Frage an Olaf Scholz bezüglich Familie

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Olaf Scholz
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Frage von Simone G. •

Frage an Olaf Scholz von Simone G. bezüglich Familie

Sehr geehrter Herr Scholz,
warum wird den Erstfrauen nicht zugemutet auch mit Kleinkind arbeiten zu gehen, wie jede Zweitfrau es auch muss? Selbst in der Grundschule wird die Erstfrau noch v. Staat und ehemaligem Ehepartner finanziell unterstützt.

Es geht hier nicht um d. Kindesunterhalt, sondern um den Trennungs- bzw. nachehel. Unterhalt.

Sicher gibt es den Selbstbehalt, der aber in der Realität auf die wenigsten Unterhaltspflichtigen zutrifft. Meist wird dieser noch weit unterschritten.

Im Referenzentwurf zum neuen Unterhaltsrecht wird vorgeschlagen, dass eine Mangelfallberechnung eines Unterhaltspflichtigen korrekturbedürftig ist, wenn nach dem Gesamtergebnis die Erstfamilie (zusätzlich) auf Sozialleistungen angewiesen ist, während die nach der Scheidung gegründete Zweitfamilie auch unter Berücksichtigung des Selbsterhalts des Unterhaltspflichtigen im konkreten Vergleich ein gutes Auskommen hat.

Eine Zweitfamilie hat kein gutes Einkommen und ist auch sozial schlechter gestellt! Eine völlig unbeteiligte Person (meist die Zweitfrau) wird somit für die Unterhaltszahlungen herangezogen, da ihr Einkommen mit einberechnet wird (der warme Sofaplatz der Erstfrau ist gesichert). Eine Zweitfrau muss auch mit Kind arbeiten gehen, da sonst die Zweitfamilie nicht zu finanzieren ist.

Das Vorhaben, den Trennungs- bzw. nachehelichen Unterhalt auf den Kindesunterhalt zu verteilen mag auf den ersten Blick für einige sinnvoll sein. Es ist aber letztendlich so, dass der Trennungsunterhalt von den Steuern abgesetzt werden kann, der Kindesunterhalt nicht. Somit fließen dem Staat immense Summen in die Kassen. Für den Unterhaltspflichtigen ändert sich nichts, bis auf den Nachteil, dass er dann nichts mehr vom Unterhalt im Zuge seiner Einkommensteuererklärung geltend machen kann.

Ich bin eine Frau, Zweitfrau mit 2 Kindern, davon ein 4monatiger Säugling und berufstätig. Und ich hoffe, dieses stimmt Sie zumindest nachdenklich. Es muss etwas passieren!MfG S.Geercken

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Sehr geehrte Frau Geercken,

gerne möchte ich auf Ihre Fragen ausführlich reagieren.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hat gestern dem Bundeskabinett das Unterhaltsrechtsänderungsgesetz - die Reform des Unterhaltsrechts - zur Beschlussfassung vorgelegt.

Mit der Reform wollen wir das Wohl der Kinder fördern und die nacheheliche Eigenverantwortung stärken. Kinder sind bei einer Trennung der Eltern besonders schutzbedürftig. Deshalb sollen ihre Unterhaltsansprüche gegenüber allen anderen Unterhaltsberechtigten Vorrang genießen. Ein weiteres Ziel der Reform ist, der veränderten Lebenswirklichkeit Rechnung zu tragen. Mehr als ein Drittel aller Ehen wird heute geschieden, 50% aller geschiedenen Ehen sind kinderlos und immer mehr Frauen mit und ohne Kinder sind berufstätig. Deshalb ist es richtig, die nacheheliche Eigenverantwortung zu stärken und den Gerichten mehr Möglichkeiten zu geben, Unterhaltsansprüche für geschiedene Ehegatten zu befristen und zu begrenzen. Die Gesellschaft hat sich in den vergangenen Jahren geändert. Trennung und Scheidung führen für alle Beteiligten regelmäßig zu erheblichen wirtschaftlichen Einbußen. Die Zahl der Mangelfälle steigt, in denen das Einkommen des Unterhaltspflichtigen nicht für alle Unterhaltsberechtigten ausreicht. Heute wird das zur Verfügung stehende Einkommen wegen der geltenden Rangfolge in komplizierter Weise zwischen den Kindern und dem ersten und zweiten Ehegatten aufgeteilt, so dass es im Ergebnis häufig für keinen ausreicht. Dann kann es dazu kommen, dass alle Unterhaltsberechtigten auf ergänzende sozialstaatliche Leistungen angewiesen sind.

Da immer mehr kurze Ehen geschieden werden, kommt es nach der Scheidung auch immer häufiger zur Gründung einer „Zweitfamilie“ mit Kindern. Hier muss heute im Mangelfall das Einkommen zwischen allen Kindern (aus erster und zweiter Ehe) und beiden Ehegatten aufgeteilt werden, wobei der erste Ehegatte gegenüber dem zweiten privilegiert ist. Für die zweite Familie bleibt deshalb „unter dem Strich“ oft nur wenig übrig. Besonders hart trifft der Mangelfall heute die nicht verheiratete Mutter (oder Vater), die ein Kleinkind betreut. Sie geht nach der geltenden Rangfolge häufig ganz leer aus und erhält keinen Betreuungsunterhalt; auch nicht in den ersten Lebensjahren des Kindes, in denen es in besonderer Weise auf eine Betreuung angewiesen ist.

Das Unterhaltsrecht muss aus diesen gesellschaftlichen Veränderungen Konsequenzen ziehen. Wir brauchen mehr Verteilungsgerechtigkeit im Mangelfall. Wir wollen vor allem die Abhängigkeit der Kinder von Sozialhilfe und anderen staatlichen Transferleistungen verringern. Wir wollen den Zweitfamilien eine realistische Chance geben. Und wir müssen das Unterhaltsrecht transparenter machen, damit ganz allgemein die Akzeptanz von Unterhaltszahlungen steigt. Die Bundesjustizministerin hat dem Bundeskabinett deshalb eine Reform des Unterhaltsrechts zur Beschlussfassung vorgelegt, die im Wesentlichen zwei Ziele verfolgt, die Förderung des Kindeswohls und die Stärkung der nachehelichen Eigenverantwortung. Die Förderung des Wohls der Kinder steht im Vordergrund. Geplant ist eine Änderung der Rangfolge im Unterhaltsrecht und eine Besserstellung nicht verheirateter Mütter und Väter, die Kinder betreuen.

1. Geänderte Rangfolge
Praktisch relevant wird der Rang eines Unterhaltsanspruchs im Mangelfall. Nach heutiger Rechtslage muss sich das unterhaltsberechtigte minderjährige Kind den ersten Rang mit geschiedenen und aktuellen Ehegatten teilen. Innerhalb des ersten Ranges wird der erste Ehegatte in bestimmten Fällen gegenüber dem zweiten Ehegatten privilegiert. Beide Ehegatten wiederum sind gegenüber der nicht verheirateten Mutter (bzw. Vater) privilegiert. Diese befinden sich heute mit ihrem Unterhaltsanspruch wegen der Kinderbetreuung im zweiten Rang. Die künftige Rangfolge wird konsequent auf das Kindeswohl ausgerichtet sein. Denn im Gegensatz zu Erwachsenen können Kinder nicht selbst für ihren Unterhalt sorgen. Daher soll der Kindesunterhalt künftig Vorrang vor allen anderen Unterhaltsansprüchen haben. Damit kann die Zahl minderjähriger Sozialhilfeempfänger reduziert werden. Die Unterhaltsansprüche von Erwachsenen werden demgegenüber nachrangig befriedigt. Aber nicht jeder erwachsene Unterhaltsberechtigte ist in gleicher Weise schutzbedürftig. Auch hier ist das Kindeswohl das entscheidende Kriterium. Vorrang müssen daher alle kinderbetreuenden Elternteile haben, und zwar unabhängig davon, ob sie verheiratet sind oder waren, gemeinsam oder allein ein Kind erziehen. Diese Personengruppe soll sich deshalb künftig im zweiten Rang befinden. Konkret: Sowohl der erste als auch der zweite Ehegatte, der Kinder zu betreuen hat, aber auch die nicht verheiratete Mutter (der nicht verheiratete Vater) werden gleich behandelt, weil sie im Hinblick auf die Kinder in der gleichen Situation sind. Ebenso schutzwürdig sind Ehegatten bei langer Ehedauer, da hier über viele Jahre Vertrauen in die eheliche Solidarität gewachsen ist. Dieses Vertrauen bedarf auch nach der Scheidung, wenn die Kinder aus dem Haus sind, eines besonderen Schutzes. Auch diese Ehegatten sollen sich deshalb künftig im zweiten Rang befinden. Der geschiedene Ehegatte, der nur verhältnismäßig kurz verheiratet war und keine Kinder betreut, ist demgegenüber weniger schutzbedürftig. Er findet sich künftig im dritten Rang wieder.

2. Besserstellung der nicht verheirateten Mutter
Die nicht verheiratete Mutter (der nicht verheiratete Vater) erhält heute nach der Geburt des Kindes bis zu drei Jahre lang Betreuungsunterhalt. Danach muss sie (er) wieder arbeiten gehen, wenn dies nicht „grob unbillig“ ist. Der Gesetzgeber knüpft damit an den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für dreijährige Kinder an. Die geschiedene Mutter (bzw. der geschiedene Vater) muss dagegen nach der ständigen Rechtsprechung frühestens dann wieder erwerbstätig werden, wenn das Kind etwa acht Jahre alt ist.
Diese unterschiedliche Behandlung erfolgt nicht ohne Grund: Der Betreuungsunterhalt des geschiedenen Ehegatten beruht auf der fortwirkenden nachehelichen Solidarität und der notwendigen Betreuung des Kindes. Der Betreuungsunterhaltsanspruch der nichtverheirateten Eltern basiert dagegen nur auf der notwendigen Betreuung des gemeinsamen Kindes. Deshalb soll die grundsätzliche Befristung dieses Anspruchs auf drei Jahre beibehalten werden. Um die derzeit große Diskrepanz zwischen den Ansprüchen geschiedener und unverheirateter Mütter und Väter weiter zu reduzieren, soll die Schwelle für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts über die ersten drei Jahre hinaus weiter abgesenkt werden. Die Reform setzt an die Stelle der groben Unbilligkeit die einfache Unbilligkeit, damit die Gerichte im Einzelfall einen größeren Beurteilungsspielraum bei der eventuellen Verlängerung des Anspruchs haben. Zusammen mit der geänderten Rangfolge wird dies zu einer Besserstellung nicht verheirateter Mütter und Väter führen. Dadurch wird die Betreuungssituation der vielen Kinder verbessert, deren Eltern nicht miteinander verheiratet sind und getrennt leben. Zweites Ziel der Reform: Stärkung der nachehelichen Eigenverantwortung Das Unterhaltsrecht sieht schon jetzt in geringem Umfang die Möglichkeit vor, Unterhaltsansprüche zu befristen oder in der Höhe zu beschränken. Diese Möglichkeiten werden von der Rechtsprechung aber nur sehr zurückhaltend genutzt. Hinzu kommt, dass die Rechtsprechung relativ hohe Anforderungen an die Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit nach der Scheidung stellt. Vor allem der Maßstab der „ehelichen Lebensverhältnisse“ erschwert oder verhindert häufig den Wiedereinstieg in den erlernten Beruf. Kurz: Der beim nachehelichen Unterhalt geltende Grundsatz der Eigenverantwortung ist etwas in Vergessenheit geraten. Dies belastet vor allem die Zweitfamilien und ist besonders bei kürzeren Ehen kaum mehr vermittelbar. Ein anderes Problem ist, dass sich die Ehegatten gerade beim vertraglichen Unterhaltsverzicht häufig nicht „auf gleicher Augenhöhe“ gegenüberstehen. In vielen Fällen können sie zumindest die Folgen eines Verzichts nicht genau abschätzen. Der Gesetzentwurf sieht deshalb folgende Änderungen vor:

• Der Grundsatz der Eigenverantwortung wird ausdrücklich im Gesetz verankert. Bei der Frage, ab welchem Alter der Kinder der betreuende Ehegatte wieder eine Erwerbstätigkeit aufnehmen muss, spielen die tatsächlich bestehenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten vor Ort eine größere Rolle als bisher.
• Die Gerichte werden künftig mehr Möglichkeiten haben, den nachehelichen Unterhalt zu befristen oder der Höhe nach zu begrenzen.
• Der in der Ehe erreichte Lebensstandard ist nicht mehr der entscheidende, sondern nur noch einer von mehreren Maßstäben dafür, ob eine Erwerbstätigkeit - und wenn ja, welche - nach der Scheidung wieder aufgenommen werden muss.
• Ein vertraglicher Verzicht auf Unterhaltsansprüche ist nur noch wirksam, wenn sichergestellt ist, dass beide Parteien über die im Einzelfall weitreichenden Folgen umfassend aufgeklärt worden sind. Unterhaltsvereinbarungen vor der Scheidung müssen deshalb notariell beurkundet werden.

Die vorgeschlagenen Änderungen bringen im Interesse der Kinder mehr Verteilungsgerechtigkeit im Mangelfall und führen zu mehr Eigenverantwortung der Ehegatten nach der Ehe. Unverändert gilt aber: Das Unterhaltsrecht muss in besonderem Maße dem Einzelfall gerecht werden und ein über Jahre gewachsenes Vertrauen in die nacheheliche Solidarität schützen. Die neuen Vorschriften sollen zwar grundsätzlich auch für „Altfälle“ gelten, dies allerdings nur, wenn es den Betroffenen unter Berücksichtigung ihres Vertrauens in die einmal getroffene Regelung zumutbar ist. Die Änderungen passen das Unterhaltsrecht also behutsam an eine geänderte gesellschaftliche Wirklichkeit und gewandelte Wertvorstellungen an. Die beteiligten Verbände, der Bundesgerichtshof und die Bundesländer haben fast einhellig positiv auf die Reformvorschläge reagiert. Es ist deshalb davon auszugehen, dass das Änderungsgesetz wie geplant bereits 2006 in Kraft treten kann.

Mit freundlichen Grüßen

Olaf Scholz

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