicht wissen sieht dieses Konzept vor, JEDEM Menschen ohne Bedarfsprüfung und Erwartung einer Gegenleistung eine Summe (je nach Modell) zwischen 600-1.300€ monatlich zur Verfügung zu stellen. Als Gegenmodell zur "Zwangsarbeit für Hartz-IV-Empfänger", die der Wirtschaftsminister Glos vorschlägt, setzt das BGE auf das Recht eines jeden Menschen, "NEIN" zu unzumutbaren Arbeitsbedingungen zu sagen.
Keinesfalls soll durch ein BGE die Bereitschaft zur Erwerbsarbeit verringert oder diese gar abgeschafft werden. Wer mehr Geld benötigt, soll auch weiterhin arbeiten können und so sein Einkommen erhöhen. Es geht also nicht um "Gleichmacherei" oder Kommunismus, sondern um ein Recht auf ausreichendes Einkommen, dass sich aus dem Recht auf ein würdevolles Leben ableitet.

Ohne hier in eine detaillierte Debatte über Vor- und Nachteile zu verfallen möchte ich von Ihnen wissen:

- Wie steht die SPD in S.-H. im Allgemeinen und Sie im speziellen zu der Idee des BGEs?
- Wie schätzen sie die Möglichkeit ein, mit diesem Konzept ein sozialeres und wirtschaftlich stabileres (durch Stärkung des Binnenmarktes) Europa auf den Weg zu bringen?
- Welche Alternativen bieten sich Ihrer Meinung nach zum status quo und zum BGE? Der Vorschlag von Herrn Glos "fragwürdiges Existenzminimum nur gegen Arbeit"?

Für weitere Informationen besuchen Sie bitte die folgenden Internetseiten:

http://www.buergerinitiative-grundeinkommen.de
http://www.grundeinkommen-hamburg.de
http://www.unternimm-die-zukunft.de

mir freundlichen Grüßen

M. Fehlau

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SPD

Sehr geehrter Herr Fehlau,

vielen Dank für Ihre Frage zum Bedingungslosen Grundeinkommen. Das Thema Bedingungsloses Grundeinkommen wird zurzeit von den unterschiedlichsten Seiten heftig diskutiert.

Der Ausgangspunkt und Auslöser für die erneute Diskussion über die Ausgestaltung sozialer Absicherung sind einige kapitalistische Krisenerscheinungen: Wir erleben einen Wandel der Produktionsstrukturen und eine Veränderung der Arbeitsverhältnisse. Das klassische Industriearbeitsverhältnis ist angesichts der Expansion der Dienstleistungsökonomie nicht mehr dominant. Wir erleben hohe Arbeitslosigkeit und davon ausgehend eine Diskussion über die Finanzierbarkeit der Sozialsysteme. Das Grundeinkommen wird von vielen als Antwort auf diese Entwicklungen gesehen.

Dabei wird die Debatte von einer Vielzahl unterschiedlicher Modelle geprägt. Diese Modelle unterscheiden sich zwar in zahlreichen Details, sie haben aber zwei grundlegende Gemeinsamkeiten:

A) Zum Einen, dass jeder Bürger unabhängig vom individuellen Bedarf oder weiteren Bedingungen den gleichen Betrag zur Verfügung gestellt bekommt. Das heißt, es soll ein existenzsicherndes Einkommen geben, welches ohne Bedingungen an alle ausgezahlt wird und in dem alle sozialstaatlichen Leistungen zusammen gefasst sind. Eine weitere sozialstaatliche Absicherung soll dann nicht mehr stattfinden; als einzige Ausnahme ist oft nur noch eine zusätzliche Krankenversicherung vorgesehen. In manchen Konzepten ist sogar vorgesehen, selbst die Krankenversicherung vollständig individuell und privat zu regeln. Ein Umverteilungsanspruch innerhalb der Sozialsysteme wird durch das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens aufgegeben.

B) Die zweite Gemeinsamkeit aller Grundeinkommenskonzeptionen ist die Aufgabe von Vollbeschäftigung als zentrales politisches Ziel. Dem liegt die Annahme zu Grunde, dass die Nachfrage nach menschlicher Arbeitskraft dank des wissenschaftlichen Fortschritts und technischer Neuerungen zurückgeht -- oder zugespitzt: Der kapitalistischen Gesellschaft geht die Erwerbsarbeit aus.

Der Blick über die aktuell diskutierten Modelle für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens zeigt jedoch, dass ein solches Grundeinkommen für alle nicht zwangsläufig zu besseren sozialstaatlichen Leistungen führen muss. Gerade die Vorschläge von konservativer Seite aus hätten für schon heute auf staatliche Leistungen angewiesene Personen massive Leistungskürzungen zur Folge. Und selbst wenn das Grundeinkommen mit etwa 1.000 Euro im Monat relativ großzügig bemessen wäre, wären so noch längst nicht alle Probleme gelöst. Damit ließe sich zwar der Lebensunterhalt über dem Niveau des heutigen ALG II bestreiten, nicht jedoch die darüber hinausgehenden Kosten beispielsweise von Unfällen oder Krankheiten.

Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens wirft aber unabhängig vom konkreten Modell und der Höhe des Grundeinkommens grundsätzliche Fragen auf. In jedem Fall wäre ein radikaler Systemwechsel bei den sozialen Sicherungssystemen die Folge.

Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen geht es nicht um die Integration von Ausgegrenzten in die Gesellschaft; stattdessen wird ihnen die Verantwortung für ihre gesellschaftliche Integration selbst zugeschoben. Nach diesen Modellen sollen sämtliche Sozialleistungen aus dem Grundeinkommen privat und individuell organisiert werden. Man setzt auf Individualisierung, anstatt kollektiv Ansatzpunkte für eine andere Gestaltung der Gesellschaft voranzubringen. Die schon weite Kluft zwischen Arm und Reich würde mit dem Grundeinkommen deshalb weiter öffnen. Wenn jeder das Gleiche bekommt, dann werden nicht mehr diejenigen gezielt gefördert, die die schwächste Ausgangslage haben. Für die meisten derzeit schon aus dem Arbeitsprozess Ausgeschlossenen und damit von staatlichen Leistungen Abhängigen wird ein Grundeinkommen keine neuen Perspektiven schaffen. Weder Qualifizierung noch die Schaffung öffentlicher Angebote ist vorgesehen. Die meisten Arbeitslosen würde das Grundeinkommen zwar von der Arbeitssuche befreien, aber es würde ihnen auch keine Teilhabeperspektive über das Existenzminimum hinaus bieten. Der gesellschaftliche Druck, allen Menschen einen Arbeitsplatz bereitzustellen, wäre weg.

Im Gegenteil: durch die Zusammenführung der sozialstaatlichen Maßnahmen und den weitgehenden Verzicht auf Umverteilung werden ihre Perspektiven sogar beschränkt. Der Sozialstaat bietet trotz erfolgter Kürzungen eine Vielzahl von unterschiedlichen Leistungen. Und er sichert gegen vielfältige Risiken ab. Neben finanziellen Leistungen müssen und werden durch den Sozialstaat unter anderem auch medizinische Versorgung, Betreuungsangebote, Bildungs- und Qualifizierungsangebote solidarisch bereitgestellt werden. Die aktuelle politische Debatte über die Verbesserung der Kinderbetreuung verdeutlicht beispielsweise die Notwendigkeit eines Sozialstaates, der bei der Bereitstellung seiner Leistungen auf individuelle und gesellschaftliche Bedürfnisse eingeht.

Die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens würde langfristig mit hoher Wahrscheinlichkeit die Abkoppelung der Armen von der Wohlstandsentwicklung zur Folge haben. Damit würde ein Zustand legitimiert, bei dem nicht alle Teile der Gesellschaft vom Produktivfortschritt profitieren. Das BGE führt nicht zu einer ausgewogeneren Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Eine gezielte und gesteuerte Umverteilungspolitik wird aufgegeben. Diese Umverteilung erreichen wir eben nicht bloß durch ein progressives System der Einkommensbesteuerung, sondern auch durch Sozialsysteme, welche zielgenau auf Bedürftigkeiten eingehen können. Es bleibt eine Selbstverständlichkeit, dass diese Systeme dahingehend umgebaut werden müssen.

Ich halte daher das bestehende System der bedarfsorientierten Grundsicherung für sinnvoller. Klar ist aber auch, dass dieses weiterentwickelt werden muss. Das schließt insbesondere eine großzügigere Behandlung von Vermögen, höhere Freibeträge für Kinder, und pflegebedürftige Angehörige, eine ausreichende Berücksichtigung der Kosten für Bildung und des Aufwandes für chronisch Kranke - bei gleichzeitiger Abschwächung der Sanktionsinstrumente bei nicht erfolgter Arbeitsaufnahme mit ein.

Ich hoffe, ich konnte damit meine Auffassung zu den Möglichkeiten und Grenzen eines Bedingungslosen Grundeinkommens hinreichend deutlich machen. Zur Vertiefung möchte ich Ihnen den beigefügten Reader der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion, "Konzeptionelle Ansätze für eine allgemeine Grundsicherung", empfehlen.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Ernst Dieter Rossmann