Frage an Michael Luther bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

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Michael Luther
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Frage von Hasso Rüdiger H. •

Frage an Michael Luther von Hasso Rüdiger H. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Dr. Luther ,

unsere Soldaten befinden sich angeblich nicht im Krieg, obwohl Krieg nach Clausewitz die Fortführung der Politik mit anderen- bewaffneten Mitteln - ist.Unsere Soldaten sind beauftragt das Land und sich zu schützen, zu schießen und zu töten.Bitte sagen Sie mir ,wieviel Strafverfahren laufen z.zt. bei den Staatsanwaltschaften der BRD gegen Angehörige der Bundeswehr wegen fahrlässiger Tötung,versuchten Mordes oder anderer Delikte ? Wie stehen Sie selbst dazu ? Finden Sie es in Ordnung ,Soldaten in einen "Friedenseinsatz" zu schicken und Sie für den Dienst an der Heimat anzuklagen ? Sind unsere gefallenen Soldaten Helden oder angeklagte Täter im Sinne des Gesetzes ? Besteht die Gefahr , daß der pflichtbewußte Oberst womöglich von England , Frankreich vor einem internationalen Gerichtshof angeklagt wird ?
Warum sprechen Sie nicht Klartext und stellen sich bedingungslos hinter unsere Soldaten !
Danke für die Antwort

Mit freundlichen Grüßen

Hasso Hoffmann

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CDU

Sehr geehrter Herr Hoffmann,

vielen Dank für Ihre Anfrage zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Lassen Sie mich zunächst feststellen, dass Clausewitz seinen berühmten Ausspruch „Krieg ist die Fortsetzung der Politik unter Einbeziehung anderer Mittel“ zu Beginn des 19. Jahrhunderts geprägt hat. Daher bin ich der festen Überzeugung, dass dieser Begriff im 21. Jahrhundert für eine demokratische Zivilgesellschaft wie die unsrige, insbesondere nach der Erfahrung zweier durch Deutschland ausgelöster Weltkriege, keine Geltung mehr haben kann.

Zu Ihrer Frage nach staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren: Wenn durch Schusswaffengebrauch von Bundeswehrangehörigen in Afghanistan Menschen verletzt oder gar getötet werden, ist die Prüfung der näheren Umstände durch die Staatsanwaltschaft Potsdam, dem Sitz des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, ein routinemäßiger Vorgang. Dies wird bei unseren Verbündeten in ähnlicher Weise gehandhabt. Eine Vorverurteilung verbietet sich dabei natürlich.

Da Vorsatz in solchen Fällen auszuschließen ist, kommen bei der Beeinträchtigung von Leib und Leben lediglich Fahrlässigkeitsdelikte wie fahrlässige Tötung oder Körperverletzung in Betracht. Eine fahrlässige Tötung kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft werden. Eine Voraussetzung für die Einleitung eines staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens ist jedoch zunächst, dass die zuständige Staatsanwaltschaft Potsdam überhaupt einen Anfangsverdacht für eine Straftat sieht. In der Vergangenheit war es bislang so, dass in keinem Fall ein Strafverfahren gegen Bundeswehrangehörige eröffnet wurde.

In der Nacht vom 4. auf den 5. September entführten in der Nähe von Kunduz Taliban-Kämpfer zwei mit Benzin beladene Tanklastwagen und ermordeten einen der beiden Fahrer. In der Vergangenheit hatten die Taliban Tanklastwagen als „rollende Bomben“ benutzt. Beim Versuch, diese eine Furt im Fluss Kunduz durchqueren zu lassen, blieben die Lkw stecken. ISAF und der deutsche Kommandeur im Feldlager Kunduz waren durch Luftaufklärung über die Position der Lastwagen informiert. Aufgrund der großen Nähe (6 km) zum deutschen Feldlager und angesichts von Hinweisen auf geplante Terror-Aktionen gegen Bundeswehr-Einheiten ordnete der deutsche Kommandeur an, beide Tanklastwagen aus der Luft zu zerstören. Wie viele Menschen bei dem folgenden Luftangriff getötet wurden, ist bis heute unklar (Angaben zwischen 56 und 125). Abschließende Gewissheit wird kaum zu erlangen sein. Es gibt kein Melderegister, einige der Opfer wurden gemäß islamischer Sitte bereits am folgenden Tag bestattet. Ungeklärt ist nach wie vor auch die Frage nach zivilen Opfern; genaue Zahlen sind jedoch auch hier nicht zu erwarten (Probleme bei der Definition von Zivilisten; nachträgliche Manipulation durch Taliban, die z.B. ihren getöteten Kämpfern die Waffen abnehmen).

Es ist das unbedingte Ziel des ISAF-Einsatzes, zivile Opfer zu vermeiden. Bundeskanzlerin Merkel erklärte dazu: „Unschuldig verletzte und zu Tode gekommene Menschen, auch und gerade infolge deutschen Handelns, bedauere ich zutiefst“ (Regierungserklärung zu Afghanistan, 08.09.09). Noch gibt es keine gesicherten Erkenntnisse, was genau sich in der Nähe von Kunduz zugetragen hat. Schon allein deshalb verbieten sich vorschnelle Urteile, ich möchte ich daher an dieser Stelle von einer weiteren Beurteilung absehen. Die lückenlose Aufklärung, an der sich die Bundeswehr beteiligen wird, ist ein Gebot der Selbstverständlichkeit. Nach dem bislang vorliegenden Informationen gehe ich aber davon aus, dass auch in diesem Fall entsprechend der geltenden Einsatzregeln gehandelt wurde. Nichtsdestotrotz ist der Tod von Menschen in jedem Falle zutiefst zu bedauern.

Ich möchte aber ausdrücklich betonen: Angesichts der Bedrohung, der unsere Soldaten dort 24 Stunden am Tag ausgesetzt sind, leisten sie dort unter außergewöhnlich schwierigen Umständen außergewöhnlich gute Arbeit.

Lassen Sie mich zum laufenden Afghanistaneinsatz noch grundsätzlich feststellen: Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan verhindert, dass Afghanistan erneut zum Rückzugs-, Ausbildungs-, Planungs- und Operationsraum für international agierende Terroristen der Al-Quaida wird, die auch uns bedrohen. Auch Deutschland steht im Fadenkreuz von islamistischen Terroristen. Das zeigt zum Beispiel der Fall der hier festgenommenen Sauerland-Gruppe, die verheerende Anschläge in Deutschland geplant hatte.

Der Einsatz der Bundeswehr ermöglicht u. a. den Aufbau afghanischer Sicherheitskräfte, die das Land künftig eigenständig kontrollieren sollen. Dann ist ein Abzug der ausländischen Sicherheitskräfte und damit auch der Bundeswehr möglich. Die Gefahr, dass nach einem Abzug der ausländischen Streitkräfte das menschenverachtende Regime der Taliban wieder an die Macht kommt, ist gegenwärtig noch nicht gebannt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel will zusammen mit dem britischen Premierminister Brown und dem französischen Präsidenten Sarkozy noch 2009 eine internationale Afghanistan-Konferenz einberufen. Dabei soll die Staatengemeinschaft für die nächsten fünf Jahre mit Afghanistan eine Übergabestrategie mit konkreten Zielen vereinbaren.

Mit freundlichen Grüßen

Michael Luther