Frage an Agnieszka Brugger bezüglich Wirtschaft

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Agnieszka Brugger
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Josef R. S. •

Frage an Agnieszka Brugger von Josef R. S. bezüglich Wirtschaft

Staatsrechtler halten den geplanten dauerhaften Euro-Rettungsschirm (ESM) für verfassungswidrig!

Sehr geehrte Frau Brugger,

wie stellen Sie sich zum ESM-Vertrag?

Dieses Institut, das dadurch entsteht, verwaltet den 700 Milliarden Euro schweren permanenten europäische Rettungsschirm, und hebelt die tragenden Prinzipien von Demokratie und Republik aus.
Die Kontrolle durch ein unabhängiges Parlament und durch eine unabhängige Justiz,
das Volk als höchster Souverän,
die prinzipielle Rückholbarkeit aller politischen Entscheidungen
diese Möglichkeiten sind im ESM Vertrag nicht vorgesehen.

Können Sie das verantworten?

Mich interessiert Ihre Meinung dazu.

Mit freundlichen Grüßen

Josef R. Schuler

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Schuler,

herzlichen Dank für Ihre Frage und kritischen Überlegungen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM).

Die Maßnahmen, die zur Bewältigung der Eurokrise beschlossen wurden, sind schwerwiegende und schwierige Entscheidungen. Deswegen habe ich mir mein Abstimmungsverhalten nicht leicht gemacht.

In der Einrichtung des dauerhaften Rettungsschirms ESM sehen wir Grüne einen zentralen Baustein für die dauerhafte Stabilisierung der Euro-Zone. Wir halten es für unbedingt notwendig, ein stabiles und glaubwürdiges Instrument zu schaffen, mit dem Euro-Staaten geholfen werden kann, die sich in einer Notlage befinden und am Markt keine bezahlbaren Kredite mehr bekommen. Ohne ein solches Instrument kann die Schieflage eines einzelnen Mitgliedstaates schnell zu einem Problem der gesamten Euro-Zone werden. Zudem ist ein handlungsfähiger ESM auch ein wichtiges Zeichen gegenüber den Finanzmärkten.

Wir unterstützen den ESM, weil er ein zentrales Prinzip beinhaltet: Es gibt nur Hilfe gegen Auflagen. Diese Konditionierung bedeutet: Der ESM greift nur ein, wenn die hilfebedürftigen Mitgliedsstaaten vorab getroffene Vereinbarungen auch sicher einhalten. Ein Fass ohne Boden ist der ESM auch deswegen nicht, weil die Summe der deutschen Gewährleistungen klar begrenzt ist. Über diese Summe entscheidet der Deutsche Bundestag und sie kann nicht überschritten werden. Aus diesen Gründen habe ich der Einrichtung des ESM zugestimmt.

Auch mir ist es wichtig, dass der Bundestag nicht leichtfertig seine Kontroll- und Haushaltsrechte abgibt. Deswegen haben wir Grüne vor dem Bundesverfassungsgericht erstritten, dass es weitgehende Mitsprache- und Kontrollrechte für den Deutschen Bundestag gibt und somit auch die demokratische Kontrolle gewahrt bleibt.

Eine massive Einschränkung des parlamentarischen Haushaltsrechts und eine Verselbständigung des ESM kann ich jedoch nicht erkennen. Die Parlamentsbeteiligungsrechte werden in dem ESM-Finanzierungsgesetz (ESMFinG) geregelt. Eine Zustimmung des Plenums ist jeweils vorgesehen bei einer Veränderung des Stammkapitals, einer Veränderung des maximalen Darlehnsvolumens und einer Änderung der Finanzhilfeinstrumente. Außerdem ist eine zweimalige Zustimmung des Plenums vorgesehen, bevor ein Land unter den Rettungsschirm kommt.

Die erste Abstimmung ist erforderlich, um einem Mitgliedsstaat grundsätzlich Hilfe zu gewähren. Erst nach einem zustimmenden Votum des Bundestages darf der deutsche Vertreter im Gouverneursrat zustimmen, dem Mitgliedsstaat grundsätzlich Stabilitätshilfe zu gewähren. Die zweite Abstimmung ist erforderlich, um dem Land tatsächlich Hilfen zu gewähren. Dafür muss eine Einigung der Troika mit dem Mitgliedsstaat vorliegen. Zusätzlich ist die Zustimmung des Haushaltsausschuss erforderlich bei Änderungen an den Instrumenten innerhalb eines bestehendes Programms, bei Kapitalabrufen (von genehmigtem aber noch nicht einbezahlten Summen) und bei Annahme und Änderung von Durchführungsbestimmungen bei Finanzhilfeinstrumenten.

Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, Ihnen mit meiner Antwort nachvollziehbar zu machen, weshalb ich die Einrichtung des ESM mit den demokratischen Prinzipien und den parlamentarischen Rechten des Bundestages für vereinbar halte. Dennoch bin ich ebenfalls der Meinung, dass die Demokratie in Europa mit der zunehmenden Integration dringend gestärkt werden muss. Hierbei muss das Europäische Parlament in Zukunft eine zentrale Rolle spielen.

Die jetzigen Entscheidungen zu einer vertieften fiskalpolitischen Union sind das Ergebnis mangelender Integration in der Vergangenheit. Der Euro ist nicht nur ökonomisch in einer zunehmend globalisierten Weltwirtschaft von zentraler Bedeutung. Er ist auch ein täglich sichtbares Zeichen der erfolgreichen europäischen Integration und der Einbindung Deutschlands darin. Um die Erfolge der Integration zu bewahren, brauchen wir eine gemeinsame Währung. Die politischen und wirtschaftlichen Kosten eines Scheiterns des Euro wären gerade für Deutschland enorm. Deutschland profitiert wie kein anderes Land vom Binnenmarkt und braucht die Europäische Union. Schon allein die Einsparungen von Unternehmen, die sich vor der Errichtung der Eurozone gegen Wechselkursschwankungen absichern mussten, betragen mehrere Milliarden Euro. Der Weg aus der Eurokrise kostet Geld und Mut. Aber die Kosten des Nichthandelns wären größer. Viel zu eng ist inzwischen die wirtschaftliche Verflechtung zwischen den Mitgliedstaaten, als dass ein Herausbrechen mehrerer Staaten ohne massiven Schaden für alle Beteiligten möglich wäre.

Der Erhalt unserer gemeinsamen Währung ist nicht nur für den Wohlstand unserer Gesellschaft, sondern auch für den Zusammenhalt der Europäischen Union, die Frieden und Kooperation auf unserem Kontinent sichert, von großer Bedeutung. Ich bin der festen Überzeugung, dass Europa in Zukunft noch mehr zusammenwachsen muss. Es liegt jedoch an uns, wie diese verstärkte Integration ausgestaltet wird. Dabei setze ich mich für eine soziale, gerechte und demokratische Lösung ein.

Mit freundlichen Grüßen

Agnieszka Brugger

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