Frage an Kai Gehring bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

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Kai Gehring
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Frage von Anika R. •

Frage an Kai Gehring von Anika R. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

Sehr geehrter Herr Gehring,

die Probleme im deutschen Bildungssystem sind hinlänglich bekannt: Die Zahl der Akademiker steigt zu langsam, es fehlen Ingenieure, für Bildung steht zu wenig Geld bereit und die Durchlässigkeit des Systems ist gering. Kurzum: Das Bildungssystem in Deutschland begünstigt wenige und benachteiligt viele.

Meine Fragen an Sie lauten daher:

1) Was möchten Sie in Deutschland – speziell bei der Akademiker-Ausbildung – ändern, damit die Zeichen auf Innovation statt auf Stillstand stehen? (Bitte lassen Sie Ihre parteipolitische Brille im Etui!)

2) Wann und in welcher Form hatten Sie in der Vergangenheit bereits Gelegenheit, diese Ziele voran zu bringen?

Für die Beantwortung meiner Fragen möchte ich mich vorab bedanken und verbleibe

Mit freundlichen Grüßen
Anika Rekers

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Rekers,

herzlichen Dank für Ihre Frage. Ich stimme Ihnen zu, dass angesichts des bestehenden und sich weiter verschärfenden Mangels an Fachkräften und Akademikern in Deutschland alles getan werden muss, damit kein Talent ungenutzt bleibt.

Grundsätzliches Ziel der Bildungspolitik muss nach meiner Auffassung sein, von Beginn an für gleiche Bildungschancen für jedes Kind zu sorgen. Fehlende Krippen- und Kindergartenplätze und der Mangel an Studienplätzen sorgen dafür, dass die Zugänge zu Bildung verbaut werden.

Hinzu kommt, dass das deutsche Schulsystem ein massives Gerechtigkeitsproblem hat. Internationale Schulleistungsstudien zeigen, dass in Deutschland die Wahrscheinlichkeit besonders gering ist, dass ein Arbeiter- oder Migrantenkind auf ein Gymnasium wechselt. Diese soziale Auslese setzt sich im Laufe der Bildungsbiografie immer weiter fort. Schon heute studieren nur 17 Prozent der Arbeiter-Kinder, aber 83 Prozent der Akademiker-Kinder.

Wir sind im Moment in der erfreulichen Situation, dass es - aufgrund doppelter Abiturjahrgänge und geburtenstarker Jahrgänge - besonders viele Schulabgänger mit Abitur oder Fachhochschulreife gibt. Allerdings herrscht in Deutschland ein eklatanter Studienplatzmangel und existieren zahlreiche Zugangshürden zum Campus wie flächendeckende Numeri Clausi, unsoziale Studiengebühren und ein bundesweites Zulassungswirrwarr. Ohne diese Missstände gäbe es viel mehr Studienanfänger und weniger Studienverzicht.

Rund 700.000 Studierende mehr dürften in den nächsten Jahren an die Hochschulen strömen. Damit die Prognose Wirklichkeit wird, haben wir Grünen im Bundestag vorgeschlagen, in den nächsten Jahren einen Hochschulpakt II zu verabschieden, mit dem in den nächsten Jahren alle Studierwilligen einen Platz an den Hochschulen finden können.
Uns ist dabei wichtig: Wir wollen Masse und Klasse für die Hochschulen. Darum muss der neue Hochschulpakt, der ab 2011 gelten soll, erheblich mehr ausfinanzierte Studienplätze sowie bessere Studien- und Lehrbedingungen garantieren als sein Vorgänger. Aufgrund von Konstruktionsfehlern im Hochschulpakt I wurden die Ausbauziele für 2007 klar verfehlt. Mehrere unionsregierte Bundesländer haben sogar Studienplätze ab- statt ausgebaut.

Bei der Akademiker-Ausbildung liegt mir neben dem Ausbau der Studienplatzkapazitäten die bessere Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses am Herzen. Es gibt in Deutschland zu wenig Forscherinnen und Forscher. Auch entscheiden sich zu wenige junge Menschen für eine Karriere in der Wissenschaft. Angesichts des demografischen Wandels und der Anforderung der Wissensökonomie muss dieser fatalen Entwicklung von Bund, Ländern und den anderen Wissenschaftsakteuren entgegengesteuert werden. Wir Grünen fordern in einen Bundestagsantrag,
* mehr Promotionsstellen und Graduiertenkollegs zu schaffen. Daneben muss auch für Promovierende mit Stipendien die Anbindung an Hochschulen und Forschungseinrichtungen erleichtert werden,

* mehr für die Verbreitung der Juniorprofessur zu tun. Von Beginn an müssen klare Bedingungen für die weitere Karriereplanung feststehen, dazu soll eine dem angelsächsischen "tenure track" entsprechende Planbarkeit der Karriereschritte geschaffen werden. Wo die Habilitation als Qualifikationsweg bestehen bleibt, muss gewährleistet werden, dass sie in größerer wissenschaftlicher Unabhängigkeit als bisher durchgeführt werden kann,

* die Gleichstellung der Geschlechter umfassend durchzusetzen. Mit dem Professorinnenprogramm der Bundesregierung allein ist sicherlich nicht alles Mögliche und Notwendige für mehr Chancengerechtigkeit für Frauen getan. Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen müssen sich zu messbaren und realistischen Steigerungsquoten des Frauenanteils verpflichten,

* zudem müssen unsere Hochschulen familienfreundlicher werden - andernfalls müssen sich Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler weiterhin zwischen Kind und wissenschaftlicher Karriere entscheiden. Gerade für junge Männer hat die Kombination "Kinder, Küche, Kolloquium" absoluten Seltenheitswert.

Zentral ist es darüber hinaus, die akademische Ausbildung selbst zu verbessern. Dazu brauchen wir umfassende Strategien zur Verbesserung der Lehre und ihrer Qualität (auch dazu haben wir mehrfach Anträge gestellt), wozu u.a. auch ein Wettbewerb für innovative und herausragende Lehre gehört. Daneben muss bei der Umstellung auf Bachelor und Master umgesteuert werden: Die neuen Studiengänge sind oftmals überstrukturiert. Wir brauchen daher u.a. eine zeitliche Flexibilisierung der Dauer des BA-Studiums, um Mobilitäts- und Zeitfenster z.B. für Auslandssemester und Praktika zu schaffen. Über diese und weitere Initiativen finden Sie bei Interesse weiterführende Informationen auf meiner Website unter www.kai-gehring.de.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen hiermit einen Überblick geben, wie wir in Deutschland zu mehr Akademikern und zu einer besseren akademischen Ausbildung kommen können.

Mit freundlichen Grüßen
Kai Gehring

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