Frage an Gregor Gysi bezüglich Wirtschaft

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Gregor Gysi
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Frage von Ralf O. •

Frage an Gregor Gysi von Ralf O. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Dr. Gysi,

ich war zwar bisher eher ein Wahlkanidat für AfD und Linkspartei, aber ich finde, dass der FDP- Vorsitzende Philip Rössler einen sehr guten Vorschlag gemacht hat, dessen Tragweite in Deutschland scheinbar nicht verstanden wird: Die Wiedergründung einer Hightechbörse, um Kapital für neue Industrien und Technologien in Deutschland zu akquierieren.Cameron und Merkel reden gerne vom "Wettbewerbsfähigen Europa", verstehen dies aber mehr als Arbeitsmarktreformen und Sozialabbau denn Förderung von High-Tech. Was mich interessieren würde: Ist die Linke der Ansicht, dass Deutschland sich über die traditionellen Exportindustrien auch neue Industrien zulegen muss, die mittels einer Hightech-Börse gefördert werden sollten?Wie möchte die Linke die alten Exzesse der New Economy verhindern?Warum tritt die Linke nicht dafür ein, dass eine Hightechbörse in Deutschland eingeführt wird und dann als EU-Hightechbörse, die Gesamteuropas neue Innovationspotentiale bündelt und mit Kapital ausstattet?Ist die Linke der Ansicht, dass die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und Europas vor allem darin besteht, die flächenmässige Umsetzung von Industrie 4.0, der Digitalisierung der Wirtschaft und der Förderung neuer Exporttechnologien zu fördern und zugleich das Bildungssystem nach diesen Anforderungsprofilen neuzugestalten?Oder will die Linke nur das wettbewerbsfähige Europa über Sozailabbau und Arbeitsreformen ala Agenda 2010 verhindern, die jeden 4. Deutschen in prekäre Arbeitsverhältnisse bringt, ansonsten nichts fördern?Warum stellt die Linke Themen wie Industrie 4.0 und Hightechbörse/Innovationen nicht ins Zentzrum ihres Wahlkampfes--dadurch könnte sie sich ja mal als Erneuerungspartei profilieren.Warum bleiben sie so defensiv?Sind diese Themen Industrie4.0, Digitalisierungs der Wirtschaft und Hightechbörse zur Förderung neuer Industrien nicht wahlkampffähig?

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Sehr geehrter Herr Ostner,

vielen Dank für Ihre Nachricht vom 26. August, die ich mit Interesse zur Kenntnis genommen habe.
Ich habe Ihr Schreiben an unseren Abgeordneten Axel Troost mit der Bitte weitergeleitet, Ihnen eine ausführlichere Antwort zukommen zu lassen.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Gysi

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Sehr geehrter Herr Ostner,

vielen Dank für Ihre Anfrage zu High-Tech-Börsen.

Aus dem Finanzausschuss sind mir Initiativen der FDP zu einer High-Tech-Börse nicht bekannt. Aber zum Glück habe ich einen Zugang zum guten Pressearchiv des Bundestags. Die Presse hat den Vorschlag von Herrn Rösler recht einhellig verrissen, selbst Medien, die der FDP tendenziell wohlgesonnen sind:

"Wunsch und Wirklichkeit klaffen manchmal weit auseinander. Wünschenswert wäre es, einen funktionierenden Kapitalmarkt auch für junge, innovative Unternehmen in ihrer Entwicklungsphase zu haben. Dazu gehören mutige Aktionäre - Institutionelle wie Privatanleger - und börsenwillige und -taugliche Unternehmen. In der Wirklichkeit mangelt es hierzulande an beidem. Woran es nicht mangelt, sind hingegen Börsensegmente für jegliche Coleur von Unternehmen." (FAZ, "Röslers Neuer Abenteuermarkt", 21.8.2013)

"Doch er vergaß dabei offenbar, dass es so etwas längst gibt: den Entry Standard der Deutschen Börse. Seit 2005 können sich dort Firmen listen lassen, mit eben jenen geringen Transparenzpflichten, die Rösler haben will. Wenn nur wenige Investoren sich auf diese Aktien einlassen, dann hat das vor allem damit zu tun, dass solch kleine und höchst schwankungsanfällige Titel nichts für institutionelle Investoren sind. Und Privatanleger haben davon nach den Erfahrungen des Neuen Marktes ebenfalls die Nase voll. Nun den Neuen Markt wiederzubeleben, wird daran ganz sicher nichts ändern. Insofern ist die Idee schlicht eine Totgeburt." ("Kakteen statt Neuer Markt", Welt am Sonntag 25.8.2013)

Sie wollen aber sicher nicht wissen, was ich von der FDP halte.

Deutschland hat andere wirtschaftliche Voraussetzungen als andere Statten und ich bin froh, dass wir keine Kapitalmarktkultur wie in den USA oder Großbritannien haben. Dort ist es ganz normal, dass sich Unternehmen über die Kapitalmärkte finanzieren, während hier die Banken einen viel größeren Stellenwert haben. Einzelne Teile der angelsächischen Kapitalmarktkultur herauszugreifen und hier umzusetzen, wird wohl schlicht und einfach nicht funktionieren (siehe die obigen Pressekommentare, bzw. sehen Sie sich auch die vergleichsweise kläglichen deutschen Hedgefonds oder Private-Equity-Fonds an, die unter Rot-Grün zum neuen Standbein der deutschen Finanzkultur werden sollten). Eine generelle Entwicklung dahin halte ich nicht für wünschenswert (was Sie vermutlich nicht verwundern wird). Ansonsten liegt natürlich die Einrichtung eines speziellen Börsensegments im Ermessen der Börse.

Ich nenne Ihnen hier unsere wichtigsten Positionen zu Gründung/High-Tech:

DIE LINKE setzt auf den Ausbau eines offenen, unbürokratischen Fördersystems mit dem Schwerpunkt der Projektförderung statt einer generellen und wenig zielorientierten Steuerförderung ein. Die Projektförderung hat zudem den Vorteil der stetigen fachlichen Begleitung der KMU über den gesamten Prozess.

DIE LINKE will Anreize zur Förderung von forschungsintensiven Gütern („Hightech“) setzen. Dass dies funktionieren kann, zeigt u.a. der in Berlin stattfindende Gründungsboom im IT-Bereich. Hier wirken u.a. die unter LINKER Regierungsbeteiligung eingeführten Förderungen wie etwa bei Mikrokrediten und Geschäftsräumen, bei der Clusterung von IT-Startups sowie bei einer unbürokratischen One-Stop-Agency zur Unterstützung von Gründungen.

Eine gute, umfassende Bildung und Ausbildung ist Voraussetzung für die erfolgreiche Gründung eines Unternehmens oder den Schritt in die Selbstständigkeit. Gute Bildung gibt es aber nicht zum Nulltarif. DIE LINKE steht für einen entsprechenden bildungspolitischen Kurswechsel, der mehr Mittel (jährlich etwa 40 Mrd. Euro zusätzlich), engagiertes, hoch motiviertes und sozial abgesichertes Personal und moderne Institutionen braucht.

DIE LINKE unterstützt die öffentliche Gründungsförderung, besonders in strukturschwachen Regionen. Für den Fall des Scheiterns einer Gründung, eines Unternehmens und/oder der Selbstständigkeit muss es aber auch eine effektive soziale Sicherung geben. Deshalb sollten Kleinunternehmer/innen und Soloselbstständige in die sozialen Sicherungssysteme einbezogen werden. Außerdem lässt sich das Risiko von Unternehmensgründungen durch gemeinschaftliche Eigentumsformen mindern. Deshalb wollen wir neue Modelle (u.a. auf Genossenschaftsbasis) fördern, Selbstständige besser vernetzen und Gründungen erleichtern.

DIE LINKE stärkt mit ihren wirtschafts-, sozial-, steuer-, bildungs- und fiskalpolitischen Forderungen die Rahmenbedingungen für Startup Unternehmen, existierende KMU und erhöht die Kaufkraft der Bürgerinnen und Bürger. Nur dann können deren Produkte und Dienstleistungen überhaupt hinreichend nachgefragt werden.

Nicht allein Startups haben Schwierigkeiten bei der Finanzierung ihrer Ideen, da sie nicht genug Eigenkapital und keinen ausreichenden Zugang zu kostengünstigen Kreditlinien und anderen klassischen Finanzierungsformen haben. Wir setzen uns aus diesem Grund für die strikte Regulierung des Finanzsektors ein und wollen dessen konsequenten Umbau, um die Finanzierung für Unternehmen und Dienstleister besser und effektiver zu organisieren und wir setzen auf öffentliche Förderstrukturen und -banken. Wir wollen ökonomische Dynamik für den sozial-ökologischen Umbau nutzen und nicht unsinnige Geldanlage und Spekulation mit maximalen Renditen fördern.

Zu ihrer Frage nach der Wahlkampfstrategie: DIE LINKE ist die Partei zur Erneuerung des Sozialstaats. Wir werden gewählt, weil wir bei unseren Kernthemen ernst genommen werden und die Leute uns unsere Positionen abnehmen.

Zu einem neuen Sozialstaatsmodell gehört natürlich auch ein neues Wirtschaftsmodell. Dazu möchte ich auch auf meine über dreißigjährige Tätigkeit in der Memorandumgruppe verweisen, wo wir jedes Jahr zum 1. Mai ein ganzes Buch über alternative Wirtschaftspolitik herausgeben: http://www.alternative-wirtschaftspolitik.de/

Mit besten Grüßen,
MdB Dr. Axel Troost

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