Frage an Cem Özdemir bezüglich Bildung und Erziehung

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Cem Özdemir
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Anne-Katrin K. •

Frage an Cem Özdemir von Anne-Katrin K. bezüglich Bildung und Erziehung

Sehr geehrter Herr Özdemir,

ein Modell, in dem alle Schüler gleich ihrer Herkunft und Fähigkeiten gefördert werden sollen finde ich grundsätzlich aus Gründen der Gerechtigkeit und der Bildungschancen gut und sinnvoll. Mir fehlen jedoch Angaben darüber, wie das ganze konkret aussehen soll. Natürlich ist eine Förderung von Kindern mit geringeren Bildungschancen wichtig. Genauso wichtig finde ich aber, Kinder zu fördern, die gute und sehr gute Vorraussetzungen mit bringen. Derzeit ist die nötige Förderung - Differenzierung, etc. - kaum möglich, da die Klassen u.a. zu groß sind. Es ist einem Lehrer alleine mit über 30 Schülern nicht möglich, jedes Kind individuell zu fördern.
Wie sehen Ihre Pläne zur Umsetzung des gemeinsamen Unterrichts aus?
Wie sehen sie die Situation hörgeschädigter oder blinder Kinder? Diese Behinderungen fordern eine sehr spezielle Förderung. Die Grundvoraussetzungen sind an "normalen" Schulen selten gegeben. Für die Lehrer ist hierfür ein gesondertes Studium unabdingbar und auch die räumlichen Möglichkeiten (Lärmschutz, technische Geräte,...) fehlen an allgemeinbildenden Schulen. Mich würde interessieren, wie hierzu Ihre Pläne im Hinblick auf die Inklusion sind.

Vielen Dank für Ihre Anwort!
Mit freundlichen Grüßen, A-K Kück

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Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Kück,

wir freuen uns, dass Sie unsere Idee vom längeren gemeinsamen Lernen unterstützen. Zu Ihren Fragen:

Wie das ganz konkret aussehen soll, entscheiden nach unserer Vorstellung die Schulen vor Ort, gemeinsam mit Kindern und Eltern.

Dabei kommen auch die Kinder und Jugendlichen nicht zu kurz, die, wie Sie es beschreiben, „gute und sehr gute Voraussetzungen“ mitbringen. Denn für uns Grüne ist eines der fünf zentralen Merkmale einer guten Schule, dass sie auch eine „Schule der Leistung“ ist. Denn wir setzen uns ein für eine Schule, die jedes Kind und jeden Jugendlichen entsprechend ihren Lernvoraussetzungen und Talenten so fördert, dass sich alle ihren individuellen Möglichkeiten gemäß optimal entwickeln können. Diese Schule verbindet hohe Leistungsanforderungen mit Lernfreundlichkeit. Es gibt keine „Verliererinnen und Verlierer“, sondern jedes Kind erfährt Unterstützung durch optimistische Erwachsene, die ihm zutrauen, erwartete Leistung auch zu erbringen. Damit ist sie eine Schule, die das individuelle Lernen planvoll unterstützt und klare Programme für besondere Begabungen wie auch für Lernschwächen hat - eine Schule also, in der Leistung Freude macht.

Sie sprechen das Thema der Inklusion an. Das inklusive Gemeinwesen setzt auf Veränderungen in der Haltung der Menschen zueinander, die das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderungen zur Normalität werden lassen. Das Thema Inklusion muss deshalb Querschnittsaufgabe im Bund, in den Ländern wie auch in den Kommunen sein und unter Berücksichtigung des „Disability-Mainstreaming“ zu einem festen Bestandteil der Strategien der nachhaltigen Entwicklung werden. Die Schulen spielen dabei in jeder Hinsicht eine zentrale Rolle.

Dieses wichtige Thema ist in der bildungspolitischen Debatte angekommen. Und nicht zuletzt die von Deutschland unterzeichnete UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verpflichtet uns dazu. Wir wissen, dass das deutsche Schulwesen von diesem Anspruch noch weit entfernt ist.

Wir wissen, dass Inklusion Geld kostet. Die Finanzierung der Entwicklung des inklusiven Gemeinwesens kann und darf nicht allein Aufgabe und Pflichtleistung der Kommunen sein. Wir wollen eine gemeinsame Verantwortung der staatlichen Institutionen in Bund, Ländern und Gemeinden. Wie Sie wahrscheinlich wissen, sind wir Grüne in diesem Punkt sehr ehrlich: Wir wollen einem Teil der Bevölkerung mit unseren Vorhaben in der Steuerpolitik einiges abverlangen. Aber im Gegenzug verpflichten wir uns, gemeinsam mit Ländern und Kommunen unsere Kitas und Schulen zu begeisternden Lern- und Lebensorten zu machen, an denen jedes Kind mit seinen Talenten und seinem Potential angenommen wird und sich bestmöglich bilden kann.

Wie genau die Inklusion vor Ort umgesetzt werden kann, können und wollen wir von Bundesebene aus nicht vorgeben. Wir wollen aber von Bundesebene aus das Unsere dazu beitragen, dass Kitas und Schulen gemischte pädagogische und sozialpädagogische Teams aufbauen können, sich öffnen für Menschen mit Behinderungen und mit der Verschiedenheit aller Schülerinnen und Schüler konstruktiv umgehen. Dafür sehen wir zwei Wege: bisherige Sonder- und Förderschulen werden perspektivisch entbehrlich oder sie öffnen sich für alle Kinder. Kitas sind schon heute Vorreiter der Inklusion. Vielerorts ist es normal, dass Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam lernen und leben. Wir wollen, dass diese Möglichkeit künftig allen Kindern, auch den Schulkindern, offensteht.

Mit freundlichen Grüßen,
Cem Özdemir

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