Frage an Gregor Gysi bezüglich Soziale Sicherung

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Gregor Gysi
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Frage von Guntram S. •

Frage an Gregor Gysi von Guntram S. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Gysi,

derzeit liegt der Mehrwertsteuersatz für Existenzbedarf bei 7%. Angesichts der Tatsache, dass diese Steuer nur ein Durchlaufposten ist (der Staat nimmt hier etwas ein, was er an andere Stelle, nämlich bei der Existenzsicherung Hartz4, Rente, Grundfreibetrag wieder ausgibt):

Wäre es nicht sinnvoll, den Mehrwertsteuerbetrag von 7% auf 0% für Grundbedarf zu senken und dadurch Freiräume zu schaffen um auch die Existenzfreibeträge und Hartz4 senken zu können und damit der Wirtschaft wieder mehr Freiräume zu schaffen?

Mit freundlichen Grüßen,
Guntram Seiß

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Sehr geehrter Herr Seiß,

vielen Dank für Ihre Frage vom 13.12.2012. Ich habe sie an unser Vorstandsmitglied, Frau Dr. Barbara Höll, mit der Bitte um Beantwortung weitergeleitet. Es kann sein, dass ein Mehrwertsteuersatz unter 7 % nach Europarecht unzulässig ist. Wir werden das prüfen und Ihnen antworten.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Gysi

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Sehr geehrter Herr Seiß,

mein Kollege Dr. Gregor Gysi bat mich Ihnen eine Antwort auf Ihre Frage vom 12.12.12 bezüglich des Mehrwertsteuersatzes zukommen zu lassen. Der Katalog des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes ist unübersichtlicher denn je und bedarf dringend einer Überarbeitung. Eigentlich sollte das nach Aussage der Bundesregierung bis Ende 2013 geschehen sein. Diese Legislaturperiode wird hier jedoch nichts mehr passieren, so nach jüngsten Meldungen des Bundesfinanzministeriums.

Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von 7% ist keineswegs nur auf Güter und Dienstleistungen des Grundbedarfs beschränkt, sondern gilt beispielsweise auch für Trüffel, Krabben, Garnelen, Rennpferde, Gemälde, Stiche, Skulpturen, Münzen, Medaillen sowie für zoologische, botanische, anatomische und archäologische Sammelstücke. Insgesamt sind es 54 Produktgruppen, für die der ermäßigte Steuersatz berechnet werden darf. Auf der anderen Seite unterliegen zahlreiche Güter des Grundbedarfs dem vollen Mehrwertsteuersatz von 19 %, z.B. Kleidung (Hosen, Schuhe und Blusen), Fruchtsäfte, Mineralwasser, Babywindeln.

Der ermäßigte Steuersatz von 7 % ist keineswegs nur ein Durchlaufposten. Nicht nur betragsmäßig gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Einnahmen aus dem ermäßigten MwSt.-Satz und den Ausgaben im Rahmen von - wie Sie schrieben - Hartz IV, Rente, Grundfreibetrag. Den Rentenzahlungen liegen weitgehend Einzahlungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zugrunde, der Staat leistet hier nur für versicherungsfremde Leistungen einen - allerdings unzureichenden - Ausgleich.

In der Praxis hat sich gezeigt, dass eine Entlastung beim Mehrwertsteuersatz in der Vergangenheit nicht zu Preisnachlässen führte. Das hat man zuletzt sehr gut bei der Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes von 19 % auf 7 % für Hotelübernachtungen beobachten können. Entscheidend für die Preispolitik eines Unternehmens ist die Reaktion der Nachfrager. Wenn bisher ein Produkt 1,99 Euro gekostet hat, würde es nach einer Senkung des Mehrwertsteuersatzes von 7 % auf 0 % rechnerisch nur noch 1,86 Euro kosten. Dafür würde kaum ein Unternehmer ein neues Preisschild schreiben.

Veränderungen bei den Mehrwertsteuersätzen schlagen nicht zwingend auf die Preise durch, sondern erhöhen (oder senken) die Gewinne der Unternehmen. Daher würde eine Steuerbefreiung von Gütern und Dienstleistungen des Grundbedarfs (also eine Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes von 7 % auf 0 %) nur zu massiven Einnahmeverlusten für den Staat führen und somit überhaupt keinen Spielraum eröffnen, die "Existenzfreibeträge und Hartz IV" zu senken. Die Einnahmeverluste müsste der Staat durch höhere Kreditaufnahme ausgleichen, so dass in der Volkswirtschaft die Finanzierungskosten für alle, also auch die Unternehmen, stiegen.

Bereits heute fällt für einen prozentual hohen Ausgabenposten von Geringverdienern und Rentnern, nämlich die Miete der Wohnung, keine Mehrwertsteuer an, sodass hier ein Entlastungseffekt gar nicht auftritt. In § 4 UStG (Steuerbefreiungen bei Lieferungen und sonstigen Leistungen) sind die Güter und Dienstleistungen aufgeführt, die von der Mehrwertsteuer befreit sind.

Wie Sie den aktuellen Diskussionen über Steuersenkungen entnehmen konnten, führen geringe Steuersenkungen zu kaum spürbaren Einnahmeerhöhungen der Unternehmen, aber bereits zu massiven Einnahmeausfällen auf Seiten des Staates.

Daher würde eine Senkung des ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7 % auf 0 % nicht zu merklichen Erleichterungen führen "und damit der Wirtschaft nicht mehr Freiräume schaffen".

Neben den aufgeführten ökonomischen Aspekten steht aber auch das europäische Recht einer Umsatzbesteuerung von 0 % entgegen: Innerhalb der Europäischen Union ist die Umsatzsteuer aufgrund der seit 1. Januar 2007 geltenden Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSystRL) einheitlich geregelt. Danach unterliegen die Lieferungen von Gütern und die Erbringung von Dienstleistungen grundsätzlich einem Normalsteuersatz von mindestens 15 %. Die Mitgliedstaaten können darüber hinaus auf Güter und Dienstleistungen, die auf einer abschließenden Liste aufgeführt sind, einen oder zwei ermäßigte Steuersätze von mindestens 5 % einführen. Ein Mehrwertsteuersatz von 0 % wäre also europarechtswidrig.

Ich hoffe damit Ihre Frage ausreichend beantwortet zu haben.

Mit freundlichen Grüßen

Barbara Höll

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