Liebe Frau R.,

ich danke Ihnen herzlich für Ihre Mail. Und obwohl Sie deutliche Kritik üben, sprechen Sie mir aus dem Herzen. Denn es ist ja nicht so, dass wir Grünen unsere Ideale verloren hätten. Und es ist auch nicht so, dass wir im Wahlkampf Aussagen plakatieren, die wir hinterher einkassieren. Ganz im Gegenteil: Wir kämpfen weiter für unsere Haltungen, Überzeugungen, Themen und Inhalte. Erst Recht jetzt! Und das macht die aktuelle Situation so schmerzhaft.

Was Sie ansprechen, liegt mir als Mitglied im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, sehr am Herzen. Das Leid von Menschen in Kriegsgebieten, vor allem der Frauen und Kinder, können wir hier nicht ermessen. Es überstiegt unsere Vorstellungskraft. Deswegen tun wir gut daran, immer nach dem Optimum zu streben: dem Frieden. In diesem Kontext sind auch unsere Forderungen nach dem Stop für Waffenlieferungen zu lesen. Als unser Leitziel. Das verlieren wir nicht aus den Augen. Niemals.

Gleichzeitig müssen wir registrieren, dass wir bei der Bundestagswahl 2021 die absolute Mehrheit verfehlt haben. Deshalb befinden wir uns in einer mehr oder weniger angenehmen Koalition, in der es zu einzelnen Themen zum Teil deutlich andere Auffassungen gibt als unsere. In entsprechenden Diskussionen und Verhandlungen kämpfen wir natürlich für unsere grünen Positionen! Jetzt sogar innerhalb der Regierung. Und wir lassen nicht nach! Dennoch liegt das Wesen eines Kompromisses darin, dass niemand seine Interessen vollumfänglich durchsetzen kann. Wir auch nicht.

Nicht zuletzt befinden wir uns wegen des russischen Angriffskrieges in einem gesamtgesellschaftlichen Dilemma. Unsere Vorgängerregierungen haben sich abhängig gemacht von Putins Gas. Jetzt zahlen wir die moralische und ökologische Rechnung für diese außerordentlich kurzsichtige und törichte Bequemlichkeit. 

Um ihre Frage ganz direkt zu beantworten: Die ursprünglichen Ideale sind dort, wo sie immer waren: In unserem Herzen. Sie geben uns die Kraft, jeden Tag aufs Neue für unsere Sache zu kämpfen - und es auszuhalten, wenn wir wieder einmal ausgebremst und aufgehalten werden. 

Ihre Susanne Menge