Frage an Kerstin Andreae bezüglich Finanzen

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Kerstin Andreae
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Frage an Kerstin Andreae von Klaus S. bezüglich Finanzen

Sehr geehrte Frau Andreae,

in einer Antwort zum ESM haben Sie gesagt:

"Der deutsche Vertreter im Gouverneursrat des ESM darf einem entsprechenden Beschlussvorschlag dort nur zustimmen, wenn der Bundestag dieses Votum erteilt hat, sonst nicht."

Folgendes möchte ich Ihnen entgegnen:

1.
Gemäß Artikel 4,8 werden die Stimmrechte eines Mitglieds, das den Beitrag zum Stammkapital des ESM nicht einzahlen kann ausgesetzt und neue Stimmrechtsschwellen berechnet. Die Anzahl der Abstimmungsberechtigten verringert sich dadurch und effektiv verschwindet dadurch das Mitglied aus Abstimmungen.

Nach Artikel 8,5 bleiben auch ESM Mitglieder zum Einzahlen von Stammkapital verpflichtet wenn diese selbst ESM Hilfe erhalten.

=> Die Verpflichtung eines ESM Mitglieds zur Zahlung bleibt bei Finanzhilfe bestehen, es verliert aber seine Abstimmungsberechtigung. Das nationale Parlament kann in diesem Fall keine Macht mehr ausüben.

2.
Jeder Cent Guthaben der im System ist, ist an anderer Stelle im System durch ein Cent Schulden gedeckt. Guthaben und Schulden sind zinsbehaftet. Wenn Sie 100 Euro besitzen, besteht im System verteilt eine Schuld von mindestens 100 Euro. Legen Sie das Geld zu 1% an, erhöht sich Ihr Guthaben um 1 Euro aber auch die Schuld im System um 1 Euro. Durch diesen Zins und Zinseszins entsteht im System eine exponentielle Vermehrung von Schulden und Guthaben. Eine Eigenart davon ist es, dass sich Schulden und Guthaben dort anhäufen, wo sie bereits groß sind. Kapital und physischer Besitz werden dadurch in die Hände von immer Wenigeren getrieben. Dies trifft für jeden und auch für Staaten zu. Der ESM wird an diesem Grundproblem nichts ändern, er festigt aber die Macht des Systems über uns alle, indem wir unwiderruflich (durch die Zahlschuld) am ESM hängen und der ESM selbst rechtlich unangreifbar ist.

Sehen Sie das nicht als erfolgreichen Staatsstreich des Kapitals?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Saalfeld,

vielen Dank für Ihre Anmerkungen zum ESM auf die ich gerne näher eingehen möchte.

Die Abstimmungsberechtigung kann nur dann entzogen werden, wenn ein Staat sich weigert, seine Einzahlungen zu leisten. In einem möglichen Hilfspaket an den ESM würden einzuzahlende Kapitalbeträge berücksichtigt. Ein Verlust des Stimmrechts wäre also nur möglich, wenn ein Staat sich grundsätzlich weigert, seinen bereits parlamentarisch bestätigten Verpflichtungen aus dem ESM nachzukommen. Es ist doch nur selbstverständlich, dass die Verpflichtung zur Einhaltung eines völkerrechtlichen Vertrags nicht in dem Moment erlischt, in welchem eine Partei den Vertrag einseitig kündigt. Gleichzeitig wäre es ein unhaltbarer Zustand, wenn ein solches Mitglied weiter stimmberechtigt wäre. Wer willentlich Völkerrecht bricht, kann nicht gleichzeitig Schutzrechte beanspruchen.

Nach Ansicht einiger Zinskritiker steigt alleine durch die Verzinsung von Kapital die Geldmenge im Finanzsystem und "trocknet" so den Wirtschaftskreislauf aus. Das würde dann passieren, wenn der risikofreie Anlagezins in einer Volkswirtschaft dauerhaft deutlich über der Inflationsrate läge. Das ist aber empirisch nicht zu belegen. Die kurzfristigen Zinsen für Bundesanleihen als risikolose Referenzanleihe sind aktuell negativ, während die Inflationsrate in Deutschland bei nahe 3% liegt. Damit sind die Realzinsen derzeit deutlich im negativen Bereich. In einer solchen Situation sprechen die Fachleute von einer „finanziellen Repression“, d. h. die Realzinsen sind niedriger als die Inflationsrate. Die Zinsen für Kredite an Privatpersonen liegen natürlich höher. Dies liegt daran, dass Banken zurecht ihre Ausfallrisiken in den Zins mit einpreisen sowie eine Marge für ihre Fixkosten (Gehälter, Gebäude, IT) berechnen. Der Wettbewerb zwischen den Banken funktioniert in Deutschland sehr gut – im Ausland wird Deutschland gelegentlich auch als „overbanked“ bezeichnet – sodass diese keine Kreditzinsen verlangen können, die deutlich oberhalb ihrer eigenen Marge liegen. Erst in diesem Fall würde aber eine Übertragung der Geldmenge aus dem Wirtschaftskreislauf zu Banken erfolgen.

Von diesen theoretischen Überlegungen abgesehen, wäre ein Verbot von Zinsen praktisch kaum durchsetzbar. Sofort würde ein blühender Schwarzmarkt entstehen, auf welchem sich die Kapitalgeber für die hohen (rechtlichen) Risiken weitaus höhere Zinsen bezahlen ließen als bisher. Historisch betrachtet gab es auch einige Gesellschaften, die ein Zinsverbot ausgesprochen haben. Dort kam es entweder zum Entstehen eines solchen Schwarzmarktes, oder es wurden Möglichkeiten zur Zahlung einer Kompensation geschaffen, die Zinsen zumindest sehr ähnlich sind (wie z.B. beim "Islamic Banking").

Ich teile ihre Analyse der Probleme, möchte diese aber durch eine grundlegende Änderung unseres Finanzsystems, und nicht unseres Geldsystems, beheben. Geschehen soll dies durch eine effiziente Finanzmarktaufsicht, eine Schuldenbremse für Banken (leverage ratio), eine europäische Finanztransaktionssteuer sowie die volle Gewinn- und Steueranrechnung für Gehälter und Bonifikationen ab 500.000 Euro.

In den letzten drei Jahren ist die Staatsverschuldung in Deutschland rapide um mehr als 400 Mrd. Euro auf insgesamt über 2 000 Mrd. Euro angestiegen. Der Bund musste Garantien im Umfang von über 150 Mrd. Euro zugunsten maroder Banken bereitstellen, um das Finanzsystem zu stabilisieren. Hinzu kommen milliardenschwere Konjunkturpakete, die den Absturz der Wirtschaft gebremst haben. Bislang dauert die Krise unverändert an und die Schätzungen für die Kosten der Krise steigen noch immer. Diese gigantische Finanzierungslast kann nur unter Mithilfe starker Schultern, d.h. von den Reichsten der Bevölkerung getragen werden. Daher befürworte ich die Einführung einer einmaligen Vermögensabgabe analog zum Lastenausgleich. Ein Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag meiner Fraktion zeigt, dass auch bei hohen persönlichen Kinder- und Betriebsfreibeträgen ein großes Aufkommen realisierbar ist. Die Vermögensabgabe ist maßvoll und fair, sie belastet weniger als ein Prozent der Deutschen mit einem moderaten Solidarbeitrag und sie wird voll und ganz zur Schuldentilgung verwendet.

Mit freundlichen Grüßen

Kerstin Andreae MdB