Frage an Wolfgang Kubicki bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Portrait von Wolfgang Kubicki
Wolfgang Kubicki
FDP
15 %
25 / 163 Fragen beantwortet
Frage von Winfried K. •

Frage an Wolfgang Kubicki von Winfried K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Führende Politiker argumentieren, sie müssten wegen des Grundgesetzes alle Flüchtlinge ins Land lassen. Das Gegenteil ist richtig, erklärt Verfassungsrechtler Rupert Scholz.
http://www.focus.de/politik/deutschland/wir-verteidigen-europas-werte-asylrecht-kennt-obergrenze_id_5016673.html
Rupert Scholz über Flüchtlingspolitik "Da liegt die Bundeskanzlerin falsch"
15.10.2015 08:48 Uhr Von Gerd Appenzeller
Angela Merkel hat gesagt, 3000 Kilometer deutscher Grenzen könne man nicht schützen. Und sie lehnt Obergrenzen für das Asylrecht ab. Bei beidem irrt sie, meint Staatsrechtler Rupert Scholz im Interview.
http://www.tagesspiegel.de/politik/rupert-scholz-ueber-fluechtlingspolitik-da-liegt-die-bundeskanzlerin-falsch/12450400.html

Sehr geehrter Herr Kubicki,

stimmen Sie als Jurist in allen Punkten der Expertise von Professor Ruppert Scholz zu?

Welche Punkte dieser Expertise sehen Sie eher kritisch?

Was scheint Ihnen eher undurchführbar?

Mit freundlichen Grüßen
Winfried Kraus

Portrait von Wolfgang Kubicki
Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Kraus,

nach Ansicht des Verfassungsrechtlers Rupert Scholz ist eine Obergrenze für Flüchtlinge verfassungsgemäß, da das Grundrecht auf Asyl unter dem Vorbehalt der Machbarkeit stehe.

Grundsätzlich steht natürlich jede Norm unter einem solchen Vorbehalt. Jedes Recht gilt immer nur nach Maßgabe des Möglichen. Dabei ist aber zu beachten, dass ein Recht in einem Rechtsstaat auch dann noch gilt, wenn es faktisch nicht durchsetzbar ist. Dies gilt auch für das Asylrecht, dessen Inanspruchnahme trotz eines Kapazitätsvorbehalts auch abwehrrechtlich funktioniert, was heißt, dass politisch Verfolgte ein individuelles Recht auf Asyl haben. Es steht also gerade nicht unter dem Vorbehalt der Leistungsfähigkeit des Gemeinwesen. Das Asylrecht ist mithin insbesondere nicht nur nach Maßgabe verfügbarer Haushaltsmittel, sondern als strikt zu beachtendes Abwehrrecht garantiert.

Bei einer echten oder vermeintlichen wirtschaftlichen Überforderung durch die Aufnahme von asylberechtigten Flüchtlingen müsste der Artikel 16a GG im Wege der Verfassungsänderung angepasst werden. Dies wäre auch grundsätzlich möglich, da das Grundrecht auf Asyl aus Artikel 16a GG nicht von der sogenannten Ewigkeitsgarantie umfasst ist. Da das Asylrecht aber mit der Menschenwürde verbunden ist und hieraus bestimmte Schutzwirkungen abzuleiten sind, kann das Grundrecht auf Asyl wohl nicht ersatzlos gestrichen werden. Möglich wäre nur eine Fortschreibung der Asylrechtsgarantie in geringerem Umfang.

Meines Erachtens wäre aber selbst diese noch zulässige Verfassungsänderung nicht zielführend. Das Asylgrundrecht findet seine Beschränkungen nämlich bereits in Artikel 16a Absatz 2 bis 5 GG. Artikel 16a Absatz 2 GG schließt bei Einreise eines Ausländers aus einem sicheren Drittstaat die Berufung auf das Asylgrundrecht aus, da der Ausländer keines Schutzes durch die Bundesrepublik Deutschland bedarf (vgl. Begründung zu Artikel 16a Absatz 2, BT-Drs 12/4152, 4). Diese Regelung soll sicherstellen, dass bei aus sicheren Drittstaaten einreisenden Asylsuchenden eine Aufenthaltsnahme verhindert bzw. umgehend beendet wird, indem auf eine individuelle Prüfung des Asylgesuchs verzichtet wird. Das heißt nichts anderes, als dass Artikel 16a Absatz 2 GG ein Recht auf Asyl bei Einreise in die Bundesrepublik Deutschland über Land nicht gewährt. Das ist vom BVerfG bestätigt worden (BVerfGE 94, 49 = NVwZ 1996, 700, 704).

Nur sehr wenige Flüchtlinge können daher einen Anspruch auf Asyl aus dem Grundgesetz geltend machen. Ein Aufenthaltsrecht erhalten Flüchtlinge fast immer nach den nachrangig zu prüfenden Vorschriften, die europa- und völkerrechtliche Vorgaben umsetzen. Es gibt hier drei Formen des nachrangigen Flüchtlingsschutzes: den Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention (§ 3 AsylVfG) sowie den subsidiären unionsrechtlichen (§ 4 AsylVfG) und den nationalen subsidiären Schutz (§ 60 V und VII AufenthG). Eine Änderung des Grundgesetzes würde also überhaupt nicht zu einer wesentlichen Begrenzung von Flüchtlingen führen.

Das Völker- und Europarecht lassen im Übrigen auch die Einführung von Obergrenzen als unzulässig erscheinen. Die Genfer Flüchtlingskonvention, die im deutschen Ausländerrecht in § 3 AsylVfg umgesetzt wurde, sieht einen individuellen Schutzanspruch für politisch Verfolgte vor. Das Gleiche folgt aus der EU- Qualifikationsrichtlinie. Obergrenzen sind mit einem individuellen Recht auf Asyl aber nicht zu vereinen, da diese letztlich dazu führen würden, dass ab einer bestimmten Anzahl von Flüchtlingen eine Einzelfallprüfung verwehrt würde.

Um die Einreise von Flüchtlingen zu begrenzen, schlagen wir als FDP deshalb vor, dass der Rat der Europäischen Union nach Artikel 5 der Schutzgewährungsrichtlinie (2001/55/EG) das Bestehen eines Massenzustroms feststellt. Dann kann Flüchtlingen ein vorübergehender Schutz bis zu einem, im Höchstfall bis zu drei Jahren Dauer gewährt werden. Erteilt wird damit also nur eine befristete Aufenthaltserlaubnis.

Kriegsflüchtlinge könnten dann schnell und unbürokratisch einen verlässlichen Aufenthaltstitel in Deutschland erhalten. Die für das Asylverfahren zuständigen Behörden würden deutlich entlastet, da entsprechende Anträge, sollten sie gleichwohl gestellt werden, ruhen, also von der Bearbeitung ausgeschlossen werden.

Gleichzeitig benötigen wir ein modernes Einwanderungsgesetz, das klar benennt, wer unter welchen Voraussetzungen bei uns eine dauerhafte Perspektive hat, weil wir ihn auf unserem Arbeitsmarkt brauchen. Als alternde Gesellschaft brauchen wir in vielen Berufen Zuwanderer. Aber wir haben ein Recht darauf, uns diejenigen auszusuchen, die wir in unseren Arbeitsmarkt einladen. Kriegsflüchtlinge, die nicht in ihre Heimat zurückkehren wollen und die Kriterien eines modernen Einwanderungsgesetzes erfüllen, erhalten sofort Zugang zum Arbeitsmarkt. Wer in der Folge für seinen Lebensunterhalt sorgen kann, erhält einen dauerhaften Aufenthaltstitel. Kriegsflüchtlinge, die nicht in ihre Heimat zurückkehren wollen, aber die Kriterien eines modernen Einwanderungsgesetzes nicht erfüllen, müssen nach Beendigung des bewaffneten Konflikts in ihrer Heimat ausreisen oder erforderlichenfalls zurückgeführt werden.

All dies wäre auch ein überfälliges internationales Signal, dass Deutschland solidarisch ist, aber Flüchtlinge in unbegrenztem Umfang nicht dauerhaft aufnehmen kann.

Mit freundlichen Grüßen

Wolfgang Kubicki

Was möchten Sie wissen von:
Portrait von Wolfgang Kubicki
Wolfgang Kubicki
FDP