Frage an Oskar Lafontaine bezüglich Staat und Verwaltung

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Oskar Lafontaine
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Frage von Philipp K. •

Frage an Oskar Lafontaine von Philipp K. bezüglich Staat und Verwaltung

Sehr geehrter Herr Lafontaine,

Ihnen wie allen anderen saarländischen Abgeordneten möchte ich gern einige Fragen zum vieldiskutierten Thema "Länderfusion" stellen:

1. Welche Argumente sprechen Ihrer Meinung nach für oder gegen eine Fusion des Saarlandes mit Rheinland-Pfalz oder der Auflösung innerhalb einer anderen Struktur? Welche Schlussfolgerung ziehen Sie aus den Argumenten?

2. Wo sehen Sie Unterschiede und Gemeinsamkeiten der saarländischen Situation mit den Fällen der Stadtstaaten, insbesondere der Idee einer Fusion von Berlin und Brandenburg?

3. Wie stehen Sie zu Vorschlägen, die Gliederung der Bundesrepublik allgemein durch eine Änderung des Grundgesetzes zu erleichtern, indem beispielsweise die Verpflichtung von Volkabstimmungen im Falle einer Fusion wegfallen sollte?

4. Wie muss nach Ihren Vorstellungen der Länderfinanzausgleich in der anstehenden Föderalismusreform gestaltet werden?

5. Welche Chancen und Risiken sehen Sie generell für das Saarland in der zweiten Föderalismusreform? Welche Verhandlungsposition sollten die saarländischen Vertreter einnehmen?

Vielen Dank für Ihre Stellungnahme und freundliche Grüße,
Philipp Krämer (Berlin und Homburg/Saar)

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BSW

Sehr geehrter Herr Krämer,

Die LINKE spricht sich für eine grundlegende Reform des bundesdeutschen Föderalismus aus. Nicht der vermeintlichen Sparlogik derer, die das Heil im Zusammenlegen von Bundesländern sehen gehört die Zukunft, sondern denen, die vorhandene Strukturen vor Ort, in den Kommunen, Kreisen und Ländern stärken wollen. Dabei muss der Grundsatz der gleichen Lebensbedingungen in der ganzen Bundesrepublik bestehen bleiben. Auf dieser Grundlage muss den verantwortlichen Parlamenten und Verwaltungen vor Ort mehr Entscheidungsbefugnisse eingeräumt werden. Ein Reform der Verteilung der öffentlichen Finanzen zu Gunsten der Regionen und Kommunen ist dabei dringend erforderlich. Von einer kommunalen Selbstverwaltung, wie sie das Grundgesetz vorsieht, kann man in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr sprechen. Die Handlungsunfähigkeit der Kommunen muss durch eine sozial gerechte Steuerreform überwunden werden.

Etwa 60 Prozent der Bundesgesetze müssen heute den Bundesrat passieren, sind also zustimmungspflichtig. Dies war von den Grundgesetzvätern und -müttern nicht so beabsichtigt, zu Beginn der Bundesrepublik Deutschland musste nur etwa jedes zehnte Gesetz durch die Länderkammer. Eine solche Entwicklung kann zu Stillstand und Blockade führen. Gleichzeitig sind entscheidende Kompetenzen den Ländern entzogen und dem Bund bzw. der europäischen Ebene zugeführt worden. Die LINKE befürwortet eine starke Reduzierung der zustimmungspflichtigen Bundesgesetze, im Gegenzug müssen aber den Länderparlamenten deutlich mehr Kompetenzen eingeräumt werden, damit dort auch wieder eigene Politik betrieben werden kann und die Entscheidungsträger nicht zu ehrenamtlichen Insolvenzverwaltern verkommen. Als weiteres Ergebnis der Föderalismus-Kommission und -reform muss es auf jeden eine klare Abgrenzung bei den Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Gemeinden geben.

Das Prinzip der Subsidiarität hat für die LINKE klare und logische Vorteile: Warum sollte eine Entscheidung auf nationaler oder europäischer Ebene getroffen werden, wenn dies problemlos auf kommunaler oder regionaler Ebene möglich ist? Solange es sinnvoll ist, auf einer möglichst bürgernahen Ebene Politik zu betreiben, sollte man auch von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Effektive kommunale und regionale Politik, deren Auswirkungen für die Menschen direkt greifbar sind, ist die Antwort auf die von vielen Bürgern als technokratisch und über ihre Köpfe hinweg entscheidenden Verordnungen der Europäischen Kommission, für die stellvertretend das Wort "Brüssel" steht.

Die LINKE tritt für eine Stärkung des Föderalismus und damit für eine Stärkung der Kompetenzen der Länderparlamente ein. Dennoch kann es nicht sein, dass einzelne Länder selbst mehr Unabhängigkeit vom Bund und folglich mehr Entscheidungsbefugnisse fordern, aber dann in ihrem Bundesland selbst zentralistisch herrschen und die Mitbestimmung der Kommunen völlig unterminieren.

Erstens: keine Länderfusion mit Rheinland-Pfalz, sie wäre politisch und ökonomisch sinnlos. Außerdem wäre vor dieser Fusion, bei der zwingend im Grundgesetz vorgeschriebenen Volksabstimmung wohl keine Mehrheit bei den Saarländerinnen und Saarländern zu erwarten. Stattdessen bedarf es einer effektiveren und transparenteren Zusammenarbeit in der Großregion Saar-Lor-Lux.

Zweitens: Stadtstaaten wie Bremen und Hamburg bedürfen der Einnahmen aus dem Länderfinanzausgleich genauso wie das Saarland. Zur Fusion Berlin/Brandenburg sind die Argumente pro und contra ausgetauscht.

Drittens: Die im Grundgesetz verpflichtend vorgesehene Volksabstimmung bei Länderneugliederungen muss beibehalten werden. Mehr direkte Demokratie heißt auch mehr Zustimmung durch die Bürger über Volksentscheide und Volksabstimmungen.

Viertens: Mit dem Länderfinanzausgleich sollen die Herstellung und Wahrung gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen Teilen Deutschlands gewährleistet und wirtschaftliche Benachteiligungen ausgeglichen werden. Im Grundgesetz findet dieser Teil der Bund-Länder-Finanzbeziehungen in Art. 107 Abs. 2 Satz 1 seine Rechtsgrundlage, wonach „die unterschiedliche Finanzkraft der Länder angemessen ausgeglichen“ werden soll. In Anbetracht zunehmender regionaler Ungleichheiten, sieht sich Die LINKE verpflichtet Initiativen zu ergreifen, damit diesem grundgesetzlichen Auftrag wirksam entsprochen wird.

Dabei lehnt sie einen zunehmenden Wettbewerbsföderalismus, wie er in den Reihen der CDU/CSU und der FDP eingefordert wird, strikt ab. Die zunehmende Konkurrenz zwischen wirtschaftlich stärkeren und schwächeren Bundesländern läuft dem grundgesetzlichen Auftrag zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse zuwider.

Die derzeitige Regelung führt in der Tat dazu, dass sowohl für ein finanzschwaches Bundesland, wie für ein so genanntes „Geberland“, wenig Anreize bestehen, höhere Steuereinnahmen zu erzielen. Wenn ein finanzschwaches „Nehmerland“ mehr Finanzmittel zur Verfügung stellen würde, um die Steuerfahndung und Betriebsprüfung zu intensivieren, so würden die erzielten Steuermehreinnahmen um Mittel aus dem Länderfinanzausgleich in fast gleichem Umfang gekürzt werden. Ähnlich erginge es einem finanzstärkeren „Geberland“, das seine entsprechenden Mehreinnahmen für den Länderfinanzausgleich fast in gleichem Umfang abführen müsste. Verschärft wird dieses Problem dadurch, dass in den finanzstärkeren Bundesländern die mögliche Steuerquote bewusst nicht ausgeschöpft wird, um den ansässigen Unternehmen zusätzliche Standortvorteile zu verschaffen. So sparen die Unternehmen Steuern und die Bundesländer Personalausgaben. Leidtragende dieses Systems sind große Teile der Bevölkerung, die auf solide finanzierte Leistungen der öffentlichen Hand angewiesen sind.

Um den unsinnigen Steuerwettlauf nach unten zu stoppen, hält die Bundestagsfraktion Die LINKE in einem ersten Schritt eine Übernahme der 16 Länderfinanzverwaltungen durch den Bund für dringend geboten. In dieser Forderung sehen wir uns nicht zuletzt auch durch ein Positionspapier des Bundesfinanzministeriums bestärkt, in dem es heißt: „Die Aufsplittung in 16 unabhängige Steuerverwaltungen (…) mit unterschiedlicher Vollzugs- und Prüfungspraxis (z.B. Personaleinsatz, technischer Ausstattung, Prüfungsfrequenz, Prüfungsschwerpunkte) bedingt schon als solche Vollzugsunterschiede (…) Verbindliche Ziel- und Qualitätsvorgaben für den Verwaltungsvollzug und ein darauf aufbauendes einheitliches, bundesweites Verwaltungs-Controlling bzw. Benchmarking gibt es in Deutschland nicht.“ Ein effektiver und einheitlicher Einsatz dieser Instrumente und ihre ausreichende Finanzierung ist unerlässlich, da davon ausgegangen werden kann, dass etwa 90 Prozent aller Steuererklärungen falsche Angaben enthalten. Auch die von den Finanzbehörden vorgesehenen Stichproben von drei bis fünf Prozent der Steuerfälle, die intensiv geprüft werden sollen, reichen keineswegs aus, das Risiko der Entdeckung von Steuerbetrug unkalkulierbar zu machen. Bei Umsetzung der von der Linken geforderten Maßnahmen können Steuerausfälle in zweistelliger Milliardenhöhe vermieden werden. Dies wäre mehr als genug, um die dringendsten Finanzierungsprobleme der Länder zu bewältigen.

Um der Forderung nach einer Übernahme der Länderfinanzverwaltungen durch den Bund Nachdruck zu verleihen, erwägt die Bundestagsfraktion Die LINKE die gegenwärtige Verwaltungspraxis der Steuerbehörden einer verfassungsrechtlichen Prüfung zu unterziehen.

Fünftens: wir brauchen eine Reform des Föderalismus, damit deutlich weniger Gesetze den Bundesrat passieren müssen und im Gegenzug den Länderparlamenten mehr Entscheidungskompetenzen eingeräumt werden sowie eine Stärkung des Prinzips der Subsidiarität, nach dem politische Entscheidungen, solange dies sinnvoll ist, möglichst auf lokaler und regionaler Ebene getroffen werden sollen.