Frage an Sylvia Kotting-Uhl von Franz R. bezüglich Umwelt
Sehr geehrte Frau Kotting-Uhl,
erneuerbare Energien sollen nach Plänen der Bundesregierung und auch der Grünen (korrigieren Sie mich, wenn die Zahl nicht stimmt) bis 2020 einen Anteil von 30% an der Stromversorgung haben. Wie gedenken die Grünen die restlichen 70% zu decken, wenn bis spätestens 2020 die Atomkraft wegbrechen soll und angesichts der Klimaerwärumung die Grünen eine CO2 Einsparung von 40% bis 2020 fordern? Gerade Kohlekraftwerke sind ja die Hauptverursacher von CO2 und müssten wenn die ehrgeizigen CO2-Einsparungsziele eingehalten werden wollen still gelegt werden. Angesichts dieser Tatschache würde mich auch interessieren, wie die Grünen zur CO2-Sequestrierung, also der Einlagerung von CO2, stehen?
Sehr geehrter Herr Rampp,
eins sag ich Ihnen gleich: das wird eine längere Antwort!
Ich danke Ihnen für die Frage, denn sie ist die entscheidende für die nächsten 42 Jahre - dann müssen wir in Deutschland 80% unserer heutigen CO2-Emissionen eingespart haben.
Den bei uns beschlossenen Atomausstieg aus "Klimaschutzgründen" wieder in Frage zu stellen ist weder hilfreich noch nötig, genau besehen sogar kontraproduktiv für den Klimaschutz. Was meinen Sie, warum unser Land Weltmarktführer bei den Technologien sowohl für Windkraft wie für Solarstrom ist? Dank der "Doppelkraft" von einerseits EEG und andererseits Atomausstiegsbeschluss: neue Technologien brauchen Förderung, sie brauchen aber mindestens genauso die Zuversicht auf dem Markt dann auch Chancen zu haben. Der Atomausstieg hat in unserem Land eine ungeheure Innovationskraft für neue Energietechnologien ausgelöst - und uns in der Folge nicht nur die Exportweltmeisterschaft, sondern auch die globale Zuschreibung des "Vorreiters" beim Klimaschutz beschert. (Weshalb es inzwischen auch so wichtig ist, dass wir der Welt die "richtigen" Strategien vorführen!)
CCS ist nach meiner und zunehmend meiner ganzen Partei ebensowenig die Lösung. Das Schlagwort "clean coal" klingt verführerisch, vernebelt aber so einiges: zum einen - aber das ist noch das geringste Problem - dass die CO2-Abscheidung und -Speicherung gar nicht zu 100% CO2-Freiheit führt, dass die Verstromung von Kohle mit CCS überdies teuer und ineffizient wird; zum zweiten, dass alle drei Technologie-Bereiche Abscheidung-Transport-Speicherung voller Probleme stecken, von denen wir absolut noch nicht wissen, ob sie lösbar sind; und zum dritten, dass nach allen Prognosen der Befürworter CCS frühestens 2020 brauchbar zur Verfügung steht. Das ist aber zu spät! Derzeit verlangen die Energie-Konzerne für 25 Kohlekraftwerksneubauten Genehmigungen - alle auf dem Versprechen "Das rüsten wir dann mit CCS nach." Falls sich Umweltminister Gabriel darauf einlässt - und es sieht leider weitgehend so aus! - dann haben wir 2020 keine 40% CO2 eingespart, mit diesen Kohle-Neubauten geht die Rechnung einfach nicht auf! Und falls CCS nicht kommt - dafür gibt es reichlich Anzeichen, siehe den Stopp der norwegischen bisher aussichtsreichsten Projekte - dann verfehlen wir das Klimaschutzziel 2050 auf geradezu grauenvolle Weise.
Es gibt nur einen Weg zum Klimaschutz: Der Ausbau aller und die Entwicklung der noch nicht einsatzfähigen Erneuerbaren Energie-Technologien (wie z.B. Meereswellen- Technologie, Speichertechnologie und die Zusammenschaltung eines "virtuellen Kraftwerks") und ein absoluter Fokus auf Effizienz und Einsparen. Für Letzeres brauchen wir Sie und jeden anderen einzelnen Bürger und Bürgerin. Es geht nicht darum Lebensqualität zu vermindern - vielleicht sogar ganz im Gegenteil. Aber wir alle müssen ein Bewusstsein für die Kostbarkeit von Energie entwickeln (wenn wir weiterhin auf die endlichen fossilen Ressourcen setzen, wird uns die KOSTbarkeit übrigens von ganz anderer Seite beigebracht werden - der Ölpreis läst grüßen, das Uran zieht auch schon an und auch Kohle hält nicht ewig und wird spätestens mit CCS richtig teuer!) Geschenkt werden uns nur Sonne, Wind, Wasser, Erdwärme und Meereswellen, wir brauchen dazu die Technologie sie zu nutzen. Aber wir - Zivilgesellschaft und Wirtschaft - müssen lernen effizienter mit jeglicher Nutzung von Energie umzugehen. Die Energieverschwendungsgesellschaften des 20. Jahrhunderts müssen Vegangenheit sein.
Wir Grünen haben ein Energiekonzept 2.0 vorgelegt, das die 40% CO2-Einsparung bis 2020 übererfüllt und ohne Neubau von Kohlekraftwerken oder der Infragestellung des Atomausstiegs auskommt. Ich will Ihnen in aller Kürze die wichtigsten Maßnahmen vorstellen: Die wichtigsten Maßnahmen im Strombereich: Effizienzpaket Strom: Dynamisierung der Effizienzstandards und der Kennzeichnung, Einführung eines Stromsparfonds, mehr erneuerbare Energien durch Optimierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), ein Biogaseinspeisegesetz und ein Marktanreizprogramm für den Stromsektor. Anstelle bisheriger Stromimporte aus fossilen und atomaren Quellen: Importkonzept für erneuerbare Energien als Kooperationsangebot für Drittländer auf Grundlage klarer Nachhaltigkeitskriterien. Durch Einsparung und verbesserte Energieeffizienz werden mind. 45 Millionen Tonnen CO2 eingespart, durch Erneuerbare Energien mind. 70 Millionen Tonnen CO2. Dieses Ziel ist ohne Stromimport erreichbar.
Die wichtigsten Maßnahmen im Wärmebereich: Gebäudesanierungspaket: deutliche Verschärfung und Kontrolle der Energieeinsparverordnung (EnEV), Verbesserung des KfW- Gebäudesanierungsprogramms Schaffung einer besseren Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), Einführung eines Erneuerbare-Wärme- Gesetzes. Durch Energieeinsparung werden im Wärmebereich mindestens 30 Millionen Tonnen CO2 eingespart, durch erneuerbare Energien und KWK mindestens 85 Millionen Tonnen CO2.
Die wichtigsten Maßnahmen im Verkehrsbereich: Verkehrsvermeidung und “verlagerung: Förderung von ÖPNV, Fuß- und Radverkehr sowie nachhaltigen Logistikkonzepten im gewerblichen Bereich. Effizienzsteigerung: CO2-Grenzwerte von 120g/km ab 2012, Umwandlung der KfZSteuer in eine CO2-Steuer, Ausweitung der LKW-Maut, Tempolimit Vorfahrt für klimaneutrale Antriebe: eine Million Elektrofahrzeuge (inkl. Plug-In-Hybride); nachhaltigkeitsgeprüfte Biotreibstoffe, Wettbewerbsvorteile für klimaschädlichen Verkehr abschaffen. Durch Verkehrsvermeidung und -verlagerung sowie Effizienzsteigerung werden im Verkehrsbereich mindestens 35 Millionen Tonnen CO2 eingespart und durch den Einsatz erneuerbarer Energien mindestens 15 Millionen Tonnen CO2.
Lieber Herr Rampp, ich habe Ihnen keine vorgefertigte Antwort gegeben - bis auf die Auszüge aus unserem Energiekonzept 2.0 - ich habe Ihnen geschrieben. Die Klimaschutzfrage ist zentral für unser Leben auf dem Globus. Wir Grünen werden alles dafür tun jede und jeden Einzelnen für die richtige Antwort zu gewinnen. Wenn Sie z.B. noch bei einem der Konzerne Ihren Strom beziehen: Ändern Sie es. Gehen Sie zu einem Strom-Anbieter der Ihnen Ökostrom garantiert (zu finden auf meiner Homepage ), der keine Kohlekraftwerke bauen will und für Laufzeitverlängerungen seiner alten AKW seinen Part des Vertrages mit der (rot-grünen) Regierung in den Wind schreiben will.
Mit freundlichen Grüßen
Sylvia Kotting-Uhl