Frage an Barbara Hendricks bezüglich Bundestag

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Barbara Hendricks
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Frage von Ernst H. •

Frage an Barbara Hendricks von Ernst H. bezüglich Bundestag

Sehr geehrte Frau Dr. Hendricks,
der Bundestag wird wegen unseres Wahlrechtes immer größer und damit teurer. Meines Erachtens ist das mit eine Angelegenheit, die unsere Demokratie unterwandert und weniger denkende Menschen zu den Randgruppen drängt. Warum finden Sie keine Mehrheit unter demokratischen Kollegen, die diesen Unsinn gemäß den Vorschlägen eindämmt?
Danke für Ihre Antwort
Ernst Hammes

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Hammes,

ich danke Ihnen herzlich für Ihre Frage zur Wahlrechtsreform.

Der stetig wachsende Bundestag ist in der Tat ein Problem, das uns schon seit einigen Jahren beschäftigt. Während das Bundeswahlgesetz eigentlich 598 Abgeordnete vorsieht, ist der Bundestag wegen zahlreicher Überhang- und Ausgleichsmandate mittlerweile auf 709 Abgeordnete angewachsen – ein Trend, der Prognosen zufolge bei den kommenden Bundestagswahlen weiter anhalten wird. Nach dem geltenden Bundestagswahlrecht ist von 750 bis 800 Sitzen auszugehen.
Die immer weiter steigende Anzahl von Abgeordneten sorgt für zahlreiche Schwierigkeiten: Die Arbeitsfähigkeit des Parlaments stößt an ihre Grenzen, die Kosten steigen, die Räumlichkeiten (sowohl im Plenarsaal als auch in den zugehörigen Bürogebäuden) werden knapp.

Für die SPD-Bundestagsfraktion ist klar, dass der Bundestag auch weiterhin handlungsfähig bleiben muss und setzt sich daher für eine Reform des Wahlrechts ein. Unter folgendem Link finden Sie den aktuellen Beschluss der SPD-Fraktion, dem Sie die Grundzüge unseres Konzepts entnehmen können.
https://www.spdfraktion.de/system/files/documents/beschluss-wahlrecht-spd-20200303.pdf

Ich möchte aber auch Ihre eigentliche Frage danach, warum die Mehrheitsfindung so schwierig ist und zahlreiche Einigungsversuche bislang gescheitert sind, beantworten.
Jede Wahlrechtsreform, egal wie sie konkret ausgestaltet ist, wird für die eine oder andere Partei unweigerlich Nachteile mit sich bringen. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Vorschläge, die eine schlichte Begrenzung der Abgeordnetenzahl (etwa bei 630 Mandaten, wie es der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert vorgeschlagen hat) vorsieht, benachteiligt all jene Parteien, die bislang stärker von Ausgleichs- und Überhangmandaten profitiert haben. Dies sind in erster Linie die sogenannten „kleinen“ Parteien. Hinzu kommen verfassungsrechtliche Bedenken, da in einem solchen Fall die Gleichwertigkeit jeder Wählerstimme nicht mehr gewährleistet ist.

Der Vorschlag, die Anzahl der Wahlkreise zu reduzieren, wird wiederum von der Union abgelehnt, weil CDU und CSU überdurchschnittlich viele Direktmandate gewinnen. Auch hier gibt es darüber hinaus Bedenken: wird die Anzahl der Wahlkreise verringert, führt dies in der Konsequenz dazu, dass die verbleibenden Wahlkreise weiter wachsen und dadurch die Nähe des/der Abgeordneten zu den Bürgerinnen und Bürgern leidet. Insbesondere in den dünnbesiedelten Teilen Deutschlands, zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern, gibt es jetzt schon Wahlkreise, deren Fläche über 6.000 Quadratkilometer umfasst – würden solche Wahlkreise noch größer werden, wäre ein direkter Bürgerkontakt kaum noch zu bewerkstelligen.

Wie Sie sehen bringt jede potentielle Lösung Probleme mit sich – es gibt keinen Königsweg, der von einer breiten Mehrheit getragen würde und keine verfassungsrechtlichen oder praktischen Schwierigkeiten mit sich bringt. Sicherlich kann man kritisieren, dass bislang keine der beiden Seiten bereit ist, zugunsten des übergeordneten Ziels Nachteile in Kauf zu nehmen. Ich persönlich halte es jedoch für nachvollziehbar, dass die einzelnen Bundestagsfraktionen davor zurückscheuen, eine Reform zu unterstützen, die sie verglichen zum Status Quo langfristig und nachhaltig benachteiligen würde. Ohne dass beide Seiten – die „großen“ Parteien, insbesondere die CDU/CSU, wie auch die „kleinen“ Parteien – einen Schritt aufeinander zugehen und sich bereit erklären, einen Teil der Nachteile in Kauf zu nehmen, halte ich eine Einigung für schwierig. Aktuell hat die CDU/CSU-Fraktion als Einzige noch keinen Vorschlag vorgelegt, da die CSU vor dem Hintergrund ihres Partikularinteresses dies verhindert. Genau hier hakt es also.

Ich hoffe, dass ich hiermit Ihre Frage beantworten konnte.

Mit freundlichen Grüßen

Barbara Hendricks