Frage an Nadine Schön von Volker W. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Schoen,
angesichts dramatisch steigender Opferzahlen deutscher Soldaten und Soldatinnen im Afghanistan-Krieg (Tote und Verletzte) waere ich Ihnen dankbar, wenn Sie Ihren Waehlern erklaeren koennten, warum Sie einer weiteren Verlaengerung des Afghanistaneinsatzes zugestimmt haben. Meinen Sie nicht, dass dies heisst weitere deutsche Opfer in Kauf zu nehmen?
Sehr geehrter Herr Welter,
jedes Opfer ist ein Opfer zu viel und ich fühle mit den Familien der Soldaten. Dennoch: Zu unserem Engagement gibt es keine vernünftige Alternative und deshalb habe ich für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan gestimmt. Die Alternative wäre der sofortige Abzug unserer Soldaten und das ist in meinen Augen keine ernst zu nehmende Alternative.
In Übereinstimmung mit ihrem Bundestagsmandat ist es die Aufgabe der Bundeswehr, die afghanischen Behörden bei der Etablierung einer soliden Staatlichkeit zu unterstützen. Neben einer funktionstüchtigen Verwaltung und einer zuverlässigen wirtschaftlichen Infrastruktur braucht es hierfür in erster Linie ein grundlegendes staatliches Gewaltmonopol auf der Basis von Recht und Gesetz.
Diese Staatlichkeit war in vielen Regionen Afghanistans lange Zeit kaum vorhanden, sie ist aber die Voraussetzung für eine positive Entwicklung des Landes. Nur unter dem schützenden Schirm staatlicher Sicherheitsbehörden kann sich der zivile Aufbau des Landes vollziehen.
Es gibt Gruppen, die verhindern wollen, dass diese Einrichtung von Strukturen erfolgreich umgesetzt wird. Kriminelle und Fanatiker haben in der Vergangenheit von der schwachen Staatlichkeit Afghanistans profitiert. In den rechtsfreien Räumen konnten sie ungestört ihren Geschäften nachgehen. Terroristen hatten hier ihre Ausbildungs- und Rückzugsräume. Es sind diese Gruppen, von denen die Bundeswehr in Afghanistan angegriffen wird, da ein stärker werdender afghanischer Staat ihnen die Existenzgrundlage entzieht. Jeder Tag, an dem wir die Streitkräfte und die Polizei Afghanistans bei ihrer Ausbildung unterstützen und ihnen helfen, die Kontrolle über ihr Land zurückzugewinnen, verkleinert den Handlungsspielraum für Taliban, Al-Qaida und Drogenbarone.
Unsere fortlaufenden Bemühungen haben zu eindeutigen Erfolgen geführt. So wurden die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit durch die Verabschiedung der Verfassung und verschiedener Gesetze auf ein in Afghanistan bisher unbekanntes Niveau gehoben. In der Verfassung werden z.B. Frauen und Männer gleichgestellt, die wichtigsten internationalen Menschenrechtsabkommen haben Verfassungsrang und traditionelle Formen der Unterdrückung sind verboten worden. Darüber hinaus hat die afghanische Regierung seit 2008 zunehmend Eigenverantwortung im Wiederaufbauprozess übernommen und eine auf fünf Jahre angelegte Nationale Entwicklungsstrategie (ANDS, Afghanistan National Development Strategy) vorgestellt. Befördert wird die positive Entwicklung durch den voranschreitenden Aufbau von staatlichen Institutionen und Fachkräften. Hieraus resultieren beispielsweise Erfolge im Bildungssektor (fast 75% aller Jungen und 35% aller Mädchen gehen inzwischen zur Schule) und im Gesundheitsbereich (85% der Bevölkerung haben jetzt Zugang zu medizinischer Basisversorgung). Auch die Zahl nationaler Entwicklungsprogramme wie das National Solidarity Programme, welches bereits über 20.000 Projekte erfolgreich beendet hat und aktuell 18.000 weitere betreibt, ist weiter ansteigend. Darüber hinaus engagieren sich 21.000 gewählte Gemeinderäte speziell im Bereich Entwicklung.
Ein Rückzug der Bundeswehr zum jetzigen Zeitpunkt würde lediglich dazu führen, alle Fortschritte, die bisher gemacht worden sind, in Frage zu stellen. Auch die Sicherheit in Deutschland ist direkt vom Erfolg der Afghanistan-Mission abhängig. Im Falle eines Endes des Engagements der internationalen Streitkräfte, würde das Land innerhalb kürzester Zeit wieder zu einer Ausbildungsstätte für Terroristen werden, von denen auch für die deutsche Bevölkerung eine direkte Bedrohung ausgehen würde. Ein Rückzug aus Afghanistan würde Deutschland nicht vor Terroranschlägen schützen, wie manche behaupten. Wir würden uns bestenfalls das kurzfristige Wohlwollen von jenen Fanatikern erkaufen, die die Werte unserer Gesellschaft ohnehin als dekadent und schwach verachten. Viel dramatischer wären jedoch die Auswirkungen in Afghanistan selbst.
Durch einen Rückzug würden wir alle Afghanen im Stich lassen, die sich keine Rückkehr zu den Gewaltorgien der Taliban wünschen. Deutschlands Glaubwürdigkeit als Schützer seiner Bürger - aber auch als ehrlicher Vertreter humanitärer Grundwerte - stünde zur Disposition, wenn wir uns im Angesicht solcher Perspektiven unserer Verantwortung entziehen würden.
In dieser Woche waren zwei sehr treffende Sätze im Spiegel zu lesen: „Ein Abzug hieße, dass der Krieg ganz schnell eskalieren würde. Es gäbe keine toten Deutschen mehr, aber sehr viele Toten Afghanen.“ Dies kann nicht unser Handeln sein und deshalb unterstütze ich auch weiterhin den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan.
Bei einem Besuch vor Ort konnte ich mich von der Arbeit unserer Soldaten, Polizisten und Entwicklungshelfern überzeugen. Diese Arbeit zu unterstützen und fortführen zu lassen, dass ist mein Bestreben und deshalb habe ich dem Mandat zugestimmt.
Mit freundlichen Grüßen
Nadine Schön MdB