Frage an Matthias Miersch bezüglich Arbeit und Beschäftigung

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Matthias Miersch
SPD
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Frage von Thorsten L. •

Frage an Matthias Miersch von Thorsten L. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sehr geehrter Herr Miersch,

als 75er Jahrgang mache ich mir über die Schulden der BRD große sorgen und ich kann nicht nachvollziehen wie zusätzlich zu den bisher angehäuften Schulden in Höhe von ca. 1.500.000.000.000 € und unter den Bedingungen der Finanzkrise mit dem Risiko, dass Bürgschaften in x Mrd. Höhe fällig werden könnten, es sich die BRD leisten möchte, je nach Statistik 3,5 – 6,5 Mio. Menschen fürs das nichts tun zu bezahlen...?

Wie stehen Sie zum Kombilohn z. B. nach dem Model von Prof. Hans Werner Sinn?

Wie stehen Sie dazu, dass jemand der über einen Zeitraum von 30 – 40 Jahren in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, nur ein Jahr Leistungen bekommt?

Die jungen Menschen investieren in bzw. finanzieren ein Versicherungssystem, dass für immer mehr Menschen Leistungen erbringen muss (Demographische Entwicklung). Es ist also abzusehen, dass pro Versicherungsnehmer weniger Geld zur Verfügung steht, eigentlich eine schlechte Investition, oder?

Glauben Sie, dass unsere Sozialversicherungssysteme in 20 Jahren komplett steuerfinanziert sind?

Mit freundlichen Grüßen

Thorsten Lemmer

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SPD

Sehr geehrter Herr Lemmer,

vielen Dank für Ihre Fragen rund um die Themen Schulden, soziale Sicherung und deren Finanzierung. Die Themen sind komplex, so dass ich ausführlich antworten möchte:

Zur Verschuldungssituation:
Die Verschuldung ist ein ernstes Problem, das sich leider seit Jahrzehnten angehäuft hat. Ich war sehr froh, dass wir es im vergangenen Jahr vor der Finanzkrise mit großen Anstrengungen seit langer Zeit fast geschafft haben, keine Neuverschuldung einzugehen. Jetzt hat die Krise diese Entwicklung zunächst einmal blockiert, wenngleich ich an dieser Stelle auch betonen möchte, dass der Großteil der jetzt eingeleiteten Maßnahmen (Konjunkturpakete) nach meiner Einschätzung unbedingt erforderlich gewesen ist, um der Negativentwicklung entgegenzusteuern. Das gilt auch für die ausgesprochenen Bürgschaften gegenüber den Banken, die hoffentlich nicht in endlosen Geldflüssen münden. Allerdings halte ich Wahlversprechen, die auf größere Steuerentlastungen abzielen für absolut unrealistisch. Es ist bezeichnend, dass inzwischen sogar Wirtschaftsinstitute Vermögenssteuern fordern. Ich bin mir sicher, dass das Thema in den nächsten Wochen eine zentrale Rolle spielen wird, weil nur ein handlungsfähiger Staat die negativen Folgen der Krise, deren Auswirkungen erst in den kommenden Monaten richtig spürbar werden, bekämpfen kann.

Soziale Sicherung:
In diesem Zusammenhang stimme ich Ihnen zu, wenn Sie schreiben, dass insbesondere durch die Krise die Frage nach der Verwendung der zur Verfügung stehenden Mittel genauestens geprüft werden müsse. Es gilt dabei aber vor allem, die Grundpfeiler unserer Gemeinschaft zu sichern. Die Gesellschaft ist gefordert, wenn Arbeitslosigkeit, Pflegebedürftigkeit oder Krankheit eintreten. Nur wenige Menschen sind in der Lage, diese Phasen selbst zu überwinden und zu finanzieren. Deshalb ist nach meiner Einschätzung eine solidarische Finanzierung unerlässlich. Natürlich muss dabei der Grundsatz „Fördern und Fordern“ gelten. In einer sehr schmerzhaften Diskussion hat die SPD in den letzten elf Jahren maßgeblich dafür gesorgt, dass staatliche Systeme diesen Grundsatz berücksichtigen. Bürger werden demnach nicht für das „Nichts-tun“ bezahlt. Vielmehr wird und wurde versucht, sie aus der Sozialhilfe zu holen, sie zu fordern und zu fördern. Dabei wurden die Zumutbarkeitskriterien für die Annahme neuer Beschäftigungen und entsprechende Zuwendungskürzungen bei Ablehnung als Elemente eingeführt. Sicher sind hier noch viele Diskussionen zu führen. Auch in der Arbeitsvermittlung gibt es noch viele Dinge zu tun. Das Ziel muss aber stets sein, die Menschen wieder in geregelte Arbeitsverhältnisse einzugliedern und sie eben nicht dauerhaft unterstützen zu müssen.

Kombilohn:
Ich stehe diesem Modell (und auch Herrn Sinn, der mit seinen Thesen gerade auch zur Regulierung der Finanzmärkte falsch gelegen hat) eher kritisch gegenüber, da die Gefahr droht, dass Firmen lediglich Mitnahmeeffekte erzielen. Das von der niedersächsischen Landesregierung eingeführte Kombilohn-Modell hat sich in dieser Hinsicht als klarer Fehlschuss erwiesen. Besonders für die Problemgruppen hat sich nach übereinstimmenden Berichten verschiedener Medien keine Besserung der Lage gezeigt. Ohne einen gesetzlichen Mindestlohn droht die Gefahr, dass sich die Lohnspirale immer weiter abwärts bewegt, so dass bei diesen Personengruppen z.B. Altersarmut droht. Wir werden nicht in sämtlichen Produktbereichen mit Billiglohnländern konkurrieren können. Deshalb ist das auch eine globale Frage. Auf der anderen Seite zeigt sich, dass inzwischen zahlreiche Firmen auch aufgrund der Qualität der Arbeit wieder nach Deutschland kommen und angemessene Löhne zahlen. Da wären wir dann auch schnell beim Thema Bildung… Wir müssen uns in diesem Zusammenhang auch fragen, ob das Motto „Geiz ist geil“ zielführend sein kann. Produkte werden ihren Preis haben müssen, wenn sie unter angemessenen Bedingungen produziert werden. Ich verstehe, dass auch in Deutschland Menschen auf Preise achten müssen. Viele könnten jedoch auch bewusster einkaufen. Natürlich müssen wir uns auch Fragen, ob es richtig gewesen ist, einfache Arbeiten, wie z.B. Pförtnerjobs etc. zu streichen. Ihren Ansatz, lieber diese Arbeit zu finanzieren, finde ich richtig. Hier könnte ich mir Lohnkostenzuschüsse an Unternehmen vorstellen, wenn sie ältere Arbeitslose oder bestimmte Personengruppen mit Schwierigkeiten beschäftigen. Das gilt auch für den Ausbildungssektor. Hier gibt es bereits gute Förderprogramme, die sicher ausbaufähig sind. Ich selbst versuche, in meinem Wahlkreis auch Pilotprojekte zu starten, die spezifisch auf die Bedürfnisse vor Ort zugeschnitten sind, wie etwa das Projekt „Stadt ohne Arbeitslosigkeit“, über das Sie sich auf meiner Homepage www.matthias-miersch.de informieren können. Ich versuche dort, sogenannte Bürgerstellen zu schaffen, die der erste Arbeitsmarkt nicht schaffen kann, die jedoch für die Gesellschaft einen wichtigen Nutzen haben. Im Bereich der Pflege, des Umweltschutzes oder der gesellschaftspolitischen Aufgaben gibt es zahlreiche Arbeitsplätze, die der Markt nicht mit Arbeitskräften füllen wird. Dennoch sind sie gesellschaftspolitisch wichtig und förderlich. Arbeit ist immer besser als Arbeitslosigkeit. Das gilt für die Volkswirtschaft, aber auch für die Würde des einzelnen Menschen.

Arbeitslosengeld:
Die Dauer des Anspruches auf Arbeitslosengeld (ALG I) gehört in ein ähnliches Problemfeld. Die SPD hat sich dafür eingesetzt, dass in dieser Periode der Bezug des ALG I zunächst auf bis zu 18 Monate verlängert wurde und später für Menschen ab 58 Jahren sogar auf eine Bezugsdauer von 24 Monaten. Das war eine Frage, die sehr viel mit Gerechtigkeit zu tun hatte – auch vor dem Hintergrund der bereits geleisteten Lebensarbeitszeit. Allerdings musste auch hier berücksichtigt werden, dass in der Vergangenheit zahlreiche Firmen die längere Bezugsdauer dazu nutzten, um mit Hilfe der Sozialkassen Arbeitsplätze abzubauen. Da Sie die Generationenfrage ansprechen: Hier finden Sie ein klassisches Beispiel! Mit den Beiträgen der arbeitenden Menschen werden diese Notlagen finanziert, so dass man stets auch die heutigen Beitragszahler im Blick haben muss. Es geht auch in diesem Bereich um die Wiedereingliederung, wenngleich natürlich bei älteren Arbeitnehmern die Wiedereinstellung schwierig ist. Deshalb haben wir jetzt – durch die Verlängerung – eine angemessene Regelung gefunden. Ich wünsche mir jedoch, dass wir hier weiterdenken. Im SPD- Wahlprogramm sprechen wir von der Weiterentwicklung der Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung. Dabei geht es um Regelungen wie z.B. Kurzarbeit, Ansprüche auf Weiterqualifizierung, Langzeitkonten für Weiterbildung etc., die Arbeitslosigkeit nicht nur schnell beenden sollen, sondern helfen können, sie zu vermeiden.

Investitionen junger Menschen in Sicherungssysteme:
Wenn Sie von einer „schlechten Investition“ junger Menschen sprechen, dann sprechen Sie natürlich das große Thema der Generationengerechtigkeit an. Ich möchte zunächst betonen, dass Investitionen in soziale Sicherungssysteme unter monetären Renditegesichtspunkten sicher keine gute Investition sind. Nach sozialpolitischen Kriterien halte ich sie aber für unverzichtbar, da auch wir (ich bin Jahrgang 1968) auf die Solidargemeinschaft angewiesen sein könnten und z.B. eine Herzoperation niemals mit eigenen Mitteln werden bezahlen können. Auch im Bereich der Altersversorgung wird es stets einen solidarischen Ansatz geben müssen, wenn diese Gesellschaft nicht auseinander brechen soll. Hier gibt es natürlich auch eine Verantwortung der Generationen. Die ältere Generation hat uns viele Dinge durch Verzicht erst ermöglicht. Auf der anderen Seite müssen auch die heutigen Beitragszahler noch Luft zum Atmen haben. Ich bin in den letzten Jahren den schwierigen Diskussionen über die Rente mit 67 nicht ausgewichen, da ich mich nicht am Geschwätz „Die Renten sind sicher“ beteiligen möchte. Angesichts der Lebenserwartung und der Bevölkerungsentwicklung wird die Altersversorgung immer eine Baustelle sein. Die Eigenvorsorge ist ein wichtiges Standbein, wie wir sie durch die Riester-Rente eingeführt haben. Auch eine Flexibilisierung der Lebensarbeitszeit ist notwendig, wenngleich natürlich zu beachten ist, dass viele Berufsgruppen nicht bis 67 arbeiten können und auch keine eigene Vorsorge leisten können. Betrachtet man die Fälle genauer, so stellt man fest, dass Menschen bestimmter Berufsgruppen schon mit 50 Jahren in ihren Berufen nicht mehr arbeiten können, andere jedoch mit über 70 noch arbeiten wollen. Die Fragen der Teilrente, der Erwerbsminderung und der Mindestrente, die auch die Lebensarbeitszeit berücksichtigt, sind hier zentral. Sie werden in den kommenden Jahren eine wichtige Rolle spielen, um auch den jüngeren Generationen noch eine soziale Sicherung geben zu können. Dazu gehört dann auch die hoch umstrittene Frage der Finanzierung, die sich an den Stichworten Kopfpauschale oder Bürgerversicherung festmachen lässt. Ich bin sicher, dass die stärkeren Schultern in soziale Systeme angemessen mehr einzahlen müssen, wenn das Grundgerüst einer solidarischen Gesellschaft beibehalten werden soll. Deshalb kämpfe ich für die Bürgerversicherung im Gesundheitssektor und für ein ähnliches Modell in der Altersversorgung.

Steuerfinanzierung der Sicherungssysteme:
Ich hoffe und glaube nicht, dass die Sozialversicherungssysteme in 20 Jahren komplett steuerfinanziert sein werden. Der Steueranteil wird sicher zunehmen, um den Faktor Arbeit nicht zu sehr zu belasten. Nicht zu verkennen ist, dass auch die Aufgaben etwa im Pflegebereich stets zunehmen werden. Allerdings ist für mich die Beibehaltung der Sozialpartnerschaft von Arbeitgebern und Arbeitnehmern unerlässlich. Ich bin mir sicher, dass diese solidarische Finanzierung zukunftsfähig ist, wenn wir auch die Kostenseite stets im Blick haben und eine gerechte Verteilung der Lasten auf starke und schwache Schultern erfolgt. Die Bemühungen der Regierung Obama zeigen gerade im Bereich des Gesundheitswesens, welche Errungenschaft eine Krankenversicherung für alle Menschen ist. Gleichzeitig wird aber auch sichtbar, mit welchen Konflikten diese nur zu erreichen ist

Sehr geehrter Herr Lemmer, jetzt sind die Antworten lang ausgefallen. Mit war eine ausführliche Beantwortung jedoch wichtig, um der Komplexität gerecht zu werden. Ich hoffe, Ihnen meine Positionen verständlich dargelegt zu haben und würde mich freuen, mit Ihnen bei der einen oder anderen Veranstaltung im Wahlkreis zu diesen Themen auch einmal persönlich diskutieren zu können.

Mit freundlichen Grüßen

Matthias Miersch

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