Sind die massiven Versuche privatwirtschaftlicher Beeinflussung der Finanzgesetzgebung ohne nennenswerte gemeinnützige Gegengewichte demokratiegefährdend?
Sehr geehrte Frau Bas, nach Angaben der Bürgerbewegung Finanzwende kommen die zehn ressourcenstärksten Konzerne und Verbände aus dem Finanzbereich auf ein jährliches Lobby-Budget von mehr als 42 Millionen Euro.
Um auf dieses massive Ungleichgewicht aufmerksam zu machen, ist eine an Sie adressierte Petition auf den Weg gebracht worden.
Sehr geehrter Herr G.,
vielen Dank für Ihre Frage. Da Sie sich auf meine Aufgaben als Bundestagspräsidentin beziehen, antworte ich Ihnen nicht in meiner Funktion als Abgeordnete, sondern als Vertreterin des Verfassungsorgans Deutscher Bundestag und der Gesamtheit seiner Mitglieder sowie dank der Zuarbeit der Bundestagsverwaltung:
Die Initiative von „Bürgerbewegung Finanzwende e.V.", auf die Sie hier aufmerksam machen, ist mir bekannt. Zu den Gründungsmitgliedern des Vereins zählen viele namhafte Köpfe - nicht zuletzt aus der Politik. Beispielsweise war der derzeitige Vorstand, Dr. Gerhard Schick, über zehn Jahre lang als Mitglied der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Abgeordneter des Deutschen Bundestages. Insofern gehe ich davon aus, dass den Initiatoren bekannt ist, dass ich als Parlamentspräsidentin nicht die Möglichkeit habe, Entscheidungen der Abgeordneten vorweg zu nehmen. Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages verpflichtet mich, die Verhandlungen „gerecht und unparteiisch" zu leiten. Deshalb wahre ich in meinem Staatsamt weitestgehend Zurückhaltung, mir die Bewertungen oder die daraus abgeleiteten Forderungen von Initiativen zu eigen zu machen, die sich an das Parlament in seiner Gesamtheit richten.
Grundsätzlich unterstütze ich aber das Ziel, durch mehr Transparenz unsere Demokratie stark und lebendig zu halten. Das gilt insbesondere für die Arbeit des Deutschen Bundestages und seiner Abgeordneten. Deshalb teile ich das Anliegen, das auch die derzeitige Regierungskoalition in ihrem Koalitionsvertrag zum Ausdruck bringt:
„Uns leiten die Prinzipien offenen Regierungshandelns - Transparenz, Partizipation und Zusammenarbeit. Wir werden das Lobbyregistergesetz nachschärfen, Kontakte zu Ministerien ab Referentenebene einbeziehen und den Kreis der eintragungspflichtigen Interessenvertretungen grundrechtsschonend und differenziert erweitern. Für Gesetzentwürfe der Bundesregierung und aus dem Bundestag werden wir Einflüsse Dritter im Rahmen der Vorbereitung von Gesetzesvorhaben und bei der Erstellung von Gesetzentwürfen umfassend offenlegen (sog. Fußabdruck). Die Regelung findet ihre Grenzen in der Freiheit des Mandats" (S.9.).
Wichtig ist mir die Feststellung, dass die Vertretung unterschiedlicher Interessen gegenüber dem Parlament zu den legitimen Grundlagen des demokratischen Prozesses gehört. Zugleich muss Politik auch die Interessen jener Teile der Gesellschaft im Blick behalten, denen die wirtschaftlichen oder organisatorischen Mittel fehlen, um sich politische Aufmerksamkeit zu verschaffen bzw. ihre Forderungen in den Gesetzgebungsprozess einzubringen.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass Sie selbstverständlich die Möglichkeit haben, auch auf direktem Weg mit dem Deutschen Bundestag, seinen Abgeordneten oder mir als seiner Präsidentin Kontakt aufzunehmen. Zum Beispiel über: https://www.bundestag.de.
Mit freundlichen Grüßen
Bärbel Bas