Frage an Farid Müller bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Farid Müller
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Niko K. •

Frage an Farid Müller von Niko K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Müller,

ich bin schon etwas erschrocken über die Berichte, nach denen wir demnächst mit dem digitalen Wahlstift wählen sollen. Als IT-Experte weiß ich, wie viele Fehlermöglichkeiten in komplexen Systemen lauern.

Gestern war es dann wie immer: Sie behaupten, der Stift sei verfassungswidrig, Innensenator Nagel behauptet das Gegenteil. Leider bin ich kein Jurist. Können Sie mir als Nichtjuristen erklären, warum der Stift verfassungswidrig sein soll?

Vielen Dank für Ihre Antwort.

Mit freundlichen Grüßen
Niko Karcher

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Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Karcher,

vielen Dank für Ihre Frage. In der Tat bin ich der Überzeugung, dass der Einsatz des digitalen Wahlstifts, so wie ihn der Senat zurzeit plant, gegen das Grundgesetz und die Hamburgische Verfassung verstößt. Dies wird auch von führenden Verfassungsexperten wie Prof. Dr. Karpen oder Prof. Dr. Bull bestätigt.

Das zentrale Problem besteht darin, dass rechtlich die elektronische Stimmabgabe Vorrang haben soll - und nicht das Kreuz auf dem Papierstimmzettel.

Zu den Grundsätzen einer demokratischen Wahl gehört, dass die Auszählung öffentlich sein muss (§ 31 des Wahlgesetzes). Das folgt aus dem Artikel 20 des Grundgesetzes ("Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. (...)"). Der Senat meint: Die Wahlberechtigten können ja zusehen, wie der Wahlvorstand das Laptop bedient. Von einer öffentlichen Auszählung kann dann aber nicht mehr die Rede sein. Um zu wissen, wie das Laptop auszählt, müssten die Bürgerinnen und Bürger Einsicht in die Quellcodes der Software erhalten. Die aber will der Senat nicht offenlegen.

Und selbst wenn der Senat die Quellcodes offenlegte, könnten nur Experten überprüfen, ob alles mit rechten Dingen zugeht. Deshalb ist der vom Grundgesetz bei Wahlen zwingend vorgeschriebene Grundsatz der Öffentlichkeit der Auszählung verletzt, wenn die elektronischen Stimmen ausgezählt werden. Deshalb darf die elektronische Auszählung nur dazu dienen, ein vorläufiges Endergebnis zu ermitteln, während für das amtliche Endergebnis die Handauszählung aller Papierstimmzettel erfolgen muss.

Es gibt aber noch einen weiteren Gesichtspunkt, der die Pläne des Senats verfassungswidrig macht: Wenn die elektronische Stimmabgabe Vorrang haben soll, dann bedeutet das, dass alle Wahlberechtigten den digitalen Stift benutzen müssen. Stimmzettel, die nicht mit dem digitalen Wahlstift, sondern mit einem Kugelschreiber oder einem Füller ausgefüllt werden, werden dann ungültig. Stimmzettel können aber nur dann ungültig sein, wenn der Wählerwille nicht eindeutig erkennbar ist. Es ist deshalb höchst problematisch, Stimmzettel, auf denen der Wählerwille eindeutig erkennbar ist, für ungültig zu erklären - nur weil nicht das vorgeschriebene Schreibgerät benutzt wurde.

Und Drittens: Verfassungsbedenken bestehen auch wegen der Pläne des Senats für die Briefwahl. Der Senat weiß natürlich: Die Bürgerinnen und Bürger werden nicht erfreut sein, dass ihnen die Benutzung des Wahlstiftes vorgeschrieben werden soll. Deshalb hat der Landeswahlleiter vor, all denjenigen, die Sicherheitsbedenken haben, in einem Brief darauf hinzuweisen, dass sie per Briefwahl abstimmen können.

Tatsächlich ist dies jedoch gar keine Alternative. Denn der Senat plant, die Briefwahlunterlagen ebenfalls mit Hilfe des digitalen Wahlstifts auszuzählen. Nach der Öffnung des Briefes und der Entnahme des Stimmzettels sollen Wahlhelfer auf diesem Stimmzettel die Kreuze der Wählenden mit einem Digitalen Wahlstift nachmalen. Ich habe ganz starke Bedenken dagegen, dass die Wahlhelfer an Stimmzetteln Veränderungen vornehmen.

Sie sehen also, dass der Vorrang des digitalen Wahlstifts sowohl wegen des Mangels der Öffentlichen Auszählung, wegen der Ungültigkeit von Stimmzetteln, die nicht mit dem Digitalen Wahlstift ausgefüllt wurden und wegen des Nachmalens auf den Stimmzetteln klar verfassungswidrig ist.

Das allerwichtigste ist jedoch, dass mit dem geplanten Vorrang des Digitalen Wahlstifts das oberste Schutzgut einer demokratischen Wahl gefährdet wird. Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Wahlakt. Deshalb möchten wir, dass auch künftig der Papierstimmzettel für die Ermittlung des Wahlergebnisses entscheidend bleibt.

Weiterführende Informationen finden Sie wie immer auf meiner Website http://www.farid-mueller.de / Menüpunkt: "Wahlrechtsraub".

Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Farid Müller

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