Frage an Harald Gindra bezüglich Recht

Harald Gindra
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Frage von Oliver S. •

Frage an Harald Gindra von Oliver S. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Gindra,

ich bin ein politisch interessierter Jugendlicher und würde mich gerne bei Ihnen erkundigen, warum Sie der Meinung sind, dass die Stadt Berlin trotz vieler Kriminalität keine neuen Polizisten braucht?
Ich lese sehr viel Zeitung und lese dort jeden Tag von der Gewalt die bei uns ausgeübt wird (besonders in den Problembezirken). Einerseits bin ich der Meinung, dass wir mehr Polizisten brauchen und diese sollten auch die Möglichkeit haben, härter durchzugreifen, da ich auch schon häufig die Respektlosigkeit der Kriminellen gegenüber Polizisten gesehen habe (hierzu ein Video aus dem Internet: http://www.youtube.com/watch?v=6pQ2nCNls8A ), zudem bin ich der Meinung, dass Polizisten des Berufes wegen körperlich fit sein müssen, da laut der Aussage eines Bekannten, der bereits mit der Polizei Ärger hatte, hier zitiere ich :"Diese fetten Bullen sind zu lahm um uns zu kriegen" brauchen, andererseits bin ich der Meinung, dass wir mehr Aufklärung und härtere Strafen zu Abschreckung jugendlicher Straftäter brauchen.
Ich würde mich über eine Antwort freuen.

Mit freundlichen Grüßen
Oliver Scholz

Harald Gindra
Antwort von
DIE LINKE

Lieber Herr Scholz,

gerne beantworte ich Ihre Fragen bezüglich der Sicherheit in Berlin:

1) Zu "neuen Polizisten": Selbstverständlich wären mehr Polizisten wünschenswert. Insbesondere wenn sie sich dann an bekannten Gefahrenstellen und in den zahlreichen Stationen unseres guten weitverzweigten Öffentlichen Personennahverkehrs zeigen würden. Sie würden damit das Sicherheitsgefühl vieler Nutzerinnen und Nutzer erhöhen. Wie vieles "Wünschenwerte" in unserer Stadt, steht dies unter einem Finanzierungsvorbehalt. Die Länder Bayern (CSU/FDP-Regierung) und Baden-Württemberg (Grüne/SPD-Regierung) haben kürzlich erst berechtigt daraufhingewiesen, dass sich Berlin nicht dauerhaft darauf einrichten soll, ihre "Wohltaten" durch Finanztransfer aus "reichen" Bundesländern finanzieren zu lassen. Deshalb muss Berlin Prioritäten setzen: Wir geben mehr Geld pro Kopf für unsere Kinder und Schüler aus als andere Bundesländer. So für beitragsfreie Kitas, für eine flächendeckende hohe Versorgung mit Ganztagsschulen, mit vielen Plätzen an weiterführenden Schulen (hohe Quote von Abiturienten) und vielem mehr. Das sind Investitionen in die Zukunft: Unser Ziel ist kein Kind und keinen Jugendlichen fallenzulassen, sondern Allen Chancen zu eröffnen. Das ist auch eine Investition in Kriminalitätsprävention, weil ohne den Bildungszugang werden Kinder und Jugendliche entwurzelt, perspektivlos, unberechenbar und drohen in Kriminalität abzurutschen. Die Vorfälle in England vor kurzem sollten warnendes Beispiel dafür sein, was wiederkehrend ausbrechen kann, wenn der soziale Zusammenhalt nicht mehr stimmt.

2) Zu "härter durchgreifen" von Polizisten: Ich trete dafür ein, dass die Polizei rechtsstaatlich vorgehen muss. Dazu gehört die Angemessenheit polizeilichen Eingreifens. Es ist z.B. nicht angemessen einen flüchtenden (unbewaffneten) Schwarzfahrer/Ladendieb/Kleinkriminellen mit Schusswaffen zu bedrohen oder gar diese einzusetzen. Und das ist auch gut so! "Null-Tolleranz" ist oft ein Argument gegen Kleinkriminalität von der gleichen Personengruppe, die Steuerhinterziehung oder "Schmiergelder" als Kavaliersdelikte ansehen und die damit das ihre dazu beitragen, Kriminalität zu legitimieren. Im Kleinen wie im Großen geht es dann nur darum sich nicht Erwischen zu lassen. Je mehr in der Gesellschaft das Gefühl vorherrscht, dass es ohnehin nicht gerecht zu geht, um so mehr Leute werden ermutigt Grenzen/Gesetze nicht zu achten. Angemessenes und überprüfbares polizeiliches Handeln sorgt auch dafür, dass Respekt gegenüber Polizisten wächst. So führt auch die von diesem Senat erstmals in einem Bundesland eingeführte Kennzeichnungspflicht der Berliner Polizisten dazu, dass nun den Bürgerinnen und Bürger nicht mehr einer "anonyme Staatsmacht" gegenüber tritt, sondern dass viele Konflikte von Mensch zu Mensch leichter lösbar werden. Was Sie mir mit dem gestellten Video verdeutlichen wollten, war mir nicht ersichtlich. Eine Polizistin, die sich so verhielte, wie dargestellt, ist offensichtlich in Konfliktsituationen überfordert und sollte sich mangels eigener angemessener Reaktionsfähigkeit einen anderen Beruf suchen. Sie sprachen besonders "Gewalt in Problemkiezen" an. Dort finden die schlimmsten Vorfälle meist innerhalb des armen Milieus selbst statt. Sie müssen hauptsächlich mit sozialen Massnahmen, sozialer Integration und Perspektiven (Bildungsmöglichkeiten für die Jugend, siehe oben) zurückgedrängt werden. Was mich mehr beunruhigt, dass offenbar eine emotionale Verwahrlosung auch bei Jugendlichen aus "geordneten" Verhältnissen feststellbar ist. So das Beispiel, des gerade vor Gericht stehenden Gymnasiasten, der (für sein Umfeld unerwartet) betrunken so weit ausrastet, dass er zu lebensbedrohenden Gewalteinsatz fähig ist. Es scheint mir offensichtlich, dass solche Fragen nicht durch "mehr Polizei", "härter Durchgreifen" und "härter Bestrafen" gelöst werden kann. Sozialisierung in der Familie, vertrauensvolle Begleitung und öffentliche Unterstützung der Familien scheint mir da im Vordergrund.

3) "Härtere Bestrafung": Der Ansatz "härtere Strafen" = "höhere Abschreckung" = "geringere Kriminalität" können nach meiner Übersicht Fachleute nicht bestätigen. Wichtig ist: schnelle Aufklärung und Ahndung (der geltende Strafrahmen ist ausreichend), bevor sich ein sozialauffälliges Verhalten auf Dauer verfestigen kann. Bei dem Jugendstrafrecht steht mit Recht der erzieherische Anteil der Strafe im Vordergrund und Eröffnung von Chancen einen anderen Weg einzuschlagen. Was würde es nutzen beispielsweise Jugendliche wegen kleinen Delikten "hart" zu bestrafen und mit "schweren Jungs" zusammen einzusperren? Das würde nur zu einem unerwünschten "Wissenstransfer" und Identifikation mit harten Typen führen. Der "hartbestrafte" Jugendliche würden mit neuen Ideen und Tipps wieder in die Freiheit kommen. Berlin hat vor Jahren schon eine "Antigewalt-Kommission" eingerichtet, die mit Ursachenforschung und Entwicklung von Handlungsoptionen Politik und Verwaltung berät. "Intensivtäterkonzept" und "Neuköllner Modell" sind Stichworte, wie Aufklärung von Straftaten und erzieherische Bestrafung geschärft wurden. Es scheint zu wirken, weil tatsächlich seit Jahren die Jugendkriminalität statistisch rückläufig ist. Nur die gestiegene Aufmerksamkeit und mediale Beachtung von besonders brutalen Vorfällen (jetzt per Videoaufzeichnung bebildert, wiederholt gesendet und damit verstärkend wahrgenommen) täuscht ein anderes Bild vor.

Mit freundlichen Grüßen und besten Wünschen für die Zukunft
Harald Gindra