Frage an Harald Ebner bezüglich Landwirtschaft und Ernährung

Portrait Harald Ebner mit blauem Hemd vor grünem Hintergrund. Lächelnd.
Harald Ebner
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Hans-Joachim E. •

Frage an Harald Ebner von Hans-Joachim E. bezüglich Landwirtschaft und Ernährung

Guten Tag,
Sie sind Mitglied des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft. Dieser hat ´Experten´ zu Wort kommen lassen, die sich dafür aussprachen, dass das Pflanzenschutzmittel (haha) Glyphosat (weiterhin?) zugelassen werden sollte. Als Kompensation für diese Umweltschädigung seien größere Vogelschutzstreifen an den Feldrändern vorgesehen, die nicht bespritzt werden dürften.
Ich nehme an, Sie teilen nicht die Auffassung jener Experten, aber wie können Sie persönlich diese Haltung tragen, die letzlich unsere Erde ruiniert? Schlafen Sie noch gut? Was tun Sie gegen diese permanente Herausforderung der chemischen Industrie, die Sie oder den Ausschuss ständig zu Kompromissen zwingt?
Für eine ausführliche Antwort brdanke ich mich.
Hans-Joachim Ebel, Neu Darchau

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Ebel,

vielen Dank für Ihre Anfrage.

Wer wirklich und fast täglich über die Folgen nicht nur des Glyphosat-, sondern auch des gesamten Pestizideinsatzes in diesem Land und anderswo nachdenkt, der kann in der Tat nicht immer gut schlafen! Eben deshalb bewerte ich Glyphosat sehr kritisch und setze mich seit meiner Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag für eine wesentliche Reduzierung des Einsatzes von glyphosathaltigen Herbiziden ein. Meine Fraktion hat auf meine Initiative hin im Februar 2014 erneut eine umfangreiche Kleine Anfrage zum Thema Glyphosat gestellt, die Sie unter http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/012/1801250.pdf einsehen können.
Meine weiteren Aktivitäten der letzten Jahre zu diesem Thema können Sie auf meiner Homepage unter http://harald-ebner.de/themen/glyphosat/ nachvollziehen.

Im Gegensatz zur momentanen Einschätzung des Bundesamtes für Risikobewertung (BfR) sind die Zweifel an der gesundheitlichen Unbedenklichkeit von Glyphosat für Mensch und Tier nach meiner Einschätzung keineswegs ausgeräumt. Das BfR hat sich bei seiner Bewertung wesentlich auf Studien der Hersteller gestützt. Bislang existieren kaum unabhängige Langzeituntersuchungen zur Wirkung von Glyphosat. Nach wie vor ist seine Rolle im Zusammenhang mit der stark gestiegenen Krebs- und Missbildungsrate in den argentinischen Anbaugebieten für Gen-Soja (mit Glyphosattoleranz) nicht systematisch untersucht worden. Es ist für mich auch keineswegs normal oder unproblematisch, wenn nach einer Stichprobe des BUND bei der Mehrheit der deutschen Bevölkerung Rückstände eines Herbizids im Urin oder bei einer ähnlichen Untersuchung in den USA sogar in der Muttermilch zu finden sind.

Wissenschaftlich eindeutig belegt sind die negativen Folgen von Glyphosat für die Biodiversität. Ein aktueller Bericht des Umweltbundesamtes hat aufgezeigt (und damit die Ergebnisse anderer Studien bestätigt), dass der Einsatz von Totalherbiziden zu Lasten der eh schon geringen biologischen Vielfalt auf dem Acker geht (mehr Informationen zum Bericht finden Sie unter dem Link http://www.keine-gentechnik.de/news-gentechnik/news/de/29393.html ).
Wenn Ackerwildkräuter weitgehend von den Feldern verschwinden, leiden darunter auch Tiere wie Insekten und damit auch Vögel, die sich davon ernähren. Vogelschutzstreifen reichen aus unserer Sicht bei Weitem nicht aus, die genannten negativen Folgen zu kompensieren.

Vor diesem Hintergrund kämpfen wir Grüne auch gegen die Einführung von herbizidtoleranter Gentech-Pflanzen in Europa, weil wir aus Erfahrungen anderer Länder wissen, dass damit eine deutliche Steigerung beim Einsatz von Glyphosat und anderer Ackergifte verbunden ist. Obwohl bislang in Deutschland keine herbizidresistenten Gentech-Pflanzen angebaut werden, ist auch die Verwendung von Glyphosat hierzulande deutlich gestiegen, u.a. in Folge der zunehmenden Praxis der Sikkation (Spritzung zur Abreifebeschleunigung) u.a. bei Getreide. Wir fordern daher, dem Beispiel Österreichs zu folgen und die Sikkation zu verbieten. Dies hat auch der Bundesrat gefordert. Außerdem setzen wir uns dafür ein, dass Glyphosat nicht mehr von Personen ohne Sachkundenachweis (z.B. in Privatgärten) eingesetzt werden darf.

Ich teile Ihre Einschätzung, dass eine Landwirtschaft, die von der Agrochemie abhängig ist, weder nachhaltig noch zukunftsfähig für unseren Planeten ist. Das zeigen auch die äußerst besorgniserregenden aktuellen Forschungsergebnisse zu Umweltbedrohungen (z.B. schrumpfende Vogelbestände) durch systemische Pestizide (v.a. die bienengiftigen Neonicotinoide).

Die Landwirtschaft muss insgesamt deutlich ökologischer werden, um dem Artensterben wirksam zu begegnen und sie klimafreundlich zu machen. Daher haben wir uns auf allen Ebenen für ein umfassendes „Greening“ der EU-Landwirtschaft und eine klare Neuausrichtung der Agrarzahlungen eingesetzt. Wir wollen, dass in Zukunft das Prinzip „Öffentliches Geld für Öffentliche Leistungen“ gilt, d.h. die Agrargelder sollen an die Landwirte fließen, deren Arbeit auch dem Gemeinwohl besonders zu Gute kommt (Ökolandbau, Erhalt ökologisch wertvoller Kulturlandschaften, Klima- und Artenschutzmaßnahmen, artgerechte Tierhaltung etc.). Leider ist es uns nur in Ansätzen gelungen, hier Verbesserungen gegen die mächtige Agrarlobby durchzusetzen. Wir kritisieren vor allem, dass auch auf den ökologischen Vorrangflächen, die dem Erhalt der Biodiversität dienen sollen, Pestizide und Mineraldünger eingesetzt werden dürfen. Wie wir durch eine Studie des Umweltforschungszentrums Leipzig bereits heute wissen, wird diese Reform leider keinen nennenswerten Beitrag zum ursprünglichen Ziel des Artenschutzes leisten können (siehe http://www.ufz.de/index.php?de=32896 ). Dieses Versagen haben die Regierung Merkel und die Agrarlobby zu verantworten.

Als Mitglied einer kleinen Oppositionsfraktion habe ich nur beschränkte Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen. Wir Grüne thematisieren die genannten Probleme im Parlament und in der Öffentlichkeit und fordern einen Politikwechsel in der Agrarpolitik ein. Dazu gehören eine wesentlich bessere Förderung des Ökolandbaus, deutlich strengere Zulassungsverfahren für Pestizide, eine Forschungsoffensive für den biologischen Pflanzenschutz und ein klarer Reduktionsplan für Pestizide mit konkreten Maßnahmen und Teilschritten.
Um diese Ziele zu erreichen, brauchen wir mehr gesellschaftlichen Druck engagierter Bürgerinnen und Bürger vor allem auf die Regierungsmehrheit. Daher bitte ich Sie (sofern noch nicht geschehen), ihre Anfrage ebenfalls an die Ausschussmitglieder aus den Reihen der Großen Koalition zu richten.

Mit freundlichen Grüßen
Harald Ebner

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