Frage an Wolfgang Strengmann-Kuhn bezüglich Soziale Sicherung

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Wolfgang Strengmann-Kuhn
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Jörg D. •

Frage an Wolfgang Strengmann-Kuhn von Jörg D. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Dr. Strengmann-Kuhn,

können Sie hier vielleicht berichten, in wie weit in der Realpolitik in Berlin über ein sogenanntes "bedingungsloses Grundeinkommen" diskutiert wird - nicht nur bei den Grünen.

Sie beschäftigen sich selbst in mehreren Büchern mit dem Thema und sind bei BIEN Mitglied. Die Grünen (als Partei) forderten ein Grundeinkommen schon in den 80er Jahren, doch von der fast 30jährigen "grünen Diskussion" hört man heute selten etwas. Wenn Sie selbst für ein Grundeinkommen sind, würde mich interessieren, ob eine Diskussion im Bundestag zu einer weiteren öffentliche Diskussion führen würde. Dazu möchte ich weiter wissen: Haben Sie überhaupt die Möglichkeit, eine solche Diskussion anzustoßen?

Um (demokratische) Mehrheiten für das Grundeinkommen zu erhalten, müssen Menschen ersteinmal wissen, für was sie sich da entscheiden (würden). Entsprechend sollte darüber aufgeklärt werden, was es damit auf sich hat. Deshalb ist es für mich interessant, ob solche Aufklärungsarbeit geleistet wird - die spärliche Medienresonanz erweckt nicht den Eindruck.

Vielen Dank für Ihre Antwort und herzliche Grüße aus Kiew,

Jörg Drescher

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Drescher,

vielen Dank für die Frage.

Im Bundestag ist das Grundeinkommen bisher kein Thema, es wird aber in allen Parteien über das Grundeinkommen oder ein Bürgergeld diskutiert - am intensivsten bei den Grünen, bei der CDU und der Linkspartei. Bei den Grünen ist ein Antrag für ein konkretes Grundeinkommen auf dem letzten Parteitag knapp gescheitert. In dem beschlossenen Antrag steht allerdings: "Die Diskussion um das Grundeinkommen ist damit nicht beendet". Der CDU- Bundesvorstand hat eine Kommission zum Vorschlag "Solidarisches Bürgergeld" des Ministerpräsidenten Dieter Althaus eingerichtet. In der Linkspartei wird die Diskussion vor allem von der stellvertretenden Vorsitzenden und Bundestagsabgeordneten Katja Kipping vorangetrieben. Die FDP diskutiert über ein Bürgergeld in Form einer "Negativen Einkommensteuer", das allerdings an Bedingungen geknüpft ist und deshalb nicht als bedingungsloses Grundeinkommen bezeichnet werden kann. Inwieweit es an der FDP- Basis Mitglieder gibt, die sich für ein bedingungsloses Bürgergeld einsetzen, kann ich nicht beurteilen. Am schwächsten sind die Diskussionen wohl in der SPD ausgeprägt. Es gab allerdings einige Veranstaltungen bei der Friedrich-Ebert-Stiftung sowie bei der Parlamentarischen Linken der SPD-Bundestagsfraktion. Außerdem haben sich mittlerweile mindestens zwei Kreisverbände der SPD für ein Grundeinkommen ausgesprochen und ich begegne immer wieder einzelnen SPD-Mitgliedern, denen die Grundidee sympathisch ist.

Wie Sie richtig schreiben, trete ich selbst seit langem für ein Grundeinkommen ein und habe das oben erwähnte Grundeinkommensmodell der Grünen federführend mit erarbeitet. Vor dem Parteitag im November 2007 wurde das Thema bei den Grünen intensiv und kontrovers diskutiert und auch über die Medien transportiert. Seitdem geht es vor allem darum, Schritte von der jetzigen Grundsicherung in Richtung Grundeinkommen zu erarbeiten. Diese Debatte wir allerdings eher parteiintern geführt.

In den Gremien des Bundestags fällt das Stichwort bedingungsloses Grundeinkommen nur sehr selten und in den einzelnen Fraktionen im Bundestag sind die Gegnerinnen und Gegner eines Grundeinkommens noch in der Mehrheit. Außerdem macht es aus meiner Sicht auch deswegen keinen Sinn eine parlamentarische Initiative zu einem umfassenden Grundeinkommen zu starten, da erst in der Bevölkerung eine breitere Diskussion geführt werden muss, ehe das Grundeinkommen mehrheitsfähig ist. Ich bin bestrebt diese Debatte, zum Beispiel durch Vorträge und Aufsätze, weiter voran zu treiben und kooperiere dazu auch mit Mitgliedern anderer Parteien. So habe ich z.B. mit Dieter Althaus einen Artikel im Rheinischen Merkur veröffentlicht, arbeite mit Katja Kipping im Netzwerk Grundeinkommen zusammen und war als Referent zum Thema Grundeinkommen sowohl auf Veranstaltungen der Friedrich-Ebert- wie der Konrad-Adenauer-Stiftung. Für letztere habe ich als Wissenschaftler vor meiner Zeit im Bundestag ein Gutachten vor allem zur Finanzierbarkeit des Vorschlags "Solidarisches Bürgergeld" von Dieter Althaus erstellt.

Ich bin überzeugt, dass in der Zukunft das Grundeinkommen bzw. Bürgergeld wieder intensiver diskutiert wird und dann auch von den Medien stärker beachtet wird. Bis dahin macht es auf der parlamentarischen Ebene aber zunächst Sinn mit zielgruppenspezifischen Grundeinkommensmodulen, wie einem existenzsichernden Kindergeld, einer Mindestrente, einem Bildungsgeld, einer negativen Einkommensteuer oder einer sanktionsfreien Grundsicherung die Weichen in Richtung Grundeinkommen zu stellen.

Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Strengmann-Kuhn

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