Frage an Cem Özdemir bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

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Cem Özdemir
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Frage von Idris C. •

Frage an Cem Özdemir von Idris C. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Herr Özdemir ,

wo liegt für Sie der Unterschied zwischen Freiheitskampf und Terrorismus? Bei den letzten Übergriffen der PKK wurden Soldaten eines Staates angegriffen, der seit 84 Jahren die Rechte der Kurden mit Füßen tritt und keineswegs bereit ist Zugeständnisse zu machen (durch Druck der EU werden Gesetze erlassen, die das Papier nicht wert sind, auf dem sie stehen). Wer auf dieser Welt, dürfte ihrer Meinung nach eine Waffe in die Hand nehmen, um für ein menschenwürdiges Leben zu kämpfen, wenn nicht die Kurden?

Soll man sich einfach damit abfinden? Auf politischer Ebene konnten die Kurden ihre Anliegen nicht vertreten.
Die 20 kurdischen Abgeordneten im türkischen Parlament, die dort seit kurzem sitzen (wie lange?) würde man doch am liebsten wieder in die Gefängnisse stecken, wo schon tausende Kurden ermordet und gefoltert worden sind.

Sind Sie glücklich sich Türke (mit deutschem Pass) nennen zu dürfen? Nach ihren Kommentaren der letzten Tage kommt es mir ganz so vor.

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Sehr geehrter Herr Can,

lassen Sie mich zunächst auf Ihre Frage eingehen, ob ich denn - in Anspielung auf einen Satz Atatürks ("Glücklich, wer sich Türke nennen kann") - glücklich sei, mich "Türke (mit deutschem Pass) nennen zu dürfen".

In meiner integrationspol. Arbeit habe ich mich immer gegen diese - nicht nur meiner Ansicht nach - diskrimierende Bezeichnung für Migranten ausgesprochen. Wieso sollte eine Person, die deutscher Staatsbürger ist, auf ihre ethnische Herkunft reduziert werden? Ich nenne es Republikanismus, wenn Einwanderer und ihre Nachkommen als (potenzielle) Staatsbürgerinnen und Staatsbürger wahrgenommen werden - und nicht als Türken, Kurden, Muslime, Afrikaner etc. Wenn Sie so wollen, heißt es nicht "Türke mit deutschem Pass", sondern "Deutscher türkischer Herkunft" - das ist weit mehr als bloße politische Korrektheit. Schließlich möchten Sie ja auch nicht aufgrund ihres nicht-deutsch klingenden Namens in gebrochenem Deutsch gefragt werden "Dir gehen gut?", um danach zu antworten: "Ja, Herr Müller, tatsächlich, mein Wohlbefinden lässt heute nichts zu wünschen übrig". Migranten müssen dieser "Kanakisierung" nicht auch noch Vorschub leisten.

Und nun zu Ihrer anderen Frage. Über den Unterschied und die Gemeinsamkeit von Freiheitskampf und Terrorismus haben sich schon viele den Kopf zerbrochen - und sind doch nicht zu einer Antwort gekommen, die alle zufrieden stellen würde. Wen die einen als Freiheitskämpfer oder Revolutionär bezeichnen, nennen andere wiederum Terroristen. Ich plädiere jedenfalls vehement für eine politische Lösung der Kurdenfrage, alles andere ist zum Scheitern verurteilt. Sie können sich auf meiner Website ( http://www.cem-ozdemir.de/tuerkei-eu ) gerne über meine Position in dieser Frage kundig machen. Ich verweise auch auf einen Antrag ("Kein Einmarsch in den Nordirak – Politische Lösungen sind notwendig"), den meine Partei auf ihrer Bundesdelegiertenkonferenz am Wochenende angenommen hat und an dessen Formulierung ich beteiligt war ( http://www.gruene.de/cms/partei/rubrik/11/11877.beschluesse.htm ).

Sie müssen sich damit abfinden, dass ich in dieser Frage keine einseitigen Positionen vertrete. Ich werde auch weiterhin die PKK kritisieren und sie als terroristisch einstufen, wenn Sie versucht, ihre politischen Ziele mit Waffengewalt durchzusetzen. Ich werde auch weiterhin die türkischen (Ultra-)Nationalisten kritisieren, die gegen eine demokratische und rechtsstaatliche Türkei agitieren. Ich werde auch weiterhin die Regierung in Ankara kritisieren, wenn sie nicht entschieden daran arbeitet, Religionsfreiheit und Minderheitenrechte zu gewährleisten, was bislang bei weitem noch nicht in ausreichendem Maße der Fall ist. Und ich werde auch weiterhin die Kräfte in Politik und Zivilgesellschaft unterstützen, die sich für eine Demokratisierung einsetzen und die Vision eines multiethnischen Landes teilen, in dem die Menschen in erster Linie als gleiche Staatsbürger (unterschiedlicher Herkunft) wahrgenommen werden. Hier geht es schlichtweg um eine Frage: Entwickelt sich die Türkei zu einer reifen und rechtsstaatlichen Demokratie mit starker Zivilgesellschaft - und wer könnte dafür verantwortlich sein, dass sie stolpert oder sich selbst Steine in den Weg legt?

Noch eine letzte Bemerkung: Sie schreiben von "20 kurdischen Abgeordneten im türkischen Parlament". Hier liegt ein eklatantes Missverständnis vor: im türkischen Parlament sitzen weit mehr kurdischstämmige Abgeordnete. Die Regierungspartei AKP hat die letzte Parlamentswahl nicht zuletzt im Südosten (also in den kurdisch geprägten Gebieten) gewonnen. Auf der Liste der AKP sind etliche kurdischstämmige Abgeordnete ins Parlament gezogen, die gemeinsam mit der pro-kurdischen DTP eine wichtige Rolle bei der Lösung des Konflikts spielen können. Die PKK hat auf kurdischer Seite jedenfalls kein Monopol.

Mit freundlichen Grüßen
Cem Özdemir

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