Frage an Jürgen Trittin bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Jürgen Trittin
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Hans-Günter G. •

Frage an Jürgen Trittin von Hans-Günter G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Trittin,

die Grünen - angetreten als eine Öko-und Friedenspartei und nun mutiert zur Befürworterin von Kriegseinsätzen in sogenannten Krisengebieten und Sympathisantin der Atomlobbypartei FDP, möchte ich Sie fragen, warum Sie eine Ampelkoalition mit SPD/FDP/Grüne, einer Rot-rot-grünen-Koalition vorziehen wollen?

Wenn Sie den Atomausstieg und den Mindestlohn fordern und erreichen wollen, glauben Sie ernsthaft, dass dies mit der FDP zu erreichen ist?

Warum wollen Sie über 10 % Wähler der LINKEN boykottieren und ausschließen, einer Partei die wie Ihre aus der Sozialdemokratie erwuchs und die größten Gemeinsamkeiten mit Ihren Zielen und Forderungen hat?

Sollten Sie argumentieren, dass eine Koalition mit den Linken schon deswegen unrealistisch wäre, weil die SPD jegliche Zusammenarbeit mit den LINKEN verweigert, so wäre dies fatal.
Würden nicht viele Wähler zu der Einsicht kommen müssen, dass der Atomausstieg, der Mindestlohn und ein Abzug Deutscher Soldaten aus Afghanistan, nur mit den LINKEN zu verwirklichen ist?

Mit freundlichen Grüßen
Hans-Günter Glaser

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Glaser,

sicherlich ist die inhaltliche Nähe zu den Linken viel größer als zur FDP. Mir geht es aber nicht darum, die Frage zu beantworten, mit wem erträume ich mir eine Koalition, sondern welche realistische Koalition ist möglich um eine Große Koalition sowie eine Koalition aus FDP und CDU/CSU zu verhindern. Und da sieht es mit Rot-Rot-Grün schlecht aus:

Zehn Jahre nach seinem verantwortungslosen Rücktritt will Lafontaine nicht regieren, sondern Recht haben. Nicht weil sie inhaltlich überzeugt ist , sondern weil man mit einem solchen Programm die Bundesrepublik nicht regieren können, ließ die Parteiführung der PDL ein nationalistisches, antieuropäisches Europaprogramm beschließen, zieht mit der politischen Rechten um Gauweiler gegen den EU-Verfassungsvertrag nach Karlsruhe und schoss alle Reformer von den Listen.

Sie haben dafür ein sehr rationales Motiv. Der Versuch zu regieren, würde ihnen den Laden auseinanderreißen. Schon eine Position, die die Grünen seit 1996 einnehmen (damals in der Opposition), dass Deutschland sich an UN-Blauhelm-Einsätzen beteiligen solle, ist weder in Fraktion noch auf Parteitagen der Linken mehrheitsfähig. Ein Gysi, der so etwas versuchte durchzusetzen, wird erneut grausam scheitern.

In der Tat sollten die Grünen die Lafontaine-Partei nicht als Paria behandeln – aber wir sollten sie auch nicht romantisieren. Sie redet von 8.50 € Mindestlohn und zahlt, wo sie regiert 5.30 €. Sie redet von mehr direkter Demokratie und ist verbal gegen Privatisierungen, würgt aber in Berlin ein Volksbegehren zur Rekommunalisierung der Wasserbetriebe ab. Sie will angeblich die Gewerkschaften und die Arbeitnehmer stärken – aber Berlin ist aus der Tarifgemeinschaft ausgestiegen und bezahlt seine Lehrer so mies, dass sie in Scharen in andere Länder fliehen.

Doch anders als in Berlin – und demnächst im Saarland oder Thüringen - will und kann die Linke im Bund nicht regieren. Und die SPD nicht mit ihr. Die geht eher als Juniorpartner in eine große Koalition, als mit Lafontaine zu reden – und da hilft auch alles bemühte Brückenbauen durch grüne Bewährungshelfer nichts.

Der Unwille und die Unfähigkeit der Linken zu regieren und der Unwille der SPD mit ihr nur zu reden, wird nicht von Dauer sein. Aber er wird sich nicht in den nächsten Monaten auflösen. Für die Bundestagswahl 2009 gibt es keine rot-rot-grüne Option. Egal, wem man dafür in Haftung nimmt. Es so wie es ist. – ob man es bedauert oder froh darüber ist.

Sollen Grüne, weil Lafontaine zur Stärkung des eigenen Ladens das Wahlziel Große Koalition ausgerufen hat, weil die SPD lieber Große Koalition macht, als einer linken Mehrheit zu einer politischen Mehrheit zu verhelfen, uns jetzt resignierend trollen und die Große Koalition akzeptieren?

Rot-Grün-Gelb ist keine schöne Perspektive. Die Erfahrungen mit den Ampel-Koalitionen von Bremen und Brandenburg aus der Mitte der 90er belegen, wie schwierig SPD-Grüne-FDP-Koalitionen sind.

Die FDP steht in den meisten Fragen nicht an unserer Seite, sondern ist Gegner unserer Politik – in der Energiepolitik, in der Sozial- und Wirtschaftspolitik. Da können auch gelegentliche Gemeinsamkeiten in der Europa- und Abrüstungspolitik nicht drüber hinweg täuschen. Betrachtet man die drei Parteien SPD, Grüne und FDP zusammen er gibt sich ein deutlich anders Bild als bei Jamaika.

In Fragen der sozialen Gerechtigkeit und der Atompolitik wie der Erneuerbaren Energien stehen Grüne und SPD der FDP gegenüber, in Fragen der Industriepolitik und der Kohlepolitik haben FDP und SPD mehr gemein, in Fragen des Datenschutz gegenüber dem Staat oder von kleinen Unternehmen dagegen Grüne und FDP, während beim Verbraucherschutz die FDP die Interessen der Wirtschaft gegenüber Grüne und SPD hochhält…

Ich plädiere dafür unter diesen Bedingungen diese sehr schwierige, sehr unbequeme, aber einzig realistische Alternative ernsthaft auszuverhandeln. Wenn eine glaubwürdige Vereinbarung mit grüner Handschrift dabei rauskommt, schließt man ab. Wenn keine Umsetzung grüner Politik möglich ist, akzeptiert man die Niederlage und geht aufrecht in die Opposition.

Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Trittin