Frage an Kersten Artus bezüglich Wirtschaft

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Kersten Artus
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Frage von Wiebke H. •

Frage an Kersten Artus von Wiebke H. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrte Frau Artus,

um am 22/September die für mich richtige Entscheidung treffen zu können, würde ich gern von Ihnen wissen, wie Sie zu dem unseligen deutschen Kammerwesen stehen.

Jeder, der in Deutschland ein Gewerbe anmeldet, wird automatisch und ohne gefragt zu werden, Mitglied – besser gesagt Zwangsmitglied - einer Kammer. Die allermeisten dieser Zwangsmitglieder haben nicht den geringsten Nutzen von dieser Mitgliedschaft. Im Gegenteil, sie werden dazu verdonnert, teils horrende Beiträge zu zahlen, für die sie keinerlei Gegenwert erhalten. Und wenn sie dann tatsächlich einmal den Versuch unternehmen, Unterstützung von der jeweiligen Kammer zu erhalten, hält diese als erstes wieder die Hand auf und gewährt Hilfe ggf. nur gegen Bares. Das ist unverschämt! Außerdem erdreisten sich die Mitarbeiter – insbesondere die sog. höheren Chargen – permanent sich zu allen möglichen Themen, die sie in der Regel gar nichts angehen, in der Öffentlichkeit zu äußern und behaupten dann auch noch, "die Wirtschaft/das Handwerk usw." des jeweiligen Bundeslandes zu vertreten, was ganz sicher nicht zutrifft! Das drücken allein die Beteiligungszahlen bei den sog. Kammerwahlen aus.

Die Betreuung von Auszubildenden gehört, genau wie die allgemeine Schulbildung, in die Hand des Staates. Dafür bräuchte man also schon mal keine Kammern. Im- und Exportfirmen z.B., die Hilfe bei irgendwelchen Formalien brauchen, können sich diese auch woanders als bei den Handelskammern holen. (Dort müssen sie dafür auch extra zahlen.) Also braucht es auch dafür keine Anstalt öffentlichen Rechts mit Zwangsmitgliedern. Und wer meint, dass er unbedingt so etwas wie einen Berufsverband braucht, kann sich ja gern mit Gleichgesinnten zusammenschließen und einen entsprechenden Verein gründen, dem dann jeder der mag, freiwillig beitreten kann. Die Kammern jedenfalls halte ich für so unnötig wie einen Kropf!

Sind Sie bereit, sich in der nächsten Legislaturperiode dafür einzusetzen, dass das Kammerwesen abgeschafft wird?

Mit freundlichem Gruß

Wiebke Hildener

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DIE LINKE

Liebe Frau Hildener,

vielen Dank für Ihre Frage! Sie sprechen ein Thema an, das mich bereits seit geraumer Zeit beschäftigt.

Die Pflichtmitgliedschaft von gewerblichen Unternehmen in den Industrie- und Handelskammern ist seit Jahren heftig umstritten, wie Petitionen an den Deutschen Bundestag, Briefe an die Abgeordneten und Umfragen immer wieder zeigen.

In Hamburg hat sich insbesondere die Handelskammer zu einer Institution entwickelt, die mit ihrem ursprünglichen Gründungszwecks nicht mehr viel gemein hat.Die Handelskammer Hamburg ist an etlichen Unternehmen kapitalmäßig beteiligt, hierzu zählen die HKBis Handelskammer Hamburg Bildungs-Service eGmbH, die HKS Handelskammer Hamburg Service GmbH, die HSBA Hamburg School of Business Administration, die Feuer und Flamme für Hamburg GmbH. Abgesehen von Beteiligungen, an denen die HK Hamburg wie alle anderen Kammern im Bundesgebiet auch beteiligt ist, gehören hierzu noch die Bürgschaftsgemeinschaft Hamburg GmbH, das Hamburger Weltwirtschaftsinstitut HWWI gGmbH, die Hamburg Marketing GmbH, die Gesundheitswirtschaft Hamburg GmbH, die IHK Gesellschaft für Informationsverarbeitung GmbH, die SSM Studiengang Sicherheitsmanagement gGmbH, die HWF Hamburgische Gesellschaft für Wirtschaftsförderung mbH, die Hamburg Tourismus GmbH, die BioAgency AG, die Bewerbung Universiade Hamburg 2015 GmbH, die Süderelbe AG, die hySolutions GmbH, die HaGG Hamburger Gesellschaft für Gewerbebauförderung mbH. Eine Satzungskonformität können wir hier nicht erkennen.

Ich bin daher der Auffassung, dass es bei den IHK gravierende Mängel und Fehlentwicklungen gibt.

Die IHK-Beiträge belasten – in Relation zum jeweiligen Gewerbeertrag – Kleinst- und Kleinbetriebe ungleich stärker als Großkonzerne. Die IHK orientieren sich zu sehr am Bedarf der Großunternehmen, obwohl gerade diese die Mittel hätten, um ihre Probleme selbst zu lösen. Auf einigen Gebieten, wie etwa bei Lehrgängen und Gutachten, tritt die IHK in Konkurrenz zu den eigenen Mitgliedern auf – bisweilen zu nicht kostendeckend kalkulierten Preisen. Ausbildungsbetriebe beklagen ungerechtfertigt hohe Registrierungs- und Prüfungsgebühren. Entgegen dem IHK-Gesetz, das eine „abwägende und ausgleichende“ Vertretung von Gesamtinteressen der Kammermitglieder verlangt, werden von IHK-Vorständen häufig einseitige Interessen vertreten. Unangemessene Repräsentanzkosten und unsinnige Werbekampagnen widersprechen dem gesetzlichen Auftrag ebenso wie unnötig hohe Ausgaben für Mehrfachbesetzungen von Geschäftsführerposten. Die in den IHK-Satzungen enthaltenen Transparenz- und Demokratiegebote haben sich in der Praxis häufig ins Gegenteil verkehrt, in Intransparenz und „Klüngelwesen“.

Ich fordere - zunächst - die Befreiung von IHK-Beiträgen für Kleinst- und Kleinbetriebe bis zu 30.000 Euro Gewerbeertrag und eine Reform der Industrie- und Handelskammern. Bei einer grundlegenden Reform des IHK-Gesetzes von 1956 wären folgende Eckpunkte zu berücksichtigen:

Die IHK werden verpflichtet, ausschließlich im Sinne ihrer Kernaufgaben – der Dienstleistungen für die Mitgliedsfirmen – tätig zu werden und auf diese Weise die Mindereinnahmen, die aus einer neuen Beitragsregelung resultieren, zu kompensieren. Die IHK werden zu umfassender und strikter politischer Neutralität verpflichtet, da jede Stellungnahme zu politischen Themen die Interessen bestimmter Kammermitglieder verletzen kann. Die Nutzung von Kammereinrichtungen als einseitige Interessenvertretung der Arbeitgeber ist ebenso zu unterbinden wie die Verflechtung von Arbeitgeberverbänden mit den Kammern. Um Kostenbewusstsein, Demokratie und Transparenz zu befördern, werden für Geschäftsführung, Veröffentlichungspflichten, Rechenschaftslegung sowie für die Teilhabe und die Repräsentanz der Kammermitglieder strenge Mindeststandards festgelegt. Den IHK ist jeglicher Wettbewerb mit den eigenen Mitgliedern zu untersagen. Bei den Industrie- und Handelskammern wird eine qualifizierte Mitbestimmung eingeführt. Alle Organe der Kammern sind paritätisch durch Betriebsinhaberinnen und Betriebsinhaber und Arbeitnehmervertreterinnen und Arbeitnehmervertreter zu besetzen.

Ich werde mich außerdem dafür einsetzen, dass in der neuen Bundestagsfraktion die Abschaffung der Zwangsmitgliedschaften, sowohl bei den Handels- als auch bei den Handwerkskammern zielorienteirt und zügig geführt wird.

Freundliche Grüße

Kersten Artus