Frage an Franziska Brantner bezüglich Soziale Sicherung

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Franziska Brantner
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Rainer L. •

Frage an Franziska Brantner von Rainer L. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrte Frau Brantner,

wie ist Ihre Meinung zum bedingungslosen Grundeinkommen?

Mit freundlichen Grüßen

Rainer Locke

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Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Locke,

vielen Dank für Ihre Anfrage. Unsere sozialen Sicherungssysteme stoßen aufgrund des gesellschaftlichen und demographischen Wandels an ihre Grenzen. Seit die Grundsteine unseres Sozialstaates gelegt wurden, haben sich die Lebensrealitäten der Menschen im Bezug auf Arbeitsverhältnisse, Lebensumstände, Partnerschaft sowie das Verhältnis von Arm und Reich grundlegend verändert. Um diesen Entwicklungen nachzukommen, müssen wir unser altes System überdenken und neue Wege gehen.

Ich glaube jedoch nicht, dass das sogenannte bedingungslose Grundeinkommen hierfür der richtige Weg ist. Statt unser Sozialsystem zu ersetzen, halte ich es für sinnvoller, seine Lücken zu schließen, um so den Betroffenen größere Autonomie und der Gesellschaft Raum für Entwicklung zu geben. Ich unterstütze daher das Modell der Grünen Grundsicherung als Konzept für eine armutsfeste Existenzsicherung und eine sanktionslose Politik des Förderns, der Motivation und der Anerkennung.

Das Ziel der Grünen Grundsicherung ist es, Armut und soziale Ausgrenzung zu überwinden und allen Menschen gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Es soll eine verlässliche und eigenständige soziale Sicherung sein, die ein selbstbestimmtes Leben auf Basis des Existenzminimums ermöglicht. So sollen Bevormundung, Sozialbürokratie und Zwang abgebaut werden.

Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe war ein erster Schritt in diese Richtung. Sozialhilfe-Empfänger und Empfängerinnen waren bislang von den Angeboten des Arbeitsamtes ausgeschlossen. Viele waren gefangen in einer frustrierenden und unwürdigen Spirale aus Alimentierung, sozialer Ausgrenzung, Passivität und kontinuierlichem sozialen Abstieg. Die Reform sollte durch mehr Förderung und Arbeitsvermittlung genau dieses Problem anpacken. Die sogenannten Hartz-IV-Reformen waren ein notwendiger Kompromiss, brachten aber zweifellos Entwicklungen mit sich, die viele Menschen hart trafen und ihr Leben noch immer negativ beeinflussen. Union und FDP nutzten 2003 ihre Mehrheit im Bundesrat, um das Hartz-IV-Gesetz erheblich zu verschärfen, die Große Koalition setzte dies fort. Die versprochene Balance zwischen Fördern und Fordern geriet dramatisch aus dem Gleichgewicht. Verschärfte Zumutbarkeits- und Sanktionsregelungen führten dazu, dass Arbeitssuchende stark unter Druck gesetzt wurden und werden.

Die Grüne Grundsicherung ist ein Konzept, mit dem wir die Fehler der Hartz-Gesetze korrigieren und gleichzeitig ihre ursprünglichen Ziele beibehalten können. Sie sieht konkret vor: Die Regelsätze des ALG II müssen für einen alleinstehenden Erwachsenen mindestens 420 Euro betragen und regelmäßig an die Inflationsrate angepasst werden. Für Kinder und Jugendliche brauchen wir eigenständige Regelsätze, um ihrem realen altersgerechten Bedarf nachzukommen. Bedarfsgemeinschaften müssen abgeschafft werden, da sie insbesondere Frauen benachteiligen und ihre finanzielle Abhängigkeit festsetzen. Dies kann man über Einsparungen beim Ehegattensplitting gegen finanzieren. Wer ALG II bezieht, muss bessere Möglichkeiten haben, sich Geld dazu zu verdienen. Jobcenter sollten erhalten bleiben, um Arbeitssuchenden als fester Anlaufpunkt zu unterstützen. Damit die Zuständigkeit der Kommunen für soziale Hilfe mit der Zuständigkeit der Bundesarbeitsagentur für Förderung und Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt verbunden werden kann, muss das Grundgesetz geändert werden.

Die Grüne Grundsicherung verspricht, einen wirklichen sozialpolitischen Aufbruch anzustoßen, weil sie sich nicht ausschließlich auf klassische finanzielle Transferleistungen verlässt. Vielmehr setzt sie zusätzlich auf Maßnahmen über staatliche Infrastruktur: Ein frei zugängliches Bildungssystem, Aus- und Weiterbildungsangebote, einen Rechtsanspruch auf Kita-Plätze und eine hochwertige Gesundheitsversorgung. Armut beginnt für viele im Kindesalter, weil ihnen Chancen auf Bildung und Entwicklung verwehrt sind. Deshalb müssen wir unbedingt in Bildung investieren, mehr Ganztagsschulen einrichten und unser Bildungssystem durchlässiger machen.

Statt alle Arbeitssuchenden bürokratisch in einen Topf zu werfen, sollten wir ihnen echte individuelle Betreuung und Vermittlung bieten. Wir müssen ihnen das Recht geben, zwischen verschiedenen Maßnahmen zu wählen. Solange die oben genannten Änderungen bei der Förderung in der Praxis nicht umgesetzt sind, brauchen wir daher ein so genanntes Sanktionsmoratorium: eine Aussetzung sämtlicher Sanktionen. Denn Langzeitarbeitslose nutzen Hartz IV keineswegs als soziale Hängematte, sondern bemühen sich aktiv um Arbeit - die Missbrauchsquote liegt nicht einmal bei zwei Prozent. Wer eine Grundsicherung erhält muss ohne Frage bereit sein, der Gesellschaft etwas zurück zu geben. Solange aber die Jobcenter den Fähigkeiten und Wünschen von Arbeitssuchenden nicht genug entgegenkommen und mehr gefordert als gefördert wird, darf nicht sanktioniert werden. Langzeitarbeitslosen müssen wir eine Perspektive schaffen, indem wir ihnen beispielsweise durch langfristig geförderte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung anbieten: in der kommunalen Kulturarbeit, der ergänzenden Unterstützung älterer Menschen im Haushalt, als Unterstützung in Kitas oder Schulen, aber auch im Naturschutz. Den Lohn zahlen wir aus den Mitteln, mit denen wir bisher Arbeitslosigkeit finanzieren: ALG II, Wohngeld, Fortbildungstöpfe.

Die Grundsicherung wollen wir Grüne aber durch weitere Programme ergänzen. Denn faire Arbeit bleibt unsere wirksamste Waffe gegen Arbeitslosigkeit. Durch gezielte Investitionen in die Zukunftsfelder Umwelt- und Klimaschutz, Bildung, Betreuung, Gesundheit und Pflege können wir in den nächsten Jahren eine Million neue, zukunftsfeste Arbeitsplätze schaffen. Da durch das Anwachsen des Niedriglohnsektors viele Bürger heute nicht mehr von ihrer Hände Arbeit leben können, muss dies durch einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von mindestens 7,50 Euro pro Stunde untermauert werden. Um die Ausweitung von Lohndumping durch Leiharbeit zu stoppen, fordern wir für Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter einen Risikozuschlag in Höhe von zehn Prozent des Bruttolohns vergleichbarer Beschäftigter. Geringverdiener sollen durch ein Progressivmodell bei den Sozialabgaben entlastet werden: Je geringer das Einkommen, desto geringer soll auch der Prozentsatz an Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenbeiträgen sein. Wer weniger als 2000 Euro brutto verdient, wird dadurch spürbar entlastet.

Mehr zu diesen Projekten finden Sie bei Interesse unter diesen Links: www.1millionjobs.de und gruene-bundestag.de/progressivmodell . Die Informationen zur Grundsicherung können sie hier nachlesen: http://www.gruene.de/themen/soziale-gerechtigkeit/raus-aus-der-armutsfalle.html.

Mit freundlichen Grüßen,
Franziska Brantner

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