Frage an Thomas Oppermann bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Thomas Oppermann
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Frage an Thomas Oppermann von Simon R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Oppermann,

Ich bin Schüler in der Oberstufe des Eichsfeld Gymnasiums in Duderstadt. Im Rahmen unseres Religionsunterrichtes bearbeiten wir im Moment das Thema Sterbehilfe in spezieller Bezugnahme auf die schon einige Zeit zurückliegende Bundestagsdebatte um eine gesetzliche Regelung der Patientenverfügung. Über den allgemeinen Inhalt des Gesetzesentwurfes bin ich informiert.

Für ein kleines Meinungsbild haben wir im Kurs beschlossen, die Politiker unseres Wahlkreises und die des angrenzenden Wahlkreises in Thüringen einmal über ihre Meinung zu der Gesetzesinitiative zu befragen. Daher möchte ich Ihnen einige kurze Fragen stellen:

1.Wie stehen Sie zu dem Thema „Sterbehilfe“ und speziell: „rechtliche Regelung der Patientenverfügung“?
2.Haben Sie für oder gegen den Gesetzesentwurf gestimmt?
3.Welche Gründe haben Sie hauptsächlich zu dieser Entscheidung bewegt?

Ich hoffe, dass die Bearbeitung meiner Fragen nicht allzu viel Zeit in Anspruch nimmt und bedanke mich schon einmal im Voraus.

Mit freundlichen Grüßen

S. Reineke

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SPD

Sehr geehrter Herr Reineke,

im letzten Jahr hat im Deutschen Bundestag eine Orientierungsdebatte zum Thema der Patientenverfügungen stattgefunden. Dabei sind die unterschiedlichen Bewertungen, ob eine gesetzliche Regelung überhaupt notwendig ist und unter welchen Umständen eine solche Verfügung bindend sein sollte, erörtert worden. Zum damaligen Zeitpunkt sind noch keine Gesetzentwürfe eingebracht worden.

Es ist bestimmt nicht leicht, sich im Religionsunterricht mit diesem auch rechtlich komplizierten Thema auseinanderzusetzen. Auch für uns Abgeordnete ist die Frage, ob und inwieweit Patientenverfügungen verbindlich sein sollten, schwierig zu beurteilen. Zu welchem Urteil wir jeweils kommen, ist sicher von den Wertvorstellungen und der persönlichen Einstellung jedes Einzelnen geprägt. Deshalb finde ich es auch richtig, dass – wie auch bei der Änderung des Stammzellgesetzes – die Abgeordneten eine mögliche Entscheidung im Deutschen Bundestag zu den Patientenverfügungen fraktionsunabhängig treffen können.

Ihre drei Fragen beantworte ich gern.

1. Ich finde es wichtig, sich immer wieder bewusst zu machen, dass das Sterben zum Leben dazu gehört. Jeder von uns wird sterben müssen. Wir alle tun uns schwer mit diesem Gedanken. Doch der Frage, wie wir mit dem Tod umgehen, dürfen wir nicht ausweichen, wenn uns das Sterben in Würde ein ernstes Anliegen ist. Für Schwerstkranke und Sterbende heißt das, dass ihnen ein Sterben ermöglicht werden muss, das sich nicht einsam und unter größten Schmerzen vollzieht. Gerade für diese Menschen und ihre Angehörigen ist es wichtig, die Möglichkeiten einer schmerzlindernden Palliativmedizin und einer intensiven sozialen und pflegerischen Betreuung gegenüber der rein medizinischen Versorgung zu stärken. Dieses Thema ist für mich vorrangig zu bearbeiten. Nun aber zu Ihrer Frage nach meiner Meinung zu Patientenverfügungen. Schätzungsweise gibt es mehr als sieben Millionen Patientenverfügungen. Inwieweit diese Verfügungen jedoch verbindlich sind, ist meiner Ansicht bisher nicht hinreichend geklärt. Ich trete deshalb dafür ein, den Umgang mit ihnen gesetzlich zu regeln. Damit geben wir den Menschen, die eine Patientenverfügung verfasst haben oder verfassen wollen, mehr Sicherheit und stärken ihr Recht, über Einleitung und Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme selbst zu entscheiden. Und auch Ärzte, die Angehörigen von Patienten und ihre rechtlichen Vertreter erhalten mehr Klarheit im praktischen Umgang mit den Patientenverfügungen. Die Tötung auf Verlangen, also die aktive Sterbehilfe, ist von einer gesetzlichen Regelung zur Patientenverfügung nicht berührt. Sie ist und bleibt verboten.

2. Bisher ist nur der Gesetzentwurf des SPD-Rechtspolitikers Joachim Stünker in das parlamentarische Verfahren eingebracht worden. Die Behandlung dieses Gesetzentwurfes im Plenum (die so genannte 1. Lesung) wird in der letzten Juni-Woche sein. Danach wird der Gesetzentwurf zur weiteren Beratung in die zuständigen Fachausschüsse des Deutschen Bundestages überwiesen. In den Ausschüssen findet dann die fachliche Auseinandersetzung statt. Es ist davon auszugehen, dass dann noch weitere Gesetzentwürfe in die Beratung eingebracht werden. Möglicherweise wird es im Herbst im federführenden Rechtsausschuss eine Anhörung zu dem Thema geben, zu der Expertinnen und Experten eingeladen werden, und ihre Sicht auf die unterschiedlichen Gesetzentwürfe darlegen. Erst danach könnte es zu einer Abstimmung im Deutschen Bundestag kommen. Ich unterstütze den Stünker-Entwurf, der unter www.bundestag.de, dem Link Drucksachen unter der Drucksachennummer 16/8442 angesehen werden kann.

3. Ich unterstütze den derzeit vorliegenden Gesetzentwurf zur Patientenverfügung, weil ich davon ausgehe, dass man das Selbstbestimmungsrecht des Patienten nur dann wirklich ernst nimmt, wenn es für jede Krankheitsphase gilt. Das Selbstbestimmungsrecht muss auch die Ablehnung lebensverlängernder Maßnahmen umfassen, wie die Ablehnung der künstlichen Ernährung bei z.B. einer irreparablen Hirnschädigung nach einem Herzstillstand, aber noch vorhandener Kreislaufstabilität. Es muss dabei auch möglich sein, Entscheidungen für eine Zeit zu treffen, in der man wegen eines Unfalls oder einer schweren Erkrankung nicht mehr entscheidungsfähig ist. Diese schriftlich getroffenen Entscheidungen (in Bezug auf eine konkrete Lebens- und Behandlungssituation) sollten dann auch bindend sein, wobei jede geänderte Willensäußerung des Patienten Vorrang hat. Dazu sind Beurteilungen von Arzt, Betreuer und Angehörigen zu beachten und bei Uneinigkeit ein Vormundschaftsgericht einzuschalten.

Der Entwurf will sicherstellen, dass niemand aus Kostengründen dazu gedrängt wird, auf medizinisch notwendige Behandlungen zu verzichten. Es soll aber zum anderen auch keiner fürchten müssen, dass er am Lebensende gegen seinen Willen der modernen Medizintechnik hilflos ausgeliefert ist. Gegen die erste Sorge hilft ein klares Bekenntnis zum Schutz des Lebens durch ein striktes Verbot der aktiven Sterbehilfe – wie der Entwurf dies vorsieht. Gegen die zweite Furcht bedarf es meiner Meinung nach einer gesetzlichen Regelung zur Patientenverfügung, in dem das Selbstbestimmungsrecht des Patienten hohe Priorität erhält.

Mit freundlichen Grüßen

Thomas Oppermann