Frage an Cem Özdemir bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

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Cem Özdemir
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Frage von Kai F. •

Frage an Cem Özdemir von Kai F. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Özdemir,

auf der Internetseite der Tagesschau von heute http://www.tagesschau.de/inland/afghanistan1260.html werden sie mit folgender Aussage zitiert:

"Die gesamte Kommunikationsstrategie dieser Bundesregierung ist ein absolutes Desaster", kritisierte er weiter. Eine Entschuldigung bei den Opfern des Luftangriffs und deren Angehörigen sei "dringend nötig".

Sollte sich die deutsche Bundesregierung für das Töten von Gegnern entschuldigen?

Warum glauben Sie den Quellen, die von zivilen Opfern sprechen und nicht denen die keine solche Opfer sehen?

Wie erklären Sie es sich, dass Nachts gegen 1 Uhr (Zeitpunkt des Bombenangriffs) Kinder und Jugendliche in einem Kampfgebiet mitten in der Wildnis unterwegs gewesen sein sollen und das obwohl seit Stunden Kampfflugzeuge über dem Gebiet unterwegs waren?

Welche alternativen Maßnahmen wären nach Ihrer Ansicht angemessen gewesen um den Taliban die Fahrzeuge wieder wegzunehmen?

Macht Sie der Tod der Menschen nur betroffen, weil ein deutscher Soldat den Einsatzbefehl gegeben hat?

Wenn ja, warum macht Sie gerade dieser Fakt betroffen?

Ist die ganze Diskussion nicht dem Wahlkampf geschuldet? Dieser Eindruck entsteht bei jedem, der auch nur annähernd die Reaktionen auf US-Amerikanische Bombenabwürfe in der Vergangenheit verfolgt hat.

Oder waren Sie da auch so betroffen, aber die Medien haben es einfach nicht so gut transportiert?

MfG

Kai Frank

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Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Frank,

vielen Dank für Ihre besorgten Fragen.

Die Bundeswehr ist seit 2001 basierend auf einem UN-Mandat in Afghanistan. Sie soll dazu beitragen, ein sicheres Umfeld für zivile Helfer zu schaffen und den Schutz der Bevölkerung zu gewährleisten. Im Rahmen der internationalen Schutztruppe (ISAF) unterstützt sie die afghanischen Sicherheitskräfte bei der Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols gegen militante Kräfte. Die Bundeswehr hat in ihrem Verantwortungsbereich militärisch lange Zeit äußerst besonnen agiert. Das haben wir begrüßt und unterstützt.

Diesem defensiven Ansatz steht der Befehl vom 4. September zum Luftangriff auf die gestohlenen Tanklastwagen bei Kunduz gegenüber. Dabei wurden nicht nur bewaffnete Gegner, sondern auch Zivilisten getötet und verletzt. Das ist eine menschliche Tragödie. Wir bedauern das. Damit hat ausgerechnet die Bundesregierung die so dringend herbeigesehnten restriktiveren Reglungen der USA für Luftangriffe konterkariert.

Besonders schwer wiegt aber die Tatsache, dass die Bundesregierung - allen voran der Verteidigungsminister - im Widerspruch zu allen anderen Berichten tagelang abgestritten hat, dass es überhaupt zu Opfern unter der Zivilbevölkerung gekommen ist. Vor diesem Hintergrund habe ich mich in der Tagesschau zu dem Verhalten der Bundesregierung geäußert und die Bundesregierung dazu aufgefordert, sich bei den Opfern zu entschuldigen. Erst nach massivem Druck, gerade von Bündnis 90/Die Grünen, hat sich die Bundeskanzlerin erstmals in dieser Legislaturperiode zu einer Regierungserklärung zum Afghanistan-Einsatz bereit erklärt. Das war überfällig.

Inzwischen ist nicht mehr zu bestreiten, dass es zu etlichen zivilen Opfern gekommen ist. Die von Präsident Karsai eingesetzte Untersuchungskommission spricht gar von 30 getöteten Zivilisten. Ich gehe davon aus, dass ein Bombenabwurf auf die feststeckenden Tanklaster nicht erfolgt wäre, wenn die Beteiligten gewusst hätten, dass sich so viele Zivilisten vor Ort befinden.

Wie es zu der Entscheidung und dem Tod von Zivilisten kommen konnte, ob der deutsche Kommandeur die Einsatzrichtlinien beachtet hat und ob es Alternativen gab, muss weiter aufgeklärt werden. Alles deutet darauf hin, dass er ein falsches Lagebild hatte. Die beiden Tanklaster steckten seit den Abendstunden des 03.09. im Flussbett fest. Nach Presseberichten mobilisierten die Taliban in der überwiegend pashtunischen Nachbarschaft Menschen, um die Tanklaster zu entladen und wieder frei zu bekommen. Die Frage, warum die Bundeswehr keine Bodentruppen zu dem wenige Kilometer vom Bundeswehrlager entfernten Ort entsandt hat, wurde von der Bundesregierung im Bundestag bis heute noch nicht schlüssig beantwortet.

Meine öffentliche Kritik richtet sich gegen Verteidigungsminister Jung und seinen politischen Umgang mit den Geschehnissen. Auch stellt der Luftangriff ein massives Abweichen vom bisherigen Agieren der Bundeswehr dar. Im Übrigen dient es auch dem Schutz der Bundeswehr, wenn sich der verantwortliche Minister im Falle von Zivilopfern sofort entschuldigt und Entschädigungen anbietet.

Wie man dies anders macht, hat der Oberkommandierende von ISAF, Stanley McChrystal, bewiesen. Nach dem Vorfall hat er sich sofort an den Ort des Geschehens begeben. Er hat mit den Opfern gesprochen, er hat sich entschuldigt, er hat sich an die Öffentlichkeit gewandt und er hat eine Untersuchung des Vorfalls eingeleitet. Wir haben in der Vergangenheit das unverhältnismäßige militärische Vorgehen der USA und die hohen Zivilopfer im Rahmen von Luftangriffen immer kritisiert. Entsprechend erleichtert waren wir, als die US-Regierung endlich eine neue taktische Einsatzrichtlinie erlassen hat, die den Schutz der Zivilbevölkerung in den Vordergrund stellt.

Wir Grünen wenden uns gegen einen Sofortabzug aus Afghanistan. Wir erwarten, dass die Bundesregierung alles dafür tut, dass die Bundeswehr den Einsatz schnellstmöglich, erfolgreich und ohne Verluste beenden kann. Voraussetzung eines erfolgreichen Einsatzes ist es, dass wir die breite Unterstützung der Afghaninnen und Afghanen haben. Daher sind zivile Opfer unbedingt zu vermeiden.

Mit freundlichen Grüßen

Cem Özdemir

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