Frage an Harald Weinberg bezüglich Gesundheit

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Harald Weinberg
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Frage von Uwe-Jens G. •

Frage an Harald Weinberg von Uwe-Jens G. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrter Herr Weinberg,
den Medien entnehme ich, daß Sie sich aufgrund des Selbstbestimmungsrechts der Eltern gegen eine Impfpflicht aussprechen. Dazu habe ich folgende Fragen:
1) Jedes Recht findet seine Grenzen, sobald es "die Rechte anderer verletzt" (Artikel 2, Satz 1 GG). "enn ein ungeimpftes Kind ein anderes (oft auch ungeimpftes Kind) ansteckt, wird dann das "Recht auf körperliche Unversehrtheit" (des angesteckten Kindes) nicht auch verletzt? Wer trägt die Rechts- und anderen Folgen (z. B. finanzielle) in einem solchen Fall, wenn z. B. beim angesteckten Kind Komplikationen auftreten (z. B. bei den gerade diskutierten Masernerkrankungen eine Meningoenzephalitis)?
2) Es gibt genügend sinnvolle Beispiele in der Gesetzgebung (wie auch Rechtsprechung), in denen das gesellschaftliche bzw. öffentliche Interesse die privaten Interessen überwiegen. Ist es nicht im öffentlichen bzw. gesellschaftlichen Interesse, daß gerade KEINE Gefahr von Epidemien entsteht? Oder Grundstücksenteignungen beim Hochwasserschutz? Oder z. B. im Umweltinformationsgesetz § 8 Absatz 1: "... ist der Antrag abzulehnen, es sei denn, das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe überwiegt." Also warum sollte es gerade bei der Impfpflicht KEIN großes gesellschaftliches Interesse geben?
Mit freundlichen Grüßen
Uwe-Jens Greuel

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Sehr geehrter Herr Greuel,

vielen Dank für Ihre Nachricht. Meines Erachtens kann hier kein großes gesellschaftliches Interesse herhalten. Denn die Unversehrtheit der Person ist ein so starkes individuelles Recht, dass die Durchsetzung einer Impfpflicht zumindest einen Notstand erfordern würde. Dies ist bei weitem nicht gegeben. Außerdem müsste eine Impfpflicht ein geeigetes und zudem das Mittel mit dem mildesten Eingriff in Grundrechte sein, diesen Notstand zu beenden. Auch hier habe ich meine Zweifel. So gibt es z.B. auch ein großes gesellschaftliches Interesse, dass Menschen an pharmakologischen Tests teilnehmen, Blut oder gar Organe spenden. Ebenso könnte es von öffentlichem Interesse sein, dass ein Patient mit einer bakteriellen Infektionskrankheit diese mit Antibiotika behandeln lässt. Dennoch ist es nicht mit unserer Verfassung und Rechtsordnung vereinbar, jemanden zu diesen Maßnahmen zu zwingen.

Hier meine grundlegende Position zum Thema:

Bei der Debatte um die Impfungen stehe ich nicht auf der Seite der Impfgegner. Das wäre auch Unsinn, denn es gibt eine Reihe von Krankheiten, da ist die Wirksamkeit klar gegeben. Impfungen sind ein hervorragendes Mittel, um früher hunderttausendfach auftretende Krankheiten zu verhindern und gegebenenfalls sogar auszurotten. Die Debatte um die Impfung gegen Masern hat sich allerdings mittlerweile sehr auf die Frage einer wie auch immer gestalteten Impfpflicht verengt. Das verstellt meines Erachtens den Blick auf das, was uns tatsächlich weiterhelfen würde in dieser Situation, zumal eine Impfpflicht kaum durchsetzbar ist.

Was sind die Fakten? Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums liegt die bundesweite Impfquote für die erste Masernimpfung bei Schulanfängern mittlerweile bei 96,7 %. Für die zweite Masernimpfung werden inzwischen bundesweit 92,4 % erreicht (beide Zahlen sind von 2012). Der Unterschied zwischen der ersten Impfung und der zweiten Impfung ist nicht dadurch zu erklären, dass es sich bei den Eltern um quasireligiöse Impfgegnerinnen oder Impfgegner handelt. Denn dann hätten sie ihr Kind auch nicht das erste mal impfen lassen. Um die Viruszirkulation unterbrechen und die Masern eliminieren zu können, wären aber Impfquoten von mindestens 95% für beide Impfungen erforderlich. Dies wird bisher nur in zwei Bundesländern erreicht. Mit den bisherigen Mitteln konnte schon eine sehr ordentliche Steigerung der Durchimpfungsraten erreicht werden. 2004 lag die Erstimpfungsquote noch bei 93,5 Prozent und die Zweitimpfungsquote bei nur 65,7 Prozent.

Wir sollten daher alles daran setzen, die Impfquoten insbesondere für die zweite Impfung weiter zu erhöhen. Und hierfür stehen uns eine Menge Instrumente jenseits einer Impfpflicht zur Verfügung. So ist etwa die konsequente Mitarbeit der Ärztinnen und Ärzte gefragt. Überwiegend findet diese ja auch statt, es gibt aber auch praktizierende Ärztinnen und Ärzte, die Eltern nicht zu Impfungen raten oder sie sogar darin unterstützen, ihre Kinder nicht impfen zu lassen. Hier sollten sowohl die Ärztekammern als auch die Kassenärztlichen Vereinigungen mit ihren Mitteln für eine bessere Beratung sorgen. Ähnliches gilt für die Erhöhung der Quote bei der zweiten Impfung. Verbessert werden muss auch die Versorgung von Flüchtlingen. Ihnen muss automatisch und zeitnah zum Zeitpunkt der Einwanderung eine umfassende Impfung angeboten werden, auf die sie ja auch derzeit schon einen Rechtsanspruch haben. Auch notwendig wäre eine größere Unabhängigkeit bei den Experten der Ständigen Impfkommission, denn viele der Experten stehen gleichzeitig auf den Gehaltslisten von Pharmafirmen, die Impfstoffe produzieren. Dies schafft bei vielen Menschen überhaupt erst Misstrauen und macht sie zu Impfgegnern. Hier müssen wir gegensteuern. Wir brauchen sind pharmaunabhängige Studien. Und letztlich könnten auch eine bessere Ausstattung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes und setting-bezogene Impfangebote zu einer Erhöhung der Impfquoten beitragen. Und wenn wir das alles tun, dann sind die 2,6 Prozentpunkte auch zu schaffen - trotz einiger unbelehrbarer Impfgegner.

Stellen Sie sich folgende Situationen vor: Sie gehen zum Arzt. Situation A: Der Arzt untersucht und behandelt Sie, fragt aber nicht nach Impfschutz. Situation B: Der Arzt untersucht und behandelt Sie, empfiehlt Ihnen dringend, sich impfen zu lassen und erläutert Ihnen, weshalb das eine gute Idee ist. Situation C: Der Arzt untersucht und behandelt Sie, bittet Sie um ihr Impfbuch, das sie mit sich führen müssen und teilt Ihnen mit, dass er aufgrund gesetzlicher Bestimmungen gezwungen ist, sie zu impfen und Ihnen da keine Wahl bleibt. Zu welchem Arzt gehen Sie am liebsten?

Die Befürworter einer Impfpflicht stehen in der Pflicht zu erklären, wie diese durchzusetzen ist. Nach unserer Verfassung ist grundsätzlich niemand verpflichtet, sich Zwangsbehandlungen zu unterwerfen. Diesen Grundsatz würde eine Impfpflicht ignorieren. Ich bin mir sicher, dass ein wie auch immer gearteter Impfzwang keinen Bestand vor dem Bundesverfassungsgericht hätte. Selbst wenn man „nur“ den Schulbesuch davon abhängig machte, wäre das schwierig, denn schließlich besteht eine Schulpflicht. Ich habe auch noch kein Konzept einer Impfpflicht vernommen, das in verfassungsrechtlicher Sicht unbedenklich ist. Wer ist die überwachende Behörde? Wird der Arzt zum Gesundheitspolizisten? Was ist, wenn Menschen dann einfach den Arzt meiden? Die Befürworter einer Impfpflicht müssen sich fragen lassen, ob sie nicht das Vertrauensverhältnis zwischen Ärztin und Patient auf’s Spiel setzen.

Die Gesundheitspolitiker der Fraktion DIE LINKE im Bundestag sind alle davon überzeugt, dass eine Impfpflicht uns nicht weiter bringt. Und inzwischen rudert ja auch der Minister Gröhe zurück. Er hat wohl verstanden, dass das Problem der Durchsetzung so leicht nicht zu lösen ist.

Nach meiner festen Überzeugung werden wir höhere Impfquoten, für die ich ausdrücklich bin, nur über mehr Aufklärung und über die Kooperation der Ärzteschaft erreichen. Wenn wir einen Zwang brauchen, dann den Zwang, dass Ärztinnen und Ärzte Aufklärungsarbeit leisten müssen. Die allermeisten Patientinnen und Patienten folgen diesen Ratschlägen. Und die paar wenigen Unbelehrbaren, die dann immer noch keine Impfung wollen, die hält die Gesellschaft aus, da auch ohne sie die Quote von 95 Prozent deutlich überschritten werden kann, ab der der Herdenschutz greift. Außerdem würden es selbst mit Impfpflicht Menschen schaffen, sich dem zu entziehen.

Mit freundlichen Grüßen
Harald Weinberg MdB