Frage an Gregor Gysi bezüglich Finanzen

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Gregor Gysi
DIE LINKE
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Frage von Dagmar D. •

Frage an Gregor Gysi von Dagmar D. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Dr. Gysi,

können Sie mir erklären warum die Partei "die Linke" das heute herrschende Geldsystem nicht in Frage stellt?
Denn es ist doch inzwischen hinlänglich bekannt, dass dieses auf Zins und Zinsezins basierte Geldsystem in bestimmten Intervallen immer wieder zum "crash" führen muss.
Abgesehen davon, dass natürlich die Länder in Südeuropa durch die exponentiell steigende Zinslast nie in der Lage sein werden sich zu sanieren; und schon überhaupt nicht im Kontext mit der geforderten Austeritätspolitik.
M. E. reicht es daher nicht gegen Bedienung der Banken und Finanzinvestoren (über die Rettungspakete) durch die europäischen Steuerzahler, Stellung zu beziehen. Sondern eigentlich muss das bestehende Geldsystem , dass die Geld-Verteilung von fleissig/arm zu reich zur Folge hat, abgeschafft werden. Alternativen wie das Vollgeld oder Umlaufgeld gibt es doch.
Warum nimmt die Partei "die Linke" sich dieses Themas nicht an?

Mit freundlichen Grüßen,
Dagmar Doll

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DIE LINKE

Sehr geehrte Frau Doll,

Ihre Nachricht vom 4. April hat mich erreicht.
Selbstverständlich diskutieren wir über die verschiedensten Fragen. Die Diskussionen sind aber noch nicht ausgereift genug, um die Position zu beziehen, die Sie vorschlagen.
Unabhängig davon habe ich Ihr Schreiben an die Abgeordnete Dr. Barbara Höll mit der Bitte weitergeleitet, Ihnen eine ausführlichere Antwort zukommen zu lassen.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Gysi

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Sehr geehrte Frau Doll,

Ihre Anfrage an meinen Kollegen Dr. Gregor Gysi wurde an mich weiterreicht, mit der Bitte Ihnen eine Antwort zukommen zu lassen, was ich hiermit gerne tue.

DIE LINKE stellt das Geldsystem an sich nicht in Frage, denn es ist bisher das Beste was wir zur Verfügung haben. An einigen Stellen besteht jedoch Änderungsbedarf, das will ich gar nicht in Abrede stellen. Die jüngste Finanzkrise hat das wieder einmal verdeutlicht.

Sie schreiben, es sei hinlänglich bekannt, dass das auf Zins und Zinseszins basierende Geldsystem immer wieder zum Crash führen muss. Dem würde ich widersprechen. Die Ursache der letzten Finanzkrise war ja nicht der Zins und Zinseszins, sondern Rahmenbedingungen, die letztlich dazu führten, das es zur Krise kam. Mit Rahmenbedingungen meine ich u.a. eine zu laxe Kreditvergabe in den USA (Subprime-Krise), die Verarbeitung der Ausfallrisiken der Hypotheken zu komplexen Finanzprodukten (Schaffung von Werten, die keinem Gegenwert gegenüberstehen) sowie deren weltweitem Handel.

Das Thema Geldpolitik und Geldtheorie ist ein hoch komplexes Thema. Es gibt hier und dort immer mal wieder Ansatzpunkte und Erklärungsversuche für Finanzkrisen sowie Lösungsvorschläge, die des Vollgeldes ist einer davon. Es handelt sich im Vergleich zum gesamten Wissenschaftsbereich (der zahlreiche Theoriegebäude umfasst) um eine kleine Gruppe, die anführt, Ursache für immer wiederkehrende Finanzkrisen sei der Zins und Zinseszins. Es gibt auf der anderen Seite aber auch zahlreiche ExpertInnen, die anderer Meinung sind und das auch sehr gut argumentativ unterfüttern. Hinlänglich bekannt ist mit Sicherheit eines: zu viel Deregulierung im Finanzmarktbereich kann zu Krisen führen.

Wenn wir uns vor Augen führen was Geld ist, konstatieren wir eine Schuldverpflichtung der einen sowie eine Forderung der anderen. Wir müssen also bei der Betrachtung des Geldes zahlreiche sich beeinflussende Bereiche und Faktoren einbeziehen. Der Theorie des Vollgeldes nach ist es Vermögen, dem keine Schulden auf der anderen Seite gegenüberstehen. Und hier findet sich schon die erste argumentative Lücke. Geld ohne Schulden ist auch kein Vermögenswert. Die Forderung nach einer unabhängigen, aber dennoch staatlichen Institution – die Notenbank, die das Geld für die Regierung zu Verfügung stellen soll – kann ebenso kritisch hinterfragt werden. Das heißt, Wünsche der Politik nach mehr Geld, müsste sie stets enttäuschen, wollte sie verantwortungsvoll handeln. Ob eine Notenbank überhaupt unabhängig sein kann, ist eine ganz andere, jedoch ebenso sehr wichtige Frage, die sich auch im heutigen System stellt.

Die von Ihnen angesprochenen Thematik wird m.E. zu stark auf die Ebene des finanziellen Kapitals verkürzt. Es geht, wie ich bereits erwähnte, um mehr als nur das Geld. Es geht um handfeste Interessenkonflikte im Produktions-, Reproduktions- und Zirkulationsbereich sowie soziale Widersprüche. Diese wichtigen Größen werden von VertreterInnen des Vollgeldes sowie von Gesell jedoch nicht berücksichtigt. Ausschließlich der Zins und das Zinstragende Kapital wird als Gegner auserkoren. Dabei werden durch Geld auch soziale Beziehungen vermittelt, es kommt zu Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen. Ebenso ein Kritikpunkt, es fehlt m.E. ein hinreichendes Verständnis davon, wie Forderungen und Verbindlichkeiten im finanziellen Sektor wechselseitig verbunden sind, unterschiedliche Formen von cash flows generieren und welcher hierarchische Zusammenhang zwischen dem privaten Finanzsektor und den Zentralbanken besteht. Auch besteht m.E. eine große Lücke, da kein Unterschied zwischen der Geldanlage und Spekulation gemacht wird sowie die Bedienung des Kreditzinses etc. sehr in den Hintergrund rücken, bzw. nicht dementsprechend argumentativ berücksichtigt werden. Natürlich sind Zinsen im bestehenden System sowohl vom Kreditnehmer zu zahlen, als auch Bestandteil von Einkommen bei Kreditgebern/Anlegern. Inwiefern diese jeweils überzogen und/oder zu hoch sind, liegt manchmal im Auge des Betrachters. Eine Skandalisierung ist aus verschiedensten Gesichtspunkten natürlich möglich oder eben auch nicht. Klar ist, das es in einer Marktwirtschaft (preisgesteuertes System) einen Zins geben muss.

Alternativvorschläge zum bestehenden Geldsystem, die die erwähnten wechselseitigen Beziehungen in ihrer Gesamtbetrachtung nicht einbeziehen sind m.E. als Alternative ungeeignet.

Abschließend ist anzumerken, es gibt unzählige Grundannahmen, die nicht haltbar sind und es gibt seit Jahrzehnten eine Vielzahl von argumentativen Leerstellen. Daher lehnen wir die angesprochenen Theorievorschläge ab.

Mit freundlichen Grüßen
Barbara Höll

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