Frage an Katja Kipping bezüglich Wirtschaft

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Katja Kipping
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Frage von Ralf O. •

Frage an Katja Kipping von Ralf O. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrte Frau Kippling,

Ist es nicht schizophren, dass die Linkspartei gegen den ESM-Vertrag klagt, aber die Eurobonds befürwortet?? Die Eurobonds und die Bankenunion würden die völlige Enteignung der deutschen Sparer (inklusve Kleinverdiener) bedeuten.Die Eurobonds würden vielleicht 3-4 Jahre Linderung bei der Spekulation bringen, auf dass diese dann auf erhöhter Stufe wieder einsetzt.Ich selber war bisher ein linker Wähler, aber seltsamerweise sind alle Linken (SPD, Grüne, Linkspartei) für die Eurobonds und bei den Piraten wird es sich erst am Programmparteitag im Herbst 2012 entscheiden. Daher überlege ich ernsthaft, ob ich nicht Merkel/CDU oder die Freien Wähler wählen soll, da Frau Merkel die beste Garantie gegen Eurobonds und Bankenunion zu sein scheint ("Solange ich lebe").Wobei auch das relativ ist: Die EU steht gerade vor der Wahl wieder die EU ohne Euro zu werden, die sie von 1990 bis 2002 war und die ja ganz gut funktionierte--oder aber in der politischen und ökonomischen Integration voranzuschreiten (siehe Schäubles Vorstellungen zu einer politischen Union im SPIEGEL-Interview: EU-Kommission wird in eine EU-Regierung umgebaut mit einem EU-Präsidenten an der Spitze, der vom europäischen Volk oder dem europäischen Parlament gewählt wird. Die Natiopnalstaaten in einer zweiten Kammer--aber nicht föderalistisch wie der Bundesrat, sondern zentralistisch: Die Nationalstaaten können nichts mehr blockieren. Eine neue deutsche und europäische Verfassung mittels eines Europareferendums). Wie stehen Sie zu Schäubles Vorstellungen UND:.Welche Gegenargumente würden Sie mir offerieren, damit ich nicht Merkel wähle?

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DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Ostner,

vielen Dank für Ihre Frage.

Die beiden genannten Haltungen sind nicht schizophren, sie bedingen sich vielmehr. Eurobonds haben den Vorteil, dass die Kapitalmärkte nicht mehr einzelne Länder der Eurozone unter Druck setzen können, indem sie die Renditen und damit die Zinsen für neue Kredite in die Höhe treiben. Außerdem entsteht ein großer Markt, der bis auf 5.000 Milliarden Euro anschwellen könnte. Kapitalanleger schätzen große und liquide Märkte. Zum Vergleich: Bundesanleihen werden in einem Volumen von rund 1.100 Milliarden Euro und US-Anleihen im Volumen von rund 9.200 Milliarden Euro gehandelt.

Allerdings müsste Deutschland durch die Einführung der Eurobonds zukünftig für seine Neuverschuldung mehr Zinsen zahlen als bei den alten Bundesanleihen. Den Unterschied kann man heute grob an der Differenz zwischen der Rendite für die Anleihen des European Financial Stability Facility (EFSF) und einer Bundesanleihe mit gleicher Laufzeit abschätzen. Die Anleihen des Euro-Rettungsfonds EFSF sind quasi Eurobonds, da die Mitgliedsländer für sie in Höhe eines festgelegten Anteils gemeinsam haften. Die Zinsdifferenz zwischen einer Bundesanleihe und einer EFSF-Anleihe liegt momentan bei 1,4 Prozent. Da auch Deutschland heute schon haftet und enorm von der EU und dem Euro profitiert, ist es aber fraglich, ob die Mehrbelastungen durch die um 1,4 % ansteigenden Zinsen nicht eine preiswertere und klügere Lösung sind, als einzelne Staaten in den Staatsbankrott zu treiben. Viel wichtiger als Eurobonds einzuführen ist aber aus meiner Sicht, diejenigen mit zum Abbau der Staatsschulden heranzuziehen, die sie mit verursacht haben. Die Verschuldungen haben sehr konkret den Übernahmen der Verluste aus den Spekulationsgeschäften der Banken in der Krise 2008 zu tun. Nur ein Beispiel: Damals ist die Staatsverschuldungsquote von Griechenland von ca. 107 % auf 163 % angestiegen.

Was wir jetzt brauchen, das ist ein europäischer Solidarpakt, der einen Dumpingwettlauf der sozialen Leistungen der Staaten in Europa sowie der Löhne und Gehälter verhindert. Zur Lösung der Finanzkrise benötigen wir eine stärkere Besteuerung der Vermögen und hohen Einkommen sowie eine stärkere Regulierung der Banken – vielleicht sogar eine Aufteilung einzelner Großbanken. Banken müssen auch Pleite gehen können. Es kann nicht sein, dass jeder kleine Unternehmer sein wirtschaftliches Risiko trägt, Banken aber ihre Verluste dem Steuerzahler überhelfen können. In diesem Zusammenhang sollten wir tatsächlich auf mehr europäische Regulierung und auf einen europäischen Sozialstaat setzen - diese muss allerdings demokratisch erfolgen. Hierzu brauchen wir Volksabstimmungen und einen Ausbau der Rechte des europäischen Parlaments.

Zum Schluss ein Bitte: Lassen Sie sich nicht einreden, dass die Eurobonds ein Angriff auf die Sparguthaben und Lebensversicherungen der kleinen Sparer sind. Eurobonds sind vielmehr ein Mittel der europäischen Staaten, sich solidarisch gegen die dreisten Spekulationsangriffe der Finanzwirtschaft zu verhalten. Sie dienen damit sogar der Stabilität Ihrer Spareinlagen. Denn nichts macht sie unsicherer, als ein auseinanderbrechendes Europa.

Mit freundlichen Grüßen
Katja Kipping