Inwiefern ist die ständige Erweiterung des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes mit dem Grundsatz der Harm Reduction vereinbar? Werden nicht durch das Verbot ständig neue, unerforschte Drogen eingeführt?

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Kirsten Kappert-Gonther
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Christian Z. •

Inwiefern ist die ständige Erweiterung des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes mit dem Grundsatz der Harm Reduction vereinbar? Werden nicht durch das Verbot ständig neue, unerforschte Drogen eingeführt?

Sehr geehrte Frau Dr. Kappert-Gonther,
die Problematik ist ihnen wahrscheinlich vertraut: Sog. RCs/Legal Highs werden im Internet teils als Ersatz für bestehende Drogen, teils als ganz neue Substanzen verkauft. Um diesen Substanzen "Herr zu werden", hat die Bundesregierung 2016 das NpSG eingeführt, das ganze Stoffgruppen verbietet und den Besitz entkriminalisiert. Eine Evaluation der Nürnberger Fachtagung für innovative Drogenarbeit aus dem Jahr 2018 zeigt, dass das Gesetz nicht in der Lage war, die Nachfrage zu verringern, und dass die Chemiker*innen trotzdem Wege gefunden haben, die Gesetze zu umgehen, indem sie noch weiter abgewandelte Substanzen mit uneinschätzbaren Gesundheitsfolgen produzieren.
Halten Sie es für hilfreich, dieses offensichtlich wenig hilfreiche Gesetz in der jetzigen Form wiederholt zu erweitern und dadurch eine erneute Gefährdung von Konsument*innen durch neue Lückenstoffe in Kauf zu nehmen?

iska-nuernberg.de/impulse/kraus_fachtagung_impulse2018.pdf

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Z.,

vielen Dank für Ihre Frage. Wir stehen für eine Drogen- und Suchtpolitik, die auf wirksame Prävention und Jugendschutz, auf Entkriminalisierung und Selbstbestimmung setzt. Grundsätzlich befürworten wir Grüne wirksame und frühzeitige Ansätze, die Abhängigkeit und riskante Konsumformen verhindern oder zumindest verringern. Das Neue-Psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NPSG) hat sich nicht bewährt. Das Katz-und-Maus-Spiel um das Verbot immer neuer psychoaktiver Stoffe können die Behörden nur verlieren. Die Konsument*innen wissen oft gar nicht mehr, was sich hinter den neuen chemischen Formeln verbirgt und welche Risiken diese Produkte haben. Jugend- und Gesundheitsschutz bleiben auf der Strecke. Stattdessen müssten Konsumierende besser über die Substanzen informiert werden. Zur Harm Reduction soll Drug Checking angeboten werden und die Suchthilfe ausgebaut werden. Mit dem Evaluationsbericht zum NpSG ist deutlich geworden, dass der Ansatz der Entkriminalisierung stärker in den Blick genommen werden sollte. Dass Konsument*innen im Internet nach (noch) legalen Produkten mit Rauschwirkung suchen, ist leider auch die Konsequenz einer jahrzehntelangen Prohibitionspolitik. Zudem Teil handelt es sich dabei auch um Ausweichkonsum in Bezug auf Cannabis. Mit der kontrollierten Abgabe von Cannabis, die von der Ampel-Koalition auf die Agenda gesetzt wird und für die wir Grüne schon sehr lange gestritten haben, kann hier eine Umlenkung in einen legalen Markt, in dem es Regeln für den Jugend- und Gesundheitsschutz gibt, erfolgen. Mit reinen Verboten kann jedenfalls kein Drogenproblem gelöst werden.

Mit freundlichen Grüßen,

Kirsten Kappert-Gonther

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