Frage an Kai Gehring bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Kai Gehring
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Frage von Niels M. •

Frage an Kai Gehring von Niels M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Guten Tag Herr Gehring,
es mag wieder einmal ein ungünstiger Zufall gewesen sein, doch die Ereignisse der letzten Tage verdeutlichen eins: der Terror will auch in Deutschland Fuß fassen. Am Köln- Bonner Flughafen werden 2 Terrorverdächtige festgenommen, 2 werden unter Mithilfe der Bevölkerung gesucht und 3 Jungendliche aus Köln wollten 2 Polizisten in einen Hinterhalt locken und damit den Auftakt für den Dschihad in Deutschland einläuten. Angesichts dieser Vorfälle muss ich ganz offen gestehen, dass es mich mich nicht beruhigt, die Sicherheit des Volkes und des Staates in Händen der Polizei zu sehen, die offen zugab, bei der Abhörung und Beobachtung der festgenommenen Terrorzellen im Sauerland überfordert gewesen zu sein. Früher wäre meine Antwort auf den Terror folgende gewesen: Hier lebende Menschen mit Migrationshintergrund insbesondere aus den südlichen Ländern müssen einen besseren Zugang zu Bildung haben, um so die Chancen und Perspektiven auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Doch wird nun deutlich, dass nicht nur perspektivlose Jugendliche empfänglich für radikales Gedankengut sind (wie auch der Altersdurchschnitt der NPD im Vergleich zu anderen Parteien zeigt), sondern auch der "Bürger von nebenan", der vielleicht auch arbeitslos ist, aber dennoch alle Vorbereitungen für einen Anschlag aus dem Geld der verrufenen Klasse Hartz IV finanzieren konnte (Sauerlandzelle). Was ist Ihrer Meinung nach nötig, um die Religion zu "entradikalisieren", d.h. den Menschen zu zeigen, dass der Islam eine friedliche Religion ist? Reicht es aus riesige Moscheen zu bauen und dies als Akt der Integration zu feiern, wenn weiterhin der Gottesdienst auf arabisch gehalten wird und im Innenhof der Gebäude Einkaufszentren, Sporthallen usw. entstehen, wo deutsch höchstwahrscheinlich nicht die Handels- und Umgangssprache sein wird? Wodurch kann man den Dialog zwischen Muslimen, Christen und Juden in Deutschland fördern, dass wir wirklich eine multikulturelle Gesellschaft werden?

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Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Meyer,

die Diskussion über die Integrationsfähigkeit des Islam wird hierzulande gerade besonders leidenschaftlich geführt. Wichtig ist für uns als grüne Bundestagsfraktion , dass der Islam neben Christentum und Judentum in Deutschland eine gleichgestellte Religionsgemeinschaft werden muss. Um dies zu erreichen, gibt es selbstverständlich verschiedene Wege, über die man streiten und beraten kann.

Eine präventive Jugendpolitik zum Beispiel setzt auf Integration, Befähigung, Chancengerechtigkeit und Teilhabe aller in Deutschland lebenden Jugendlichen - unabhängig von ihrer kulturellen Herkunft. Wir benötigen daher den Ausbau einer niedrigschwelligen, kultursensiblen und interkulturellen Jugendarbeit. Deren Ziel muss der Abbau von sozialen, kulturellen und sprachlichen Barrieren zwischen allen in Deutschland lebenden Jugendlichen sein. Neben einer guten Ausbildung sind ein gemeinschaftliches, interkulturelles und bestenfalls sozialräumlich orientiertes Jugendfreizeitangebot sowie außerschulische Bildungs- und Lernorte hierzu notwendige Schritte.

Jugendarbeit, Jugendverbände und die politische Bildungsarbeit müssen sich zudem verstärkt interkulturell öffnen. Sie müssen Jugendliche mit Migrationshintergrund fördern und ihnen gleichzeitig Integration auf der Basis unserer Regeln und Grundhaltungen - die vor allem das Grundgesetz vorgibt - abverlangen. Eine integrationsfreundliche Jugendarbeit sollte neben kultursensiblen und interkulturellen Angeboten für alle Jugendlichen auch Angebote zur Selbstorganisation von Jugendlichen aus Einwandererfamilien umfassen.

Wir haben ausdrücklich begrüßt, dass die Bundesregierung im Rahmen der Deutschen Islamkonferenz einen ernsthaften Dialog mit den Muslimen in Deutschland über die rechtliche Gleichstellung des Islam führt. Die Gleichstellung ist ein wesentliches Element der "Einbürgerung" des Islam, die wir seit Jahren fordern. Ein institutionalisierter Dialog zwischen Staat und Muslimen ist längst überfällig.

Wir sind davon überzeugt, dass die Integration der hier lebenden Muslime in unserem eigenen Interesse ist: Auf dem Nährboden sozialer Probleme sind auch in Deutschland fundamentalistische Strömungen im Islam entstanden, denen immerhin rund 1% der hierzulande lebenden Muslime zuzurechnen sind. Wir sind der festen Überzeugung, dass diesen Gruppierungen am besten der Boden entzogen werden kann, indem wir die Herausbildung eines europäischen Islams mit demokratischen Werten ermöglichen und fördern. Problematisch ist in diesem Zusammenhang beispielsweise, dass viele der Imame, die in Europa lehren, in Ausbildungszentren im Nahen Ostens ausgebildet wurden, auch in Saudi Arabien. Diese Zentren sind in den letzten Jahren immer radikaler und aggressiver geworden. Wir Grünen setzen uns deshalb dafür ein, dass islamische Lehrer und Rechtgelehrte ihre Ausbildung in Deutschland machen oder zumindest eine Prüfung unter staatlicher Aufsicht machen müssen. Daher fordern wir auch den Ausbau von Lehrstühlen für islamische Religion an deutschen Hochschulen.

Es muss überdies für muslimische Gemeinden möglich sein, ihre Religion auszuüben. Moscheen sind dabei sinnvoller als improvisierte Gebetszimmer im Hinterhof. Moscheen sollten dabei nicht nur in den Randzonen unserer Städte errichtet werden. Muslime müssen gemäß dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes die gleichen Möglichkeiten der Religionsausübung bekommen, wie sie Christen und Juden in Deutschland schon haben.

Die rechtliche Gleichstellung des Islam ist von größter Bedeutung bei der Verwirklichung einer erfolgreichen Integration dieser Menschen. Wir haben ein klares Interesse daran, fundamentalistische Kräfte zurückzudrängen und demokratisch orientierte Kräfte zu fördern. Zu rot-grünen Regierungszeiten haben wir daher Sicherheitsgesetze verschärft, ohne das Freiheit und Sicherheit, Bürgerrechte und Schutzinteresse aus der Balance geraten wären. Eine rechtliche Verbesserung der Stellung des Islam in Deutschland würde die gesellschaftliche Teilhabe der Muslime am gesellschaftlichen Leben in Deutschland fördern und wäre damit ein gewichtiger Beitrag zur ihrer Integration.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen meine Position hiermit verdeutlichen.

Mit freundlichen Grüßen
Kai Gehring

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