Frage an Georgios Chatzimarkakis bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Georgios Chatzimarkakis
ÖDP
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Frage von Hein M. •

Frage an Georgios Chatzimarkakis von Hein M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Dr. Chatzimarkakis,
ich danke Ihnen für Ihre zügige Antwort. Allerdings wäre es in diesem Falle besser gewesen, Sie hätten sich etwas mehr Zeit für die Bearbeitung gelassen.
Zum einen habe ich an keiner Stelle geschrieben, dass ich im Publikum saß. Zum anderen kann man auf dradio.de nachhören, dass Sie gesagt haben, dass diejenigen, die nicht zur Wahl gehen, zum Ausdruck bringen, mit den Verhältnissen zufrieden zu sein. In Ihrer Antwort relativieren Sie ihre Äußerung.
Schließlich aber liegt Ihre Antwort neben der Sache. Kern meiner Anfrage ist nicht das, was Sie behaupten, sondern meine Frage am Ende des Textes. Diese haben Sie nicht beantwortet. Es wäre sehr schön, wenn Sie das nachholen würden.
Bei der Gelegenheit präzisiere ich auch gerne den scheinbar so versteckten Gedanken meiner Anfrage. Wenn, wie nach aktuellen Prognosen zu erwarten ist, bei der EP-Wahl rd. 60% der Deutschen nicht an der Wahl teilnehmen, dann hat jeder Abgeordnete ein Legitimationsproblem: Die Mehrheit will ihn nicht. Es ergibt keinen Sinn, auf Kersting oder Eurobarometer zu verweisen und so zu tun, als sei alles in Butter. Umfragen sind nun mal beliebig in ihrer Aussagekraft, Wahlergebnisse aber nicht. Meine zweite, ergänzende Frage an Sie deshalb: Müsste nicht derListenabgeordnete -wie Sie- abgeschafft werden? Sollte nicht etwa nur derjenige, der sich in einer Direktwahl durchgesetzt hat, MdEP sein? England zeigt, dass liberale Ideen auch in einem solchen System erfolgreich sein können.
MfG, H. Mück

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Antwort von
ÖDP

Sehr geehrter Herr Mück,

da war wohl der Wunsch Vater des Gedanken: Sie haben Recht, Sie schreiben nicht, dass Sie im Publikum saßen. Da ich selbst in Berlin war und wir eine engagierte Publikumsdiskussion nach der Sendung hatten, ging ich intuitiv davon aus, dass auch Sie dort gewesen sein müssen.

Sie schreiben, ich solle mich zu Ihrer letzten Frage in ihrer ersten Anfrage äußern. Ich habe mich zu dieser Frage nicht geäußert, weil Sie hier von etwas ausgehen, was ich gar nicht intendiert habe und eigentlich auch nicht aus meiner Aussage ableitbar ist. Meine Äußerung war keine Handlungsaufforderung, sondern eine reine Meinungsäußerung, die zugleich natürlich auch eine Interpretation war - was in einer freien Demokratie ja durchaus zulässig ist.

Das ist auch das Stichwort, um auf den zweiten Teil Ihrer Anfrage einzugehen. Sie gehen davon aus, dass das Europäische Parlament ein Legitimationsproblem habe, wenn 60% der Deutschen tatsächlich nicht zur Wahl gehen sollten. Ich kenne die politikwissenschaftlichen Thesen zur Frage der demokratischen Legitimation, teile sie aber nicht.

Hier sollte nämlich ein Grundproblem berücksichtigt werden: man kann schließlich niemanden zwingen, zur Wahl zu gehen. Wenn Sie jetzt grundsätzlich festlegen wollten, dass ein Parlament ab einer bestimmten Wahlbeteiligung keine Legitimation mehr haben soll, dann frage ich mich, wie das in der Praxis umsetzt werden soll. Soll man so lange wählen, bis ein vorher festgelegter Schwellenwert erreicht ist? Soll das aktuell bestehende Parlament so lange nur kommissarisch im Amt sein und deshalb quasi in seiner Gestaltungskraft "gelähmt" sein, bis dann endlich die "richtige" Wahlbeteiligung erreicht ist?

Deshalb teile ich auch Ihre These nicht, dass ein Abgeordneter ein "Legitimationsproblem" habe, wenn 60% der Wähler nicht zu den Urnen gehen. Sie gehen ja im Besonderen davon aus, dass dies ein Zeichen der Ablehnung sei. Ich kann hier nur wieder auf das verweisen, was ich Ihnen bereits gestern geschrieben hatte: Motive, an einer Wahl teilzunehmen, sind vielfältig. Unter anderem natürlich auch, weil man mit dem System unzufrieden ist. In diesem Fall gibt es aber ein eindeutigeres Mittel, um seine Unzufriedenheit auszudrücken, etwa in dem man den Stimmzettel ungültig macht. Und selbst das ist noch nicht eindeutig, es sei denn Sie schreiben ein klares Statement auf den Zettel.

Hier kommen wir auch schon zum dritten Teil Ihrer Anfrage, nämlich ob "Listenabgeordnete" wie ich abgeschafft werden sollten. Zunächst haben wir uns aus historischen - und guten - Gründen für unser bestehendes Wahlrecht entschieden. Gerade kleine Parteien haben hier auch Chancen. Hinter der FDP stehen Wählerinnen und Wähler, die 2004 bewusst für uns gestimmt haben. Nach ihrer Argumentation soll die Stimme dieser Bürger unter den Tisch fallen. Hier ist aber zu bedenken: diese Wähler haben sich immerhin aktiv engagiert und Ihren Willen klar zum Ausdruck gebracht. Für mich ist das ein eindeutigeres Votum als die vermuteten Absichten der Gruppe der Nichtwähler.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Jorgo Chatzimarkakis