Frage an Gustav Herzog bezüglich Arbeit und Beschäftigung

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Frage von Petra F. •

Frage an Gustav Herzog von Petra F. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sehr geehrter Herr Herzog,

mein Mann und ich sind Akademiker. Nach Ihrer Definition in Ihrer Antwort an H. M. leben wir also nicht prekär, da wir mehr als 6 Euro/Stunde verdienen. (Mein Mann erhält nach 10 Jahren Studium + Promotion im Alter von Mitte 30 in natur-/ingenieurwissenschaftlicher Forschung "stattliche" 2100 Euro im Monat, allerdings kommt seine "Stelle" bzw. Stipendium ohne Renten-, Arbeitslosigkeits-, Krankenversicherung, und ist, wie üblich, zeitlich befristet.)

"Nicht prekär" bedeutet in unserem Fall (und in dem der meisten unserer Kollegen), dass wir uns seit unseren Abschlüssen sowohl in der Industrie als auch an Unis von einer befristeten Stelle zur nächsten hangeln dürfen. Familienplanung ist unmöglich, da wir so von allen Elternschutzmaßnahmen wie Elternzeit, Kündigungsschutz in der Schwangerschaft ausgeschlossen sind, da der Arbeitgeber einfach unseren Vertrag auslaufen lässt. Trotzdem haben wir es gewagt, ein Kind zu haben, das inzwischen (im Alter von 4 Jahren) schon drei verschiedene Heimatstädte und 4 verschiedene Kitas/ Kindergärten kennenlernen musste, und der nächste Umzug steht bald an. Da in spezialisierten Fachgebieten wie bei uns der nächste Arbeitgeber auch nicht im selben oder Nachbarort zu finden ist, fallen bei jedem Vertragsende mehrere Tausende Euro Umzugskosten an, die alles, was wir bei unseren "astronomischen" Gehältern ansparen konnten, sofort wieder auffrisst. Familienleben, Freizeit und Urlaube werden von Bewerbungen/ Interviews, Umzügen.ä. aufgefressen. Wir hätten gerne noch weitere Kinder gehabt, da wir aber jetzt von der jahrelangen Unsicherheit schon völlig zermürbt sind und ich bei der nächsten Entscheidung, ob mein jetziger Vertrag verlängert werden kann (irgendein "Sachgrund findet sich immer), schon über 40 bin, ist dieser Zug endgültig abgefahren.

Warum ist ein solches Leben Ihrer Meinung nach nicht prekär? Warum hat man offenbar durch ein Studium das Recht auf Familie und Lebenssicherheit verwirkt?

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Sehr geehrte Frau Fuchs,

vielen Dank für Ihre ergänzenden Fragen und Anmerkungen zu Befristungen in akademischen Berufsfeldern.

Zur Klarstellung: Mit meiner bewusst zugespitzen These, auf die Sie sich beziehen wollte ich keineswegs in Abrede stellen, dass es natürlich auch für ArbeitnehmerInnen mit abgeschlossenem Hochschulstudium berufliche Lebensphasen gibt, die man völlig zu Recht als prekär bezeichnen kann. Das fängt ja schon für viele AbsolventInnen bei der Suche nach einem Arbeitsplatz an: Wie oft werden nur dürftig honorierte Praktika angeboten, von dem nach dem Praktikum in Aussicht gestellten festen Job ist dann aber bei Ende des Praktikums keine Rede mehr. Dieses Unwesen mit der „Generation Praktikum“ muss beendet werden und deshalb steht das bei uns ebenfalls im Regierungsprogramm!

Ich wollte mit meinem Vergleich lediglich deutlich machen, dass nicht alle befristet Beschäftigten pauschal „Opfer“ und prekär beschäftigt sind und bedaure sehr, dass Sie dadurch sich und Ihre Lebenssituation missachtet empfinden.

Wenn Sie vermuten, dass in Fällen wie dem Ihren ein von uns gefordertes Verbot sachgrundloser Befristungen wenig hilft, weil der Arbeitgeber dann halt immer Sachgründe (er)finden würde, so kann ich Ihnen versichern, dass wir flankierend zu solchen Gesetzgebungen auch gegen das Unterlaufen der Regelungen aktiv werden wollen.

Auch hier sehe ich wie gegenüber H. M. erwähnt eine wichtige Rolle der Betriebs- und Personalräte, da niemand in konkreten Fällen besser erkennen kann, ob Sachgründe zur Befristung vorgeschoben sind oder wohl begründet. Deshalb wollen wir deren Befugnisse auch erweitern. Voraussetzung ist da natürlich, dass Betriebe überhaupt Personalvertretungen haben und eine signifikante Zahl von MitarbeiterInnen Mitglieder einer DGB-Gewerkschaft sind. Ich erinnere mich noch gut an den Beginn vieler Start-Up-Unternehmen im IT-Bereich (die s. g. Dot.com-Unternehmen), als es auch für viele Angestellten der eigenen Selbstsicht widersprach, Mitglieder einer Gewerkschaft zu werden. Da hat sich zum Glück einiges geändert.

Sicher haben Sie Recht, dass es heutzutage falsch wäre, einen Studienabschluss mit einer Garantie für sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze gleich zu setzen. Nicht richtig ist aber wiederum die Verallgemeinerung, man verwirke mit einem Studium das Recht auf Familie und Lebenssicherheit. Gerne können wir uns darüber mal persönlich austauschen.

Anmerken möchte ich an dieser Stelle nur, dass es derzeit vor allem Menschen im Niedriglohnbereich mit einem fehlenden oder niedrigen Schulabschluss sind, die fast keine Chance auf eine auskömmliche Vollzeitbeschäftigung oder gar Aufstieg haben. Dass wir als Sozialdemokraten da u. a. mit einem Gesetzlichen Mindestlohn und einer Bildungsoffensive schon ab Kita-Alter was tun wollen ist doch klar, dass wir deshalb aber die Probleme anderer Menschen nicht ungelöst lassen wollen, ist ebenso klar.

Mit freundlichen Grüßen

Gustav Herzog