Frage an Andrea Bogner-Unden bezüglich Familie

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Andrea Bogner-Unden
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Barbara U. •

Frage an Andrea Bogner-Unden von Barbara U. bezüglich Familie

Sehr geehrte Frau Bogner- Unden
Wie die "Neue Westfälische" berichtet, haben inzwischen Gesundheitsämter in drei Bundesländern Eltern dazu aufgefordert, ihre Kinder im privaten Haushalt von den restlichen Familienmitgliedern zu trennen. Für den gesamten Zeitraum einer möglichen Quarantäne. Auch sehr junge Kinder sollen sich demnach getrennt vom Rest der Familie in ihrem eigenen Zimmer aufhalten.
In Bruchsal (Kreis Karlsruhe) war an einer Grundschule eine Lehrerin positiv auf das Coronavirus getestet worden. Darauf wurden im Juli zwei Klassen nach Hause geschickt - begleitet von einer Information der Stadt, in der bei Nichteinhaltung der "Isolation in sog. häuslicher Quarantäne" mit einer zwangsweisen Unterbringung des Kindes in einer geschlossenen Einrichtung gedroht wird. Das entsprechende Schreiben hat die Initiative "Familien in der Krise" veröffentlicht.
https://www.focus.de/familie/eltern/bewusst-missverstanden-bei-quarantaene-anordnung-gesundheitsamt-will-kinder-zuhause-von-eltern-isolieren_id_12290254.html
Können Sie mir erklären, wie diese Isolation innerhalb der Familie funktionieren soll? Wie sieht es mit § 6, Abs. 2 & 3 GG aus?
Welches Gesetz wird Ihrer Meinung nach angewendet?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Uduwerella,

haben Sie vielen Dank für Ihre Frage zu den Vorgängen rund um die Infektion einer Lehrkraft einer Schule in Bruchsal im Juli 2020.

Ich habe größtes Verständnis für die schwierige Situation in der sich Eltern befinden, wenn Kinder mit COVID-19 infiziert sind oder wenn sich Kinder in häusliche Isolierung begeben müssen, weil sie mit einer infizierten Person Kontakt hatten. Neben der Sorge um die Gesundheit des Kindes bringt eine derartige Ausnahmesituation nachvollziehbare Fragen und Probleme mit sich, die zu den Belastungen vieler Familien durch die aktuelle Gesamtsituation hinzukommen.

Bei dem von Ihnen angesprochenen Fall in Bruchsal wie auch in anderen Fällen, in denen Kinder beispielsweise in Kindertageseinrichtungen oder Schulen betroffen waren, gilt aber, dass die Nachverfolgung und Unterbrechung von Infektionsketten das wesentliche Mittel der Gesundheitsverwaltung ist, um das Infektionsgeschehen unter Kontrolle zu halten. Im Vergleich zu Maßnahmen, die sich an die Allgemeinheit richten, insbesondere zu Kontaktbeschränkungen sind sie ein milderes Mittel. Infektionsketten lassen sich nur dadurch wirksam unterbrechen, dass alle Personen, von denen eine Ansteckungsgefahr ausgehen kann, möglichst nicht in Kontakt mit anderen Personen kommen. Das gilt auch innerhalb einzelner Haushalte und Familien und es gilt auch für Kinder. Quarantäneverfügungen auch gegen Kinder sind daher ebenfalls notwendig, um das Infektionsgeschehen weiter im Griff zu behalten. Dies ist gerade auch mit Blick auf den vorgesehenen Normalbetrieb in Kindergärten und Schulen nach den Sommerferien wichtig. Selbstverständlich sollten die Maßnahmen, gerade wenn sie Kinder und Minderjährige betreffen, verhältnismäßig, kindgerecht und lebensnah sein. Klar ist aber auch: Wenn Familien die Quarantäne verweigern, muss es – im Sinne des Schutzes der Allgemeinheit – Zugriffsrechte geben - allerdings immer unter Berücksichtigung des Kinderschutzes. Kein Kind wird von seiner Familie getrennt.

Im Übrigen liegt es auch im Interesse der Eltern, dass sie ihr Kind in der zweifellos schwierigen Situation einer häuslichen Isolierung unterstützen können. Mit der Quarantäneverfügung des Kindes erhalten Eltern die Möglichkeit, sich von der Arbeit freistellen zu lassen, um sich um ihr Kind kümmern zu können. Eine bloße Empfehlung zur Kontaktreduzierung würde hierfür nicht ausreichen. Sollte es zu einem Verdienstausfall kommen, eröffnet die Quarantäneverfügung außerdem die Möglichkeit, eine Entschädigung nach § 56 Infektionsschutzgesetz zu erhalten.

Eine Maßnahme zur häuslichen Isolierung nach einem Kontakt zu infizierten Personen wird dabei durch die zuständigen Gesundheitsämter angeordnet. Die Landratsämter stellen dafür in der Regel entsprechende Musterverfügung zur Verfügung, die wiederum auf der jeweiligen Verordnung des Bundeslands bzw. auf dem Infektionsschutzgesetz basieren. So verhält es sich auch in diesem Fall.

Es ist dabei richtig, dass ein Passus in der Musterverfügung des Landratsamts Karlsruhe zur Einhaltung einer Quarantänepflicht lautet: „Für den Fall, dass Sie den Aufforderungen der obigen Anordnung nicht ausreichend nachkommen, können Sie zwangsweise in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung abgesondert werden.“ Dies wurde von den Eltern wohl dahingehend interpretiert, dass ihnen die Kinder weggenommen werden. Dass diese Interpretation falsch ist, hat das zuständige Landratsamt noch am selben Tag klargestellt und später auch den Kontext und Sinn der angesprochenen Passus ausführlich erläutert:

„In einer ordnungsrechtlichen Verfügung, die in einer Mehrzahl von Fällen Anwendung findet, können bestimmte individuelle Gegebenheiten nicht umfänglich berücksichtigt werden. Es ist allerdings klar, dass Isolationsmaßnahmen bei Kindern abhängig von Alter, Entwicklungsstand und auch den Bedürfnissen des einzelnen Kindes umgesetzt werden sollten. Dass die Reduzierung von Kontakten bei einem 16jährigen wesentlich weiter gehen kann als bei einem 6jährigen Kind, liegt auf der Hand. Es kommt vielmehr darauf an, die Verfügung situationsbezogen umzusetzen.

Dies geht auch aus der Verfügung selbst hervor. In den Hygieneregeln ist festgehalten, dass Kontakte zu anderen Personen „minimiert“ werden sollen. Im Haushalt sollte „nach Möglichkeit“ eine zeitliche und räumliche Trennung von anderen Haushaltsmitgliedern eingehalten werden. Kontakte innerhalb der Familie sind daher nicht vollständig untersagt. Das eröffnet den notwendigen Spielraum, um den Kontaktbedürfnissen von Kindern Rechnung zu tragen.

Hier sieht der Gesetzgeber gerade auch die Eltern in der Pflicht, wenn er in § 16 Abs. 5 des Infektionsschutzgesetzes bestimmt, dass die Personensorgeberechtigten für die Erfüllung der Verpflichtungen zu sorgen haben, wenn die Verfügung sich an einen nicht oder nur beschränkt Geschäftsfähigen richtet. Bei Unklarheiten helfen die Ordnungsbehörde oder das Gesundheitsamt gerne weiter.

In allen Fällen, in denen eine Quarantäneverfügung erlassen wird, nimmt das Gesundheitsamt telefonisch Kontakt mit den betroffenen Familien auf. Dabei wird der Sinn der häuslichen Isolierung erläutert und auf Fragen der Betroffenen eingegangen. In diesen Gesprächen werden gemeinsame Lösungen gesucht, wie in der individuellen häuslichen Situation sowohl dem Infektionsschutz als auch den sonstigen Bedürfnissen (kleine Kinder, zu pflegende Angehörige u. a. m.) Rechnung getragen werden kann.

Die angesprochene Formulierung "zwangsweise in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung abgesondert werden" entspricht dem Text des § 30 Abs. 2 Satz 2 Infektionsschutzgesetz. Wie der Kontext des § 30 IfSG deutlich macht, geht es hier um die Unterbringung in einem Krankenhaus oder einer anderen geeigneten Einrichtung. Eine solche Zwangsmaßnahme ist Extremfällen vorbehalten und müsste von einem Richter angeordnet werden. Das Landratsamt Karlsruhe hat von dieser Regelung im Falle von COVID-19 bisher keinen Gebrauch gemacht.

Wenn es notwendig werden sollte, ein Kind zum Schutz anderer zwangsweise zu isolieren, würde es zusammen mit einem oder beiden Elternteilen untergebracht werden. Diese Maßnahme wäre die ultima ratio, wenn die Eltern durch ihr Verhalten nicht dafür Sorge tragen, dass Außenstehende durch das Kind nicht angesteckt werden können.

Die Menschen erwarten zu Recht, dass eine Behörde auch in solchen Extremfällen handlungsfähig und in der Lage ist, die notwendigen Maßnahmen durchzusetzen und die Gesundheit anderer zu schützen.“

Wie Sie sehen können, war nie an eine Trennung des Kindes von den Eltern gedacht. Für den Fall, dass Familien die Umsetzung einer Quarantäneverfügung verweigern sollten, braucht es aber entsprechende Zugriffsmöglichkeiten, um die Allgemeinheit zu schützen. Diese wären aber immer die ultima ratio. Und selbst dann würde der Kinderschutz noch beachtet werden.

Ich hoffe ich konnte Ihnen Ihre Frage zu Ihrer Zufriedenheit beantworten.

Herzliche Grüße

Andrea Bogner-Unden

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