Frage an Franziska Brantner bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Franziska Brantner
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Yves B. •

Frage an Franziska Brantner von Yves B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Brantner,

in folgendem Artikel: http://www.taz.de/1/politik/europa/artikel/1/abrechnung-nach-alter-manier/ werden schwerste Vorwürfe gegen die Politik der ungarischen Regierung erhoben:

-Auch das nach heftigen internationalen Protesten geänderte Mediengesetz verpflichtet demnach Radio- und Fernsehsender zu ausgewogener Berichterstattung und ermöglicht sogar konkrete Befehle an Journalisten, worüber sie „zwecks nationaler Identitätsstärkung“ zu berichten haben.
-In Planung ist auch eine Verfassungsreform mit einem christlich-nationalistischen „Glaubensbekenntnis“ als Kernstück.
-Hauptsächlich widmet sich der Artikel der Intellektuellen-Verfolgung: Demnach bedient sich die Regierung Orbán- angeblich zur Untersuchung der Auftrags- und Finanzmittelvergabe der früheren sozialistisch-liberalen Regierung für Kultur- und Wissenschaftsprojekte- eines sog. „Abrechnungsbeauftragten“, der gezielt gegen „die bekanntesten liberalen jüdischen Intellektuellen“ Ermittlungen wegen zumindest teilweise haltloser Anschuldigungen einleitet. Die Stimmungsmache gegen diese Philosophen und andere Kulturschaffende wird ergänzt durch vorverurteilende, homophobe, nationalistische oder versteckt antisemitische Pöbeleien rechtsradikaler Medien und Parlamentarier. Eine Kunstexpertin meint: "Die kulturelle Botschaft der jetzigen Machthaber besteht in Kitsch und verkitschter Volkskunst.".

Dass die EU, inwiefern mangels Willen oder rechtlicher Befugnis auch immer, dieser faschistischen Gleichschaltungspraxis kommentarlos und untätig zusieht, entspricht m.E. nicht gerade ihrer Entstehungsidee, politische Lehren aus der NS-Geschichte zu ziehen. Trotz der geringen Ausprägung demokratischer Kontrollbefugnisse des EU-Parlaments bitte ich um Auskunft, wie Sie bzw. Ihre Fraktion gegen besagte Misstände vorgehen möchten.

Mit freundlichen Grüßen

Yves Busch

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Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Busch,

Ihre Bedenken zu den von ihnen geschilderten Entwicklungen in Ungarn teilen ich und meine Fraktion gänzlich. Pressefreiheit ist die Grundlage der Demokratie, und Information muss für Politiker unbequem sein. Es unterwandert die Integrität der EU, wenn von Bewerberstaaten demokratischer Pluralismus und Medienfreiheit erwartet werden, diese nach ihrem Beitritt jedoch die Grundwerte der EU missachten können.

Bereits vor Verabschiedung des Mediengesetzes, das die Staatskontrolle verschärfte und Strafsanktionen für "unausgewogene" Berichterstattung vorsah, übten wir Grüne Kritik an dem Gesetzesentwurf. Nach der skandalösen Ratifizierung forderten wir die EU-Kommission umgehend auf, Maßnahmen gegen Ungarn einzuleiten, um die Rücknahme des Gesetzes zu erzwingen. Wir kritisierten scharf, dass die EU untätig zusah, wie innerhalb unserer gemeinsamen Grenzen ein solch undemokratischer Vorgang stattfand. Deshalb forderten wir Kommissions-Präsident Barroso und das Europäische Parlament auf, ein Vertragsverletzungsverfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages einzuleiten. ( http://www.greens-efa.eu/de/ungarisches-mediengesetz-2991.html; Brief an Barroso in englischer Sprache: http://www.greens-efa.eu/de/letter-to-barroso-5104.html; http://www.greens-efa.eu/de/ungarn-5370.html )

Artikel 7 des EU-Vertrages regelt ein Verfahren zur Überprüfung, ob ein Mitgliedsland europäische Grundwerte verletzt. Das Europäische Parlament kann ein solches Verfahren einleiten. Wenn eine Untersuchung des Europaparlaments ergibt, dass ein Verstoß gegen die Grundwerte vorliegt, kann es empfehlen, dass der Rat Sanktionen gegen das betreffende Land beschließt, darunter der Entzug des Stimmrechts und anderer Rechte im Rat. Um zusätzlich direkten Druck auszuüben, forderten wir die Europäische Volkspartei auf, die Mitgliedschaft der ungarischen Regierungspartei FIDESZ sowohl bei der europäischen EVP-Partei als auch bei der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament solange zu suspendieren, bis die Lage geklärt wurde und der Respekt der europäischen Werte in Ungarn wiederhergestellt ist.

Die Kommission zeigte Rückrat und leitete ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn wegen Bedrohung der Unabhängigkeit der Justiz und der Datenschutzbehörde ein.( http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/12/222&format=HTML&aged=1&language=DE&guiLanguage=en )Wir Grünen begrüßten dies, zeigten uns aber unzufrieden damit, dass die Kommission nur diese Fragen prüfte. Sie scheute davor zurück, die zunehmend autoritäre Politik der ungarischen Regierung, wie sie sich auch in der neuen Verfassung ausdrückte, weitergehender kritisch zu beleuchten. Die EU-Kommission beschränkte ihre Kritik auf wenige Probleme, während sie das gesamte Ausmaß des Abbaus demokratischer Rechte in Ungarn ignorierte. Statt eines Vertragsverletzungsverfahrens war unserer Ansicht nach weiterhin ein Grundwerteverfahres nach Artikel 7 des EU-Vertrags angebracht und erforderlich. ( http://www.greens-efa.eu/de/ungarn-5477.html )

Am 25. April gab die Europäische Kommission bekannt, dass sie Ungarn wegen der Bedrohung der Unabhängigkeit von Justiz und Datenschutzbehörde vor dem Europäischen Gerichtshof verklagen wird. Dies begrüßten wir als eine wichtige Verteidigung europäischer Grundwerte, die von der ungarischen Regierung mit ihren Gesetzen, die die Unabhängigkeit von Justiz und Datenschutzbehörde bedrohen, eklatant verletzt wurden.

Die ungarische Regierung muss wieder zum Respekt vor den europäischen Grundwerten zurückkehren: das undemokratische ungarische Mediengesetz muss dazu unbedingt schnellstmöglich zurückgenommen werden. Und auch die Kritik an den Verfassungsänderungen ist nach wie vor nicht ausgeräumt. Wir Grünen fordern weiter, dass die Kommission und die EU-Mitgliedsstaaten für Medienfreiheit und Meinungsvielfalt in Ungarn eintreten.

Es steht außer Frage, dass hier noch nicht genug getan wird. Einen weiteren Fall, in dem ein Mitgliedsstaat klar europäische Grundwerte wie Rechtsstaatlichkeit verletzt, erleben wir gerade erneut in Rumänien, wo Premierminister Ponta durch Notstandsgesetzgebung den demokratisch gewählten Präsidenten zu stürzen versucht. Wir haben hier bereits die Kommission dazu aufgerufen, diesen Fall unnachgiebig zu verfolgen und die rumänische Regierung zu maßregeln. ( http://www.greens-efa.eu/romania-7795.html )

Ich kann nur noch einmal betonen, dass die Einhaltung demokratischer Werte, denen sich die Mitgliedsstaaten beim Beitritt verpflichten, nicht aufgeweicht werden darf, sobald der Mitgliedsstatus erreicht ist. Es muss höchste Priorität sein, dass hier keine falsche Zurückhaltung oder Vertuschung Einzug erhält, um die innereuropäische Harmonie nicht zu gefährden. Ich kann Ihnen versprechen, dass ich und meine Fraktion uns weiter ein kritischer Beobachter sein und alles daran setzen werden, das Parlament und die Kommission anzutreiben, gegen antidemokratische Politik anzugehen.

Mit freundlichen Grüßen.
Franziska Brantner

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