Frage an Thomas Kestler von Rohan S.
Sehr geehrter Herr Kestler,
vorweg einen Dank an Sie, dass sie sich überhaupt die Zeit nehmen, die Fragen in diesem Forum zu beantworten.
Eine Ihrer Antworten beinhaltet, ich zitiere Sie, folgende Aussage: "...dass die Arbeitsmarktpolitik nicht mein Schwerpunkt ist und ich deshalb in die Thematik nicht eingearbeitet bin." Was ich nachvollziehen kann und auch billige. Nicht jedes Themenfeld des großen Ackers Politik kann und will von jedem einzelnen bearbeitet werden.
Was mich nun interessiert, und das zählt mehr unter "ich will sie näher kennen lernen, um Ihnen einen Vertrauensbonus und eventuell meine Stimme zu geben" als unter harter Realpolitik und einer konkreten Antwort auf eine komplizierte Frage die so einfach gewandet wurde, ist folgendes: welches sind Ihre Themen, die Ihre Leidenschaft wecken und dadurch zwangsläufig auch in Ihr Ressort und Fachgebiet fallen?
Ich freue mich auf eine Antwort von Ihnen und verbleibe bis dahin mit einem Freundlichen Gruß und einem "viel Erfolg beim Wahlkampf".
Ihr Rohan Siebert
Sehr geehrter Herr Siebert,
besten Dank für diese persönliche Frage, die eigentlich nichts mit Regionen und Kommunen zu tun hat, die mir aber die Möglichkeit gibt, einige meiner zentralen Anliegen zu erläutern.
Wie Sie meiner Biographie entnehmen können, hatte ich bisher noch keine Gelegenheit, parlamentarische Erfahrungen zu sammeln und mich in ein konkretes Sachgebiet vertieft einzuarbeiten.
Es gibt aber einige Themen, die mich besonders beschäftigen. Dazu zählt die Bildungs- und die Familienpolitik, nicht nur, weil ich selbst zwei kleine Kinder habe, sondern weil ich diesen Bereich unter den zahllosen, ausufernden Staatsaufgaben für vordringlich halte. Hier gibt es trotz einiger Fortschritte noch sehr viel aufzuarbeiten, insbesondere bei der frühkindlichen Förderung, die ganz wesentlich den weiteren Bildungsweg beeinflusst. Die Union hat hier lange Zeit komplett versagt, bzw. blockiert, um ihr ideologisch bedingtes Familienbild zu oktroyieren. Damit wurde bewusst in Kauf genommen, dass Alleinerziehende dauerhaft aus dem Arbeitsleben herausfallen und ins sogenannte Prekariat abgleiten. Ähnliche Fehlleistungen sind auch in der Migrations- und Integrationspolitik zu verzeichnen.
Vielleicht fühlen sich die Damen und Herren aus dem bürgerlichen Lager ja besser, wenn es eine Unterschicht gibt, von der man sich mit wohligem Schauder abgrenzen kann – solange die eigenen Kinder einen weiten Bogen um die Hauptschulen machen. Gegen die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems wehrt man sich jedenfalls mit Händen und Füßen (siehe http://www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/0,1518,645098,00.html )
Ein gewisses Maß an Ungleichheit gehört zu einer freien Gesellschaft. Dies darf aber nicht für die Bildungschancen von Kindern gelten – und erst gar nicht, wenn diese Ungleichheit nicht durch Leistung bedingt ist, sondern durch den Geldbeutel der Eltern. Dies widerspricht nicht zuletzt auch dem Wettbewerbsprinzip.
Talentierte Kinder bleiben unter ihren Möglichkeiten, während mäßig begabte um jeden Preis durchs Gymnasium geboxt werden – und dann auf der Uni landen. Das mag einer der Gründe dafür sein, dass die deutschen Unis einfach nicht aus ihrer Mittelmäßigkeit herausfinden, trotz millionenschwerer Exzellenzinitiativen. Hier findet eine ungeheure Ressourcenverschwendung statt, die sich eine Wissensgesellschaft im Zeitalter der Globalisierung nicht leisten kann. Bereits jetzt trifft man vielfach höchst mittelmäßige Leute in Führungspositionen an, was zeigt, dass bei der Rekrutierung der Elite etwas schief läuft. Ich plädiere deshalb dafür, Bildung und Chancengerechtigkeit vom ersten Lebensjahr an zu einer Top-Priorität staatlichen Handelns zu machen.
Eine weitere Problematik, die mich beschäftigt, ist die grundsätzliche Frage nach der Handlungs-, bzw. Reformkapazität unseres politischen Systems insgesamt. Dieser Sommer ist wieder einmal besonders entmutigend, zunächst mit der Dienstwagendebatte und aktuell mit der Ackermann-Debatte. Das sind die Themen, mit denen sich die Öffentlichkeit beschäftigt und die den Wahlkampf prägen – nicht die Frage, wie man die Staatsverschuldung in den Griff bekommen will; nicht die Frage nach der grundsätzlichen Ausrichtung unserer zu stark Export-orientierten Wirtschaft; nicht der Klimawandel; nicht die Frage nach der langfristigen Energieversorgung; nicht die Frage der Mobilität im Zeitalter schwindender Ölvorräte. Es werden Pseudo-Debatten geführt, die Politik verkommt zur Farce, echte Argumente werden nicht mehr ausgetauscht. Das ist es, was mich beschäftigt und wo ich dringenden Handlungsbedarf sehe.
Ich hoffe, ich konnte Ihre Frage damit beantworten.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Kestler