Frage an Michael Gwosdz bezüglich Bildung und Erziehung

Portrait von Michael Gwosdz
Michael Gwosdz
Bündnis 90/Die Grünen
80 %
12 / 15 Fragen beantwortet
Frage von Wolf Achim W. •

Frage an Michael Gwosdz von Wolf Achim W. bezüglich Bildung und Erziehung

Sehr geehrter Herr Gwosdz,

die jüngste Schulinspektion des „Instituts für Bildungsmonitoring“
(ifbm) hat im Gymnasium Blankenese erbracht, dass diese Schule in 11 von 13 Bereichen gute bis sehr gute Ergebnisse erzielt hat. Unter anderem wird die Förderung eher leistungsschwacher Schüler als besonders erfolgreich angesehen.

Bitte, nennen Sie mir als Abgeordneter, der über die Neufassung des Hamburgischen Schulgesetzes abstimmen muss, mindestens drei Gründe, warum diese Schule ähnlich wie andere gute Schulen durch die geplante Abschaffung der Klassen 5 und 6 auseinandergerissen und ihr auch integrativ wirkendes Erfolgsmodell somit beendet werden soll?

Portrait von Michael Gwosdz
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Wiegand,

vielen Dank für Ihre Frage. Die Antwort hat etwas gedauert, da ich zunächst auf die Veröffentlichung der Ergebnisse der Schulinspektion warten wollte, um Ihre diesbezügliche Aussage einordnen zu können. Da die Veröffentlichung jedoch noch etwas dauert und ohnehin keine Aussagen zu einzelnen Schulen beinhalten wird, antworte ich Ihnen gerne auf die Frage, jedoch ohne direkten Bezug auf das Ergebnis der Schulinspektion.

Generell gilt: das bisherige Schulsystem hat in seiner Gesamtheit keine Ergebnisse erzielt, die zufriedenstellend sind. Die Zahl der Jugendlichen in Hamburg, die gerade einmal das Kompetenzniveau erreichen, das eigentlich ein Viertklässler haben sollte, ist deutlich zu hoch - mehr als jeder vierte Jugendliche hat auf diese Weise kaum Chancen, sein Leben später mit einer vernünftigen Ausbildung zu gestalten. Gleichzeitig haben wir eine große soziale Ungerechtigkeit im Hamburger Schulsystem: die Chancen auf einen guten Schulabschluss sind für Kinder, die aus einem Elternhaus mit hohem Bildungsstandard kommen, um ein vielfaches höher als bei Kindern, die aus Familien mit niedrigem Bildungsstandard kommen - und das selbst bei eigentlich gleichen Leistungen. Das führt wiederum dazu, dass wir in Hamburg, wie generell in Deutschland, eine deutlich zu niedrigen Anteil an Jugendlichen haben, die Abitur machen und damit die Berechtigung erwerben, zu studieren. In Hamburg waren es zuletzt rund 38% der Jugendlichen eines Jahrganges - in anderen europäischen Ländern sind es bis zu 70%, ohne dass dort das Leistungsniveau insgesamt verflacht.

Nun liefert uns die Bildungsforschung verschiedene Erklärungen und Hinweise, wo die Ursachen für diese Probleme liegen. Einiges liegt in den grundsätzlichen pädagogischen Konzepten begründet, die an den Schulen und im Unterricht verwendet werden. Hier gilt es, die Wende weg vom Frontalunterricht hin zu einer gezielten individuellen Förderung der Kinder weiter und entschiedener voranzutreiben! Doch die Reform des Unterrichts alleine reicht nicht aus, auch die Schulstruktur muss sich verändern. Ein wichtiger Schritt hierbei ist längeres gemeinsames Lernen - denn "je früher Schülerinnen und Schüler auf unterschiedliche Bildungsgänge verteilt werden, desto kürzer wird das Zeitfenster, das für schulische Interventionen zum Ausgleich herkunftsbedingter Leistungsunterschiede zur Verfügung steht", wie Prof. Baumert es 2003 formulierte. Genau dieser Ausgleich herkunftsbedingter Leistungsunterschiede gelingt auf der bislang einzigen Schulform, in der noch alle Kinder gemeinsam lernen, nämlich der Grundschule. Dies gilt für ganz Deutschland und somit auch für Hamburg, wie diverse Schulleistungsuntersuchungen belegen. Dagegen werden die guten Lernfortschritte der Grundschulen in den weiterführenden Schulen nicht fortgesetzt. Für Hamburg zeigt das schon KESS 7 bei den 12-Jährigen. Diese Untersuchung, bei der alle Hamburger Schülerinnen und Schüler zu Beginn der 7. Klasse in Deutsch, erster
Fremdsprache und Mathematik getestet wurden, zeigte, dass in den Klassen 5 und 6 aller Schulformen geringere Lernfortschritte als in der Grundschule erzielt wurden, die geringsten im Gymnasium. Gleichzeitig wissen wir aus der Berliner ELEMENT-Studie über die dortige sechsjährige Grundschule, dass der Grundschule dort im unteren Leistungsbereich eine gute Förderung gelingt, während gleichzeitig die Schülerinnen und Schüler an der Leistungsspitze sich auf der Grundschule wie am Gymnasium parallel entwickeln. Längeres gemeinsames Lernen bremst also stärkere Schülerinnen und Schüler nicht ab, fördert aber die schwächeren - genau dieser Effekt spricht dafür, das Schulsystem insgesamt zu reformieren.

Dabei muss diese Reform alle Schulen und Schulformen umfassen - zu viele verschiedene Systeme parallel nebeneinander, so wie wir es mit dem siebengliedrigen Hamburger Schulsystem bislang hatten, führen zu Intransparenz und viele Kinder und Jugendlichen auf den falschen Weg. Die sechsjährige Primarschule mit den beiden weiterführenden Schulen Gymnasium und Stadtteilschule, die wiederum beide bis zum Abitur führen, sorgt für klare und einfach verständliche Strukturen - auch dies ist ein Beitrag zu mehr Gerechtigkeit. Bei dieser Reform geht es aber, wie bereits erwähnt, nicht nur um eine äußere Reform, sondern auch eine innere Reform des Unterrichts. Die verschiedenen Ansätze an gutem, integrativen Unterricht, die es an Hamburger Schulen bereits beispielhaft gibt, sind Vorbilder, die für alle Schülerinnen und Schüler fruchtbar werden sollen. Deshalb stimme ich Ihrem Bild, Schulen würden auseinandergerissen und Erfolgsmodelle beendet, nicht zu. Richtig ist, dass sich Schulen verändern werden und erfolgreiche Modelle insgesamt auf alle Schulen übertragen werden sollen. Dies ist jedoch kein Ende, sondern erst der Anfang auf dem Weg zu einem Hamburger Schulsystem, das zu besseren Ergebnissen führt, als heute.

Mit freundlichen Grüßen

Michael Gwosdz

Was möchten Sie wissen von:
Portrait von Michael Gwosdz
Michael Gwosdz
Bündnis 90/Die Grünen