Entscheidungsfreiheit über eigenen Körper auch bei Impfungen?

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Helge Lindh
SPD
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Frage von Hannes K. •

Entscheidungsfreiheit über eigenen Körper auch bei Impfungen?

Sehr geehrter Herr Lindh,
die Jugendorganisation Ihrer Partei wirbt mit dem Spruch "My body, my choice" ("Mein Körper, meine Wahl", z.B. hier: https://www.jusos-niedersachsen.de/gleichstellung/) für eine weitere Liberalisierung der Abtreibung. Würden Sie diese Devise auch bei der aktuellen Debatte über eine Impfpflicht gelten lassen?

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SPD

Sehr geehrter Herr K.,

vielen Dank für ihre Frage bezüglich meiner Position zur Einführung einer Impfpflicht. Gerne beantworte ich diese differenziert nach der Unterscheidung in eine einrichtungsbezogene und eine allgemeine Impfpflicht.

Die Fraktionen von SPD, Bündnis 90 / DIE GRÜNEN und FDP haben gemeinsam einen Gesetzentwurf zur Stärkung der Impfprävention gegen COVID-19 erarbeitet und in den Bundestag eingebracht. Hier wird eine einrichtungsbezogene Impfpflicht vorgesehen für Beschäftigte, die in einer besonderen Nähe zu besonders verletzlichen Personen arbeiten.

Wir wollen sicherstellen, dass Menschen, die aufgrund ihres Alters oder ihres Gesundheitszustandes ein besonders hohes Infektionsrisiko und ein besonders hohes Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf haben besser geschützt werden. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen oder auch in Einrichtungen der Eingliederungshilfe kommt hier eine besondere Verantwortung zu. Die Menschen, die ihnen zur Behandlung, Versorgung, Pflege oder Betreuung anvertraut sind, können sich zum Teil aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen. Leider ist es so, dass Schätzungen zufolge bei medizinischem Personal und Pflegepersonal trotz der vorhandenen Impfangebote noch relevante Impflücken bestehen. Ungeimpftes Personal stellt aufgrund der besonderen Nähe zu den anvertrauten Menschen in Einrichtungen ein zusätzliches Risiko dar. Deshalb wollen wir alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einrichtungsbezogen beispielsweise in Krankenhäusern, Tageskliniken, Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen, Entbindungseinrichtungen und voll- oder teilstationären Pflegeeinrichtungen zum Nachweis einer COVID-19-Impfung verpflichten, sofern keine medizinische Kontraindikation gegen die Impfung vorliegt. Das ist auch mit unserem Grundgesetz im Einklang. Die Pflicht, einen ausreichenden Impfschutz gegen SARS-CoV-2 aufweisen zu müssen, berührt zwar das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit, auch wenn die Freiwilligkeit der Impfentscheidung selbst unberührt bleibt. Der Eingriff ist aber in der verfassungsrechtlichen Abwägung angemessen, da die überragend wichtigen öffentlichen Ziele des Gesundheitsschutzes verfolgt werden.

Eine allgemeine Impfpflicht sieht diese Gesetzesinitiative nicht vor. Über eine allgemeine Impfpflicht wird der Deutsche Bundestag zeitnah unter Einbeziehung wissenschaftlicher Expertise und einer Einschätzung des Ethikrates beraten. Ich bin mir der Tragweite dieser Entscheidung bewusst, und werde meine Entscheidung unter sorgfältiger Abwägung der Argumente treffen. Zentral ist, dass es um eine Impfpflicht, nicht jedoch um einen Impfzwang geht. Eine Verknüpfung zur von Ihnen angesprochenen Positionierung der Jusos zu Fragen der Abtreibung sehe ich an dieser Stelle für nicht sachgerecht: Ein Schwangerschaftsabbruch betrifft die Mutter und ihre Schwangerschaft. Da sich das Coronavirus von Mensch zu Mensch überträgt, handelt es sich hier nicht um eine rein persönliche Entscheidung, ob und wie man sich vor Erkrankung und Übertragung schützt. Die Impfung hat hier zwingend auch eine soziale Komponente.

Im Übrigen wird in Deutschland ein Impfstoff nur dann zugelassen, wenn er alle drei Phasen des klinischen Studienprogramms erfolgreich bestanden hat. Diese nationalen und internationalen Qualitätsstandards gelten wie bei allen anderen Impfstoff-Entwicklungen auch bei der Zulassung einer Coronavirus-Impfung. Alle bisher in Europa zugelassenen Impfstoffe bieten einen guten Schutz und werden deshalb von der Ständigen Impfkommission empfohlen.

Mit freundlichen Grüßen

Helge Lindh

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