Frage an Marco Bülow bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Marco Bülow
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Frage von Rudolf E. •

Frage an Marco Bülow von Rudolf E. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Bülow,

Sie werden zitiert: "Eigentlich ist es unsere Aufgabe als Abgeordnete, nicht alles mitzumachen. Aber es ist heute so, dass man sich rechtfertigen muss, wenn man nicht zustimmt. Wahrheiten auszusprechen ist nicht beliebt."

Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang Äußerungen Ihres Fraktionskollegen Scheer, der der gewählten Abgeordneten Dagmar Metzger nahelegt, auf ihr Mandat zu verzichten. Hat er / man Ihnen das auch schon bei abweichender Meinung nahegelegt?

R.E.

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Sehr geehrter Herr Eigenstein,

zunächst vielen Dank für Ihre E-Mail vom 12. März 2008 auf die ich gerne antworten möchte. Sie zitieren mich richtig. Es stimmt, dass ich der Meinung bin, dass man als Abgeordneter nicht alles mitmachen soll, was die Fraktion sagt, sondern durchaus seine Meinung sagen soll. Ich finde es wichtig, wenn man über Themen diskutiert und sich nicht nur damit zufrieden gibt, möglichst wenig zu kritisieren, nur um ein ruhiges Abgeordnetendasein zu führen. Ich persönlich habe schon zu vielen Themen meine Meinung pointiert vorgetragen, auch wenn sie nicht der Mehrheitsmeinung entsprach.

Allerdings halte auch ich eine gewisse Fraktionsdisziplin in einer Fraktion für notwendig, wenn jeder machen würde was er will, hätten wir ein ziemliches Chaos und damit wäre die Politik kaum regierungsfähig. Jeder Abgeordneter muss wissen, dass die Bürgerinnen und Bürger dem Kandidaten vor allem ihre Stimme geben, weil er/sie die Partei wählen, für die die/derjenige antritt. Persönliche Sympathien gibt es natürlich auch, aber deswegen bekommen die meisten Kandidaten nicht so viele Wählerstimmen.

Kein Abgeordneter kann alle Gesetzesvorhaben lesen, alle Fachrichtungen durchdringen und zu allen Themen Experte sein. Deshalb gibt es eine sinnvolle und zweckmäßige Aufteilung der Themen innerhalb einer Fraktion. Natürlich sollte man sich als Abgeordneter bemühen, sich bei wichtigen Abstimmungen ein eigenständiges Urteil zu bilden und auch prüfen, ob man die Stimmabgabe mit seinem Gewissen vereinbaren kann. Dies sollte man sich nicht zu leicht machen, denn eine Stimme gegen die mit Mehrheit getroffene Entscheidung hat verschiedene – nicht nur persönliche - Konsequenzen. Eine Regierung ist nur stabil, wenn sie sich auf die sie tragenden Fraktionen verlassen kann. Wenn immer Abgeordnete der Regierungsfraktion gegen die beschlossene Mehrheitsmeinung stimmen, ist die Koalition bald nicht mehr regierungsfähig. Ich persönlich habe häufiger in der Fraktion gegen einen Reformvorschlag gestimmt und mich dann aber im Parlament der Fraktionsmehrheit gebeugt. Dies gehört eben auch zur Demokratie.

Aber es gibt für mich auch Grenzen bei der Fraktionsdisziplin. Diese Grenze kann in Ausnahme – beispielsweise, wenn es um Krieg und Frieden geht – erreicht werden. Meines Erachtens aber auch dann, wenn in Abwägung der Gesamtpolitik einer Regierung ein Abgeordneter zu dem Ergebnis kommt, dass diese insgesamt in eine völlig falsche Richtung marschiert und die Summe der verabschiedeten Gesetze nicht mehr mit dem eigenen Gewissen vereinbar ist.

Im Fall Dagmar Metzger ist das allerdings anders gelagert. Wenn man sich bestimmte Rechte nimmt, muss man sich trotzdem an die klaren Grundlagen einer Fraktion halten und sich gegenüber anderen fair verhalten. So weit ich das beurteilen kann, hat Frau Metzger ihre abweichende Meinung bei zwei wichtigen hessischen Parteisitzungen nicht vorgebracht, um dann erst kurz vor Tores Schluss mit ihrer persönlichen Erklärung rauszurücken. Dazu kommt, dass es sich nicht nur um ein wichtiges Thema, sondern um die wichtigste Abstimmung einer ganzen Periode handelt. Wenn man dazu Bedenken hat, sollte man diese frühzeitig zu erkennen geben – ansonsten ist es logisch, dass die Fraktionsführung keine anderen Ansichten erwartet. Bei einer Sitzung war die betreffende Abgeordnete sogar im Urlaub, was ich gerade in einer solchen Situation gar nicht nachvollziehen kann. So drängt sich leider auf, dass es sich bei der Entscheidung von Frau Metzger wohl nicht nur um das eigene Gewissen handelt.

Ansonsten kann man diese Entscheidung natürlich unterschiedlich bewerten. Inhaltlich will ich gar nicht viel dazu sagen, aber doch noch einen Punkt zu bedenken geben. Frau Ypsilanti hat im Wahlkampf nicht nur versprochen auf die Stimmen der Linkspartei zu verzichten, sondern auch versprochen „alles dafür zu tun, Koch abzulösen“. Dies war nicht richtig, denn der Wahlausgang führte nun dazu, dass sie eines der Versprechen auf jeden Fall brechen müsste. Denn alles dafür zu tun, Koch abzulösen, bedeutet nach dem Wahlergebnis die Kooperation mit der Linkspartei. Jede Kooperation mit der Linkspartei zu unterlassen, bedeutet nicht alles zu tun, um Koch abzulösen. Ein Versprechen wird nun in jedem Fall gebrochen. Der Fehler liegt also bereits in diesem Doppelversprechen. Wenn ein gebrochenes Wahlversprechen dazu führt, dass man mit seinem Gewissen nicht vereinbaren kann, der Mehrheit seiner Partei zu folgen, dann hätte man Frau Ypsilanti auch die Gefolgschaft verweigern müssen, wenn sie nicht versucht hätte, gegen Koch zu kandidieren. Es wäre spannend, ob Frau Metzger dies dann auch getan hätte.

Davon abgesehen, wäre dies in der Öffentlichkeit dann wahrscheinlich kein Thema gewesen. So wie es auch kein Thema gewesen ist, dass die SPD-Bundestagfraktion dem Koalitionsvertrag zugestimmt hat, obwohl dort beispielsweise die Erhöhung der Mehrwertsteuer vereinbart wurde. Es war eines der zentralen Wahlversprechen und - Themen der SPD, die von der Union geforderte Mehrwertsteuer nicht zuzulassen. Nach der Wahl vereinbart man dann sogar noch eine größere Erhöhung, als es die Union verlangt hatte. Ein klar gebrochenes Wahlversprechen. Einige Abgeordnete hatten auch deshalb große Bauchschmerzen, mit der Wahl der Bundeskanzlerin ihr Votum für diese Koalition zu geben. Hätten sie die Regierungsbildung verhindert, wären sie wohl heftig beschimpft und als Verhinderer dargestellt worden. Sicher hätte man sie gerade in der Öffentlichkeit nicht als einzig aufrechte Demokraten, die ihrem Gewissen gefolgt sind, gefeiert. Vermutlich wären sie aufgefordert worden, ihr Mandat niederzulegen.

Sie sehen, wie schwierig das Thema Gewissensentscheidung ist und es dabei kein Schwarz oder Weiß gibt.

Ich verbleibe mit freundlichen Grüßen

Marco Bülow