Frage an Jan Korte bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Portrait von Jan Korte
Jan Korte
DIE LINKE
97 %
32 / 33 Fragen beantwortet
Frage von Volker G. •

Frage an Jan Korte von Volker G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Korte,
wie stehen Sie zum derzeitigen demokratschen Stand in Deutschland ( Art. 146 GG/ Art. 144 GG )?? Warum wird bei wichtigen Entscheidungen ( EU, EURO, Lissabonner-Verträge, Neuverschuldung ) kein Volksentscheid herbeigeführt?? Das Volk ist doch noch Machthaber, oder!? Wieso ist Peter Gauweiler der einzige im Bundestag, der die Fehler der Lissabonner-Verträge erkannt hat ? Gibt es noch aufmerksame Beobachter im Bundestag, die das deutsche Volk vor Schaden bewahren? Ich verweise auf die Jarhundertlüge von Holger Fröhner. Will das Volk die Lissabonner -Verträge wirklich ?? Wann bekommt das deutsche Volk die Volksdemokratie zurück?Wie energisch werden Sie Ihren Einsatz gestalten gemeinsam mit Herrn Gysì?Sind die Unterschriften unter,egal welchen Verträgen der Regierung, noch legitim nach dem Wegfall des Geltungsbereiches der OMF-BRD-GmbH ???
Mit freundlichen Grüßen
Volker Götze

Portrait von Jan Korte
Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Götze,

vielen Dank für Ihre Anfrage, die ich wie folgt beantworten möchte:

In Fragen direkter Demokratie ist die Bundesrepublik Deutschland in der Tat nach wie vor ein EU-Entwicklungsland. DIE LINKE. fordert seit Jahren Volksbegehren und Volksentscheide auch auf Bundesebene. Bislang leider vergeblich.

Die schlichte Übernahme des alten Grundgesetzes in die neue Bundesrepublik, obwohl das Grundgesetz selbst eine Volksabstimmung über eine neue Verfassung vorsah (Art. 146 GG), war ein bewusster Sündenfall. Mehr Demokratie sollte verhindert werden. Dies war leider erfolgreich.

Der nächste Sündenfall war die Verweigerung einer Volksabstimmung über die künftige EU-Verfassung, obwohl in anderen Ländern die Bürgerinnen und Bürger selbst entscheiden können. Auch dies ist Ausdruck eines verkürzten Demokratieverständnisses.

Für DIE LINKE. ist es nicht hinnehmbar, dass in der derzeit herrschenden deutschen parlamentarischen Demokratie der Willen des Volkes nicht zählt und sich die gewählten Volksvertreter gegen die Mehrheit der Bevölkerung durchsetzen können. Als Beispiel genannt seien die Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre oder die Zustimmung zu Kriegseinsätzen Deutschlands.

Daher fordert DIE LINKE., auch auf Bundesebene eine dreistufige Volksgesetzgebung zuzulassen. Diese würde aus drei gestaffelten Schritten, beginnend mit der Volksinitiative, gefolgt vom Volksbegehren und abschließend dem Volksentscheid, bestehen. DIE LINKE. hat hierzu - wie auch schon in den vergangenen Legislaturperioden die PDS - einen eigenen Gesetzesentwurf eingebracht. Die Grundforderungen darin sind:

* Gesetzesvorlagen und Gegenstände der politischen Willensbildung können durch eine Volksinitiative von 100.000 Wahlberechtigten beim Deutschen Bundestag eingereicht werden.
* Für den 2. Schritt - dem Volksbegehren - bedarf es einer Zustimmung von 1 Million Wahlberechtigten innerhalb von 6 Monaten (2 Millionen bei Grundgesetzänderung).
* Entspricht der Deutsche Bundestag nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten dem Volksbegehren, so findet ein Volksentscheid statt, über den die Bürgerinnen und Bürger abstimmen und der bei Erfolg, dass heißt Mehrheit der abgegebenen Stimmen, auch für den Bundestag bindend ist.

Hinsichtlich Ihrer Fragen zum Vertrag von Lissabon möchte ich Sie etwas korrigieren:

Nicht nur Peter Gauweiler hat die Fehler des Vertrags von Lissabon erkannt, auch DIE LINKE. lehnt den Vertrag ab, da er eine neoliberale Wirtschaftsordnung festschreibt, Aufrüstung fördert und die Demokratie schwächt.

Ich habe, wie die gesamte Bundestagsfraktion DIE LINKE, gegen den Vertrag von Lissabon gestimmt. Gegen das Zustimmungsgesetz ist unsere Fraktion im Wege des Organstreitverfahrens beim Bundesverfassungsgericht vorgegangen. Ich selbst habe wie alle anderen Abgeordneten meiner Fraktion gegen das Gesetz Verfassungsbeschwerde eingelegt. DIE LINKE war damit die einzige Fraktion, die dem Vertrag von Lissabon sowie dem Begleitgesetz die Zustimmung verweigerte und eine Grundgesetzänderung für eine Volksabstimmung über den Vertrag von Lissabon verlangte.

Durch die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht wurde die Demokratie zumindest auf nationaler Ebene gestärkt: Das Bundesverfassungsgericht hat bestätigt, dass der Einsatz der Bundeswehr auch im Rahmen europäischer Missionen nur dann erfolgen kann, wenn der Deutsche Bundestag dem zustimmt. Auch bei allen anderen europäischen Belangen erhält der Bundestag in Zukunft deutlich mehr Beteiligungsrechte. Dennoch sind wir damit noch lange nicht zufrieden und setzen uns für eine weitere Demokratisierung der Europäischen Union ein - und damit weiter für eine andere vertragliche Grundlage.

DIE LINKE. hat sich überdies dafür eingesetzt - und wird dies auch weiterhin tun - Volksentscheide durchzuführen, wenn die europäischen Verträge in wesentlichen Punkten geändert werden. Dies hat auch die CSU gefordert, sie hat diesem wichtigen Baustein eines bürgernahen, demokratischen Europa jedoch im Laufe der Verhandlungen zu den Begleitgesetzen immer weniger Gewicht beigemessen. Bedauerlich aber wahr: DIE LINKE ist die einzige konsequente politische Kraft wenn es um die Einführung von mehr direkter Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland und in Europa geht!

Ich hoffe hiermit Ihre komplexen und weitreichenden Fragen einigermaßen zufriedenstellend beantwortet zu haben.

Mit freundlichen Grüßen,

Jan Korte

Was möchten Sie wissen von:
Portrait von Jan Korte
Jan Korte
DIE LINKE