Was halten Sie vom "9 für 90-Ticket"? Ist es nicht eine Fehlinvestition und sind Vorgaben zur Preisgestaltung überhaupt verfassungsrechtlich zulässig?

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Stefan Gelbhaar
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Lukas S. •

Was halten Sie vom "9 für 90-Ticket"? Ist es nicht eine Fehlinvestition und sind Vorgaben zur Preisgestaltung überhaupt verfassungsrechtlich zulässig?

Sehr geehrte Herr Gelbhaar,

Sie sind Vorsitzender der Arbeitsgruppe Mobilität in Ihrer Bundestagsfraktion. Die Bundesregierung plant angesichts der Energiekrise ein "9 für 90-Ticket", die Länder wollen hingegen nach Medienberichten den ÖPNV lieber kostenfrei machen.

Was halten Sie von beiden Vorschlägen? Ist es angesichts des ÖPNV-Investitionsdefizits nicht eine Farce ein solches Ticket einzuführen? Wird damit nicht der städtische Ballungsraum zulasten des ländlichen Raumes querfinanziert, da auf dem Land trotz der Mehrausgaben kein zusätzlicher Bus fährt und man weiterhin auf das Auto angewiesen sein wird? Wäre nicht ein Sofortprogramm, mit dem die Anbindung jeder Ortschaft jede halbe Stunde sichergestellt wird, eine bessere Investition? In wie weit ist es verfassungsrechtlich zulässig über die Regionalisierungsmittel den Ländern Vorgaben hinsichtlich der Preisgestaltung einer ihrer Kernaufgaben - des ÖPNV - zu machen?

Vielen Dank im Voraus.

Mit freundlichen Grüßen
Lukas S.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr S.

das 9-EUR-Ticket: selten hat eine einzelne politische Initiative so viele Menschen bewegt: Das 9-EUR-Monatsticket für den ÖPNV wurde bundesweit 52 Millionen Mal verkauft, das bedeutet fast 30 Mio ÖPNV-Nutzer*innen jeden Monat und das drei Monate lang. Das Ticket hat sehr vielen Menschen mehr Mobilität zu einem enorm günstigen Preis ermöglicht. Tatsächlich sind auch mehr Busse und Bahnen gefahren. Das ist auch ausdrücklich notwendig und sinnvoll - dieses Mehrangebot wird von allen Parteien seit vielen Jahren immer wieder gefordert und ist für eben jene allerdings nur drei Monate realisiert worden. Denn natürlich ist klar, dass nur ein günstiger Preis noch kein gutes Angebot macht: Takte und Ausbau, Sicherheit und Reisequalität sind nicht minder wichtig.

Das 49-EUR-Bundesticket wird gleichwohl einiges verändern, auch ganz konkret z. B. in Berlin-Pankow, etwa an den Bahnhöfen der S-Bahn-Linie 2. Ohne Tarifgrenze zwischen B und C wird es künftig attraktiver schon im C-Bereich einzusteigen. Autofahrten werden - auch im ländlichen Raum - vermieden oder verkürzt. Die Verkehrsmenge auf den Straßen wird sich verändern. Bus und Bahn werden zudem deutlich günstiger. Das reicht aber noch nicht für alle: deswegen haben wir Bündnisgrüne uns in Berlin stets auch für ein bezahlbares Sozialticket eingesetzt - und das umgesetzt. Die Entscheidung im Berliner Senat, das Bundesticket für Leistungsempfänger*innen für 9 EUR anzubieten, ist konsequent. Berlin ist hier auf dem richtigen Pfad. Gleiches gilt für weitere von den Ländern und Gemeinden finanzierte Vergünstigungen, etwa das kostenlose Berliner Schülerticket.

Zudem haben wir eine Aufstockung der Regionalisierungsmittel beschlossen, d.h. die Länder bekommen mehr finanzielle Mittel. Jährlich sind das 1 Milliarde Euro mehr (auch rückwirkend für 2022) und 3 Prozent, statt wie bisher 1,8 Prozent jährliche Steigerung. Das war so auch im Koalitionsvertrag angelegt. Das gleicht einige gestiegene Kosten aus - weitere Schritte in diese Richtung um den ÖPNV-Ausbau noch mehr zu pushen, müssen folgen. Gerade die Situation der Pendler*innen gebietet dieses, im ländlichen Raum wie auch in der Verbindung von ländlichem und städtischem Raum.

Tatsächlich ist es aber nicht so, dass es eine Entscheidung zwischen Finanzierung eines Bundestickets und Finanzierung des Ausbaus gegeben hat. Vielmehr hat sich eine Chance ergeben, über den Koalitionsausschuss das 9-EUR-Ticket durchzusetzen und in der Folge nun ein Bundesticket auf den Weg zu bringen. Die Arbeit für eine höhere Bundesfinanzierung des ÖPNV-Angebots hat zwar auch Früchte getragen, bedarf jedoch glasklar weiterer finanzieller Schritte. Allerdings: auch die Bundesländer können hier noch einen stärkeren Beitrag leisten. Denn diese sind vorrangig für den ÖPNV, der Bund für den SPNV finanziell zuständig. So oder so: Ich sehe es als eine meiner Aufgaben, den ÖPNV weiter in den Fokus zu rücken, und damit auch eine bessere finanzielle Ausstattung zu generieren, um ein dichteres Angebot in Stadt und Land zu bekommen.

Ihr 
Stefan Gelbhaar

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