Frage an Katrin Göring-Eckardt bezüglich Arbeit und Beschäftigung

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Katrin Göring-Eckardt
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Frage an Katrin Göring-Eckardt von Detlef R. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sehr geehrte Frau Göring-Eckardt,

im Grundgesetz wird die Unantastbarkeit der Menschenwürde garantiert. Wie kann es sein das trotz vieler Diskussionen, Debatten und Sitzungen dieses Recht um das Thema "Arbeit muß sich wieder lohnen" einen großen Bogen macht? Wenn ein Mensch 8 Stunden täglich arbeitet um für sich und seine Familie den Lebensunterhalt zu verdienen, wie kann es sein das dieser Arbeitnehmer aufgrund der total heruntergewirtschafteten Lohn- und Finanzpolitik trotzdem gezwungen ist Hilfe in Form von Hartz IV zu beantragen? Was hat das noch mit Menschenwürde zu tun? Dieser Staat, der sich immer wieder damit rühmt so demokratisch und sozial zu sein lässt nach wie vor zu das Menschen zu Dumpinglöhnen arbeiten müssen und finanziert durch entsprechende Unterstützung noch die Geldgier der Unternehmen. Sollte man nicht die Unternehmen, die diese Dumpinglöhne zahlen, in die Pflicht nehmen? Überall muß gespart werden, jetzt zahlen wir auch noch für die Steuersünden der Griechen, wie kann es sich der Staat da noch leisten lieber Unterstützung zu zahlen als den Unternehmen auf die Finger zu hauen? Jede Firma die nachweislich Gewinn erwirtschaftet hat meines Erachtens nicht das Recht mit irgendwelchen fadenscheinigen Begründungen Dumpinglöhne zu zahlen, was jedoch leider an der Tagesordnung ist. Frau Merkel möchte wieder mehr auf Einhaltung der Tarife achten. Was soll das? Kennt diese Frau nicht die realen Zahlen der Tarife? Was nutzen Tarife die mich trotzdem zwingen bei Vater Staat betteln zu gehen? Das Geld, was die ganze Zeit in Unterstützungen fliest, nur weil die Unternehmen sich hinter fadenscheinigen Begründungen verstecken, könnte wesentlich besser eingesetzt werden wenn man endlich mal davon abkommen würde diese Dumpinglöhne noch zu unterstützen.

Mit freundlichen Grüßen
Detlef Ritter

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Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Detlef Ritter

Besten Dank für Ihr Schreiben vom 16. Mai 2010, in dem Sie Ihre Bedenken und Fragen zu dem Thema Mindestlöhne dargestellt hatten.

Mit der Einführung von Mindestlöhnen, dem Progressiv-Modell zur Reform der Sozialversicherungsbeiträge und besseren Hinzuverdienstmöglichkeiten im SGB II haben die Grünen grüne Konzepte vorgelegt, die die Rahmenbedingungen für existenzsichernde Arbeit verbessern.

Lohndumping und Unterbietungskonkurrenz zu Lasten von Löhnen und Arbeitsbedingungen von Beschäftigten sind ein wachsendes Problem in Deutschland. Seit Mitte der 90er Jahre ist die Armutsquote von Erwerbstätigen sogar stärker gestiegen als in den USA. Vergleicht man die Jahre 1995 und 2006, so ist der Niedriglohnanteil um 43 Prozent angewachsen.

Wir sind der Auffassung, dass Deutschland schon längst zu verbindlichen Regelungen für Mindestarbeitsbedingungen hätte kommen müssen, um die Lohnspirale nach unten zu stoppen. Seit 2004 liegen unsere Vorschläge dazu vor. Wiederholt haben wir seit 2005 parlamentarische Initiativen dazu gestartet. Tarifverträge und die Regelungskraft der Sozialpartner bieten keinen hinreichenden Schutz gegen Fehlentwicklungen mehr. In den vergangenen Jahren haben tariflich organisierte Branchen mit sehr niedrigen Entgelten genauso zugenommen wie tariflich nicht organisierte Bereiche mit Niedriglöhnen.

Die Bundesregierung hat zur Eindämmung von Lohndumping nicht annähernd das geleistet, was eigentlich notwendig ist. Als Ergebnis der bisherigen Gesetzgebung bleibt Deutschland in Sachen Mindestlohn ein durchlässiger Flickenteppich. Mindestens drei Viertel der Beschäftigten im Niedriglohnsektor werden von den Gesetzesänderungen, die die damalige Koalition aus CDU/CSU und SPD verabschiedet hat, überhaupt nicht erreicht.

Nach dem Willen der neuen Regierungskoalition aus FDP und CDU/CSU soll es keinen allgemeinen Mindestlohn geben. Die bisher erreichten Branchenlösungen werden sogar zur Disposition gestellt: Eine Evaluierung soll bis Oktober 2011 klären, ob die bisherigen gesetzlichen Lösungen für Branchenmindestlöhne aufgehoben werden können. Schwarz-Gelb will also nicht nur nichts gegen das aktuell stattfindende Lohndumping tun, die Koalitionäre wollen Niedrigstlöhne auch noch deutlich ausweiten. Dank CDU/CSU und FDP wird der Niedriglohnsektor einen echten Konjunkturschub erleben.

Auch das gesetzliche Verbot sittenwidriger Löhne ist reine Augenwischerei, es kann Mindestlöhne nicht ersetzen. Das geplante Verbot schreibt nur fest, was durch einschlägige Rechtssprechung bereits längst klar ist: Löhne, die 30 Prozent unter den branchen- oder ortsüblichen Tarifen liegen, sind nicht erlaubt. Für Friseure in Sachsen, deren unterster Tariflohn bei rund 3€/Stunde liegt, wäre demzufolge erst ein Lohn von weniger als 2€/Stunde sittenwidrig. Die Grünen finden, der Schutz vor Lohndumping muss weit vorher beginnen.

Deshalb fordern wir, die Schlupflöcher umgehend zu schließen und einen zuverlässigen Schutz von Niedrigstlöhnen in Deutschland sicherzustellen. Dazu haben wir ein Modell vorgeschlagen, das keine Löcher und Falltüren hat und Mindestlöhne für alle Beschäftigten in allen Branchen einführt:

- Wir wollen die Aufnahme aller Branchen ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Eine Beschränkung auf Tarifverträge einzelner Branchen - wie bisher - ist weder europarechtlich geboten noch inhaltlich gerechtfertigt.
- Wir schlagen die Einrichtung einer Mindestlohn-Kommission nach dem Vorbild der Low-Pay Commission in Großbritannien vor. Die Mindestlohn-Kommission setzt sich aus Vertretern der Sozialpartner und der Wissenschaft zusammen. Sie wird die Höhe der Mindestlöhne unter umfassender Berücksichtigung der sozialen und ökonomischen Auswirkungen festlegen.
- Wir wollen eine generelle Lohnuntergrenze festschreiben, die mindestens 7,50€/Stunde beträgt und von der Mindestlohn-Kommission festgelegt und jährlich angepasst wird. Die festgelegte Grenze ist für alle verbindlich und darf von keinem Betrieb und in keinem Beschäftigungsverhältnis unterschritten werden. Mit dieser Untergrenze wird zukünftig Lohndumping zu Lasten der Beschäftigten und Steuerzahler wirksam verhindert.
- Wir wollen die Einführung von branchen- und regionalspezifischen Mindestlöhnen ermöglichen, die über der allgemeinen Lohnuntergrenze liegen. So können Mindestarbeitsentgelte für einzelne Wirtschaftszweige bundesweit oder regional auch oberhalb der Lohnuntergrenze festgesetzt werden und allgemeine Gültigkeit erhalten.
- Wir wollen die Möglichkeit zur Allgemeinverbindlicherklärung von regionalen Tarifverträgen durch die zuständigen Landesbehörden, um die Tariftreueregelungen bei öffentlicher Auftragsvergabe in den Bundesländern auch weiterhin effektiv anwenden zu können und Lohndumping und bodenlosen Unterbietungswettbewerb bei der Ausführung öffentlicher Aufträge so zu verhindern.

Bisher gibt es keine allgemeine Lohnuntergrenze. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz wurde bisher lediglich für weitere acht Branchen geöffnet, um tarifliche Mindestlöhne allgemeinverbindlich zu machen. Das bleibt weit hinter den Anforderungen zurück. Nicht aufgenommen wurde zum Beispiel die Zeitarbeit mit rund 700.000 Beschäftigten. Ohne Schutz bleiben auch hunderttausende Beschäftigte in anderen Branchen wie der Gastronomie und der Fleischerei, die ebenfalls von Niedrigstlöhnen gefährdet sind oder bereits zu Dumpinglöhnen arbeiten.

In den bestehenden Gesetzen sind außerdem Bestimmungen enthalten, die den Schutz vor Niedrigstlöhnen in großem Umfang durchlöchern. Lohndumping bleibt weiterhin Tür und Tor geöffnet, da ein Vorrang für bestehende Tarifverträge vorgesehen ist. Damit wird die Friseurin in Sachsen auch weiterhin mit drei Euro pro Stunde abgespeist. Der Tarifausschuss bekommt außerdem eine Vetomöglichkeit. Die Spitzenorganisation der Arbeitgeber kann so tarifliche Mindestlöhne verhindern, die von den Sozialpartnern in der Branche vereinbart wurden. Diese Löcher und Falltüren gibt es in unserem Modell nicht.

Wir meines es Ernst mit dem Schutz vor Lohnarmut. Wir wollen, dass Armut trotz Arbeit ein Ende hat. Ich hoffe, ich habe ihnen meine Argumente für die Notwendigkeit von Mindestarbeitsbedingungen in Deutschland verständlich darlegen können. Wir werden weiterhin alle möglichen parlamentarische Initiativen starten, damit das Lohndumping in Deutschland ein Ende hat.

Mit freundlichen Grüßen,

Katrin Göring-Eckardt

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