Frage an Rolf Mützenich bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Rolf Mützenich
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Frage von Jens T. •

Frage an Rolf Mützenich von Jens T. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Dr. Mützenich,

in Brüssel gibt es schätzungsweise 20.000 Lobbyisten. Im EU-Parlament sind Sie 751 Abgeordnete. Ich habe von Abgeordneten gehört, die neben ihrer Arbeit für das EU-Parlament gleichzeitig auch Lobbyarbeit betrieben haben. Auch wird häufig davon berichtet, dass Gesetze nicht von Politikern gemacht werden, sondern schon in großen Konzernen vorgeschrieben werden, um dann von der Politik nur noch abgenickt zu werden. Bei einer solchen Beeinflussung durch mächtige Interessenvertreter der Wirtschaft stelle ich es mir sehr schwierig vor ausgewogene Entscheidungen für die Bürger und ihre Wähler zu treffen.

Werden Sie von Lobbyisten beraten? Wenn ja zu welchen Themen und aus welchem Hintergrund kommen diese Interessenvertreter?

Wie anfällig für eine solche Beeinflussung halten Sie sich? Schützen Sie sich dagegen?

Wie gewährleisten Sie, dass Sie auch andere Meinungen zur Entscheidungsfindung hören? Wo arbeiten Sie z.B. mit NGO´s oder anderen Vereinen ohne kommerzielle Interessen zusammen?

Dann würde mich auch interessieren, wie es es persönlich empfinden, dass EU-Parlament von Lobbyisten überrannt wird?

Sehen Sie eine Gefahr darin? Was denken Sie halten die Menschen von der EU, wenn Sie ständig von Beschlüssen erfahren, die wirtschaftlichen Interessen vor die Interessen der BürgerInnen stellen?

Ich freue mich auf Ihre Antworten.

Schönen Gruß

Jens Tippkötter

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Sehr geehrter Herr Tippkötter,

haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage zum Thema Lobbyismus. Tagtäglich werden wir Abgeordnete im Deutschen Bundestag von den unterschiedlichsten Interessenvertretungen angeschrieben, um Gesprächstermine gebeten, zu Empfängen und Veranstaltungen eingeladen. Auch dies gehört zum Berufsalltag eines Abgeordneten, gleich welchem Parlament er angehört. Eines vorweg: seien Sie sich sicher, Herr Tippkötter, dass meine Entscheidungen im Deutschen Bundestag weder käuflich sind noch auf irgendwelche Art und Weise beeinflussbar wären. Beratungen von außerhalb gehören aber nun zum politischen Geschäft dazu und sind auch nicht unwichtig. Nun stellt sich aber die Frage, wer alles als Lobbyist bezeichnet wird.

Sie stellen die Frage nach „NGO´s oder anderen Vereinen ohne kommerzielle Interessen“, ob ich „auch andere Meinungen zur Entscheidungsfindung höre(n)“. Ich persönlich befinde mich regelmäßig im Austausch mit den Gewerkschaften. Die Gewerkschaften kann man durchaus als eine Lobbyvertretung ohne kommerziellen Interessen bezeichnen. Ihr Ziel ist es, für eine gerechtere Arbeitsmarktpolitik zu streiten sowie für den Erhalt von Arbeitsplätzen zu kämpfen. In meiner Zeit als abrüstungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion erhielt ich den Anruf eines Gewerkschaftsfunktionärs aus Kiel, der aufgrund von Abrüstungsplänen der SPD die Arbeitsplätze seiner Kollegen befürchtete. Es sind nicht immer die Männer mit Schlips und Kragen der Waffenindustrie, die für den Erhalt von Rüstungsproduktion in Deutschland eintreten.

Kürzlich baten unterschiedliche Wohlfahrtsverbände um Unterstützung für mehr Geld aus dem Bundeshaushalt, damit sie ihre wichtige Arbeit in der Migrationsberatung sicherstellen können. Auch hier waren sozusagen Lobbyisten an mich als Abgeordneten herangetreten, ohne einem eigenen, egoistischem kommerziellen Eigennutz, sondern um etwas zum Wohle der Gemeinschaft zu erreichen. Soll ich nun für solche Vereine kein Ohr haben, weil es sich um die Lobbyisten der Caritas und der Diakonie handelte?

In meinem Aufgabengebiet der Außenpolitik ist es unerlässlich, sich von unterschiedlichen Experten wie zum Beispiel der „Stiftung für Wissenschaft und Politik“ oder der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung Rat und Beratung zu holen. Sie sehen, Herr Tippkötter, dass ich mich durchaus beraten lasse und über die Gespräche mit den unterschiedlichen Experten mir versuche, eine Meinung zu bilden. Aber, da kann ich Sie beruhigen, aufgrund eines möglicherweise leckeren Essens werde ich keine Entscheidung im Deutschen Bundestag treffen, von der ich nicht überzeugt bin, dass sie zum Wohle der Menschen wäre.

Die Parlamentarier in der EU sind mit Sicherheit einem größeren Andrang von Lobbyisten ausgesetzt, was nicht nur an ihrer größeren Komplexität der politischen Geschäftes mit den vielen Mitgliedstaaten zusammenhängt. Im Gegensatz zum Deutschen Bundestag mit seinem eigenen wissenschaftlichen Dienst, welcher Anfragen der Abgeordneten beantworten kann, fehlt den EU-Abgeordneten diese Möglichkeit. Die Versuche der Lobbyisten, Einfluss auf die EU-Gesetzgebung zu nehmen, wie zum Beispiel die Autoindustrie bei der Abgasnorm, sind bekannt und hier gibt es auch nichts zu beschönigen. Ich persönlich finde eine solche Einflussnahme der Wirtschaftsvertreter auf die Politik nicht gut und kann nur hoffen, dass die Medien weiter mutig und offen über solche Missstände berichten und eben auch andere Interessensvertretungen des Ausgleichs willen im entsprechenden Gesetzgebungsverfahren gehört werden. Für die EU würde ich mir Transparenz und auch Kontrolle durch die Medien wünschen, sodass die Bürgerinnen und Bürger die Nähe zu der Arbeit der EU wiederfinden. Wir brauchen die EU, um weiter in Europa in Sicherheit leben zu können, um wirtschaftlich mit den anderen Regionen mithalten zu können und auch in der internationalen Politik als gemeinsame Stimme wahrgenommen zu werden. Misstrauen durch die Menschen aufgrund von Lobbyentscheidungen wäre hier kontraproduktiv.

Zum Schluss möchte ich Ihre Frage beantworten, wie ich mich persönlich vor der Beeinflussung von Lobbyisten schütze. Abgesehen von dem oben beschriebenen Rat, den ich auch selber suche, lehne ich kategorisch bezahlte Beraterverträge und andere bezahlte Nebentätigkeiten für mich ab.

Mit freundlichen Grüßen
Rolf Mützenich

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