Frage an Cem Özdemir bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

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Cem Özdemir
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Frage von Peter G. •

Frage an Cem Özdemir von Peter G. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Özdemir,

ich wüsste gerne Ihren Standpunkt zum Fall Armeniergenozid? Meinen Sie, dass dieser stattgefunden hat oder wie die gängige Meinung in der Türkei ist, erfunden durch die Armenierdiaspora im Ausland? Und wie
stehen sie zur Ausserung des Herrn Prof. Dr. Yusuf Halaçoglu der meinte die Sunnitischen Kurden wären assimilierte Türkenen und die Alevitischen Kurden assimilierte Armenier und damit der Rechtfertigung
seinerseits das es keinen Genozid an den Armeniern gegeben hat, sondern die 1,5 millionen armenier einfach zu Alevitischen Kurden geworden wären?( Herr Halacoglu ist Vorsitzender des Türk Tarih Kurumu also des
türkischen Geschichtsgesellschaft)
Finden sie nicht das dies schwachsinnig ist und Verdrehung der Tatsachen und das die Türkei sich endlich den
Tatsachen stellen muss und die Verantwortung übernehmen muss für seine Taten?

Quelle zu den Ausserungen von Prof.Halacoglu:
http://www.hurriyet.com.tr/gundem/7144122.asp?gid=48&a=700723
untere abschnitt des akuellen Teils:
http://de.wikipedia.org/wiki/T%C3%BCrk_Tarih_Kurumu#Aktuelles
Sie können auch die youtube aufnahmen sehen oder gehen einfach auf die rechtmässige Seite des Instituts Türkische Geschichte!

Ich bin auch der Meinung, dass Herr Özdemir die türkischen Nachrichten gut verfolgt und frage mich, wie es ihm entgangen ist aber die Quellen sind auf türkisch und deutsch die in Wikipedia!

Mfg
Götzenburg

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Sehr geehrter Herr Götzenburg,

ich bin der Ansicht, dass eine armenisch-türkische Historikerkommission ein guter Weg für eine (von beiden Seiten anerkannte) Aufarbeitung der Geschehnisse von 1915 und die Normalisierung der armenisch-türkischen Beziehungen wäre. Dieser Vorschlag stammt ursprünglich vom damaligen armenischen Präsidenten Ter-Petrosjan, der eine Verständigung mit der Türkei wollte und dies in seinen jüngsten Erklärungen immer noch anstrebt. Die Türkei hat den Vorschlag in den frühen 90er-Jahren brüsk abgelehnt. Jetzt hat der türkische Premier Erdogan diesen Ansatz wieder aufgegriffen, aber nun knüpft Armenien die Kommission an Bedingungen.

Was den Begriff Völkermord angeht, so teile ich die weise Ansicht meines armenischstämmigen Freundes Etyen Mahcupyan (nach der Ermordung von Hrant Dink dessen Nachfolger als Herausgeber der türkisch-armenischen Wochenzeitung AGOS) : "Die Türkei soll anerkennen, dass es ein Völkermord war und Armenien soll aufhören, darauf zu beharren, dass die Türkei den Völkermord anerkennt."

Die Teilnahme von Historikern wie Yusuf Halaço?lu wäre zwar wünschenswert, da er quasi die "offizielle" türkische Geschichtsschreibung repräsentiert. Aber in solch einer Historikerkommission müssten selbstverständlich auch andere Stimmen präsent sein. Entscheidend ist, dass diese Stimmen in einen Dialog treten.

Ich bin überzeugt, dass sich die offizielle Haltung der Türkei zu diesem Teil ihrer Geschichte in den kommenden Jahren verändern wird. Die Türkei hat auch ihre Haltung zu den antigriechischen Pogromen 1955 revidiert. Es wird auch eine Neubewertung von 1915 geben - angestoßen vielleicht nicht primär von der Regierung, sondern durch die Zivilgesellschaft. Genau diese Akteure müssen wir stärken und dabei spielt die EU-Beitrittsperspektive für die Türkei eine wichtige Rolle.

Ausführlichere Beiträge von mir zu diesem Thema können Sie auf meiner Website finden: http://www.cem-ozdemir.de/tuerkei-eu (bitte geben Sie dort in der Suchzeile "Armenien" ein).
Dort finden Sie auch einen Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung aus dem Jahr 2005 mit dem Titel -Erschreckende Kälte - Die Türkei muß über ihren Umgang mit den Armeniern nachdenken?. Darin geht es auch um die Ausbildung einer Erinnerungskultur in der Türkei.

Mit freundlichen Grüßen

Cem Özdemir

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