Frage an Daniela De Ridder bezüglich Verkehr

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Daniela De Ridder
SPD
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Frage von Holger N. •

Frage an Daniela De Ridder von Holger N. bezüglich Verkehr

Sehr geehrte Frau de Ridder, wie stehen Sie zur Abstimmung ueber das Infrastruktur (Autobahn-Privatisierung)?

Ich bin sehr erstaunt, das van 193 SPD-Fraktionsmitgliedern in einer Probeabstimmung am 30.5.2017 nur 23 gegen die Grundgesetzaenderung gestimmt haben (bei 4 Enthaltungen). Die Quelle hierzu ist die WeAct Campagne von Gerlinder Schermer, E-Mail von heute, 31.5.2017 um 16:39.

Das ist keine deutliche Stimme fuer den dauerhaften Erhalt oeffentlicher Autobahnen. Das im gegenwaertigen Antrag die Schlupfloecher fuer Public Private Partnerships zu gross sind, wurde von namhaften Quellen berichtet: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2017/kw13-pa-haushalt-fernstrassen/498114
http://www.fr.de/politik/meinung/gastbeitraege/oeffentlich-private-partnerschaften-autobahn-privatisierung-durch-die-hintertuer-a-1286670
http://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft/autobahn-privatisierung-spd-taeuscht-die-eigenen-genossen-26972860?originalReferrer=&originalReferrer= )

Es erschliesst sich also nicht, warum die SPD bei keinen ersichtlichen Vorteilen dem zustimmen sollte. Koennen Sie ihren Standpunkt hierzu einmal darlegen und ob sie diesem Antrag nicht zustimmen werden?

Danke im Voraus, Holger Neumann

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SPD

Sehr geehrter Herr Neumann,

haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage bezüglich der Privatisierung von Autobahnen. Die ich Ihnen gerne wie folgt beantworten möchte. Die SPD hat sich immer gegen eine Privatisierung der deutschen Autobahnen und Bundesstraßen gestellt und diese Position auch im Gesetzgebungsverfahren zur Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen durchgesetzt, das jüngst im Deutschen Bundestag abschließend beraten wurde.

Ausgangspunkt dieses Gesetzgebungsverfahrens war eine Einigung zwischen allen 16 Landesregierungen und der Bundesregierung im Oktober und Dezember 2016 über ein Paket von Maßnahmen, die zum Teil Änderungen des Grundgesetzes erfordern, zum Teil einfachgesetzlich geregelt werden. Kernpunkt des Pakets ist die Neuregelung des Länderfinanzausgleichs ab dem Jahr 2020. In dem Paket enthalten ist auch eine Lockerung des Kooperationsverbots im Bildungsbereich, die es dem Bund ermöglicht, Geld für Bildungsinfrastruktur in finanzschwachen Kommunen zur Verfügung zu stellen, um beispielsweise Schulgebäude zu sanieren und zu modernisieren. Diese ist mir als Bildungspolitikerin besonders wichtig: 3,5 Mrd. Euro stehen dafür zur Verfügung. Das Geld geht vom Bund über die Länder an die Kommunen, die dann vor Ort entscheiden, wie es investiert werden soll.

Ein weiteres Element des Paketes sind die Gesetzentwürfe, mit denen Verwaltung und Bau von Autobahnen und sonstige Bundesfernstraßen in Deutschland neu geordnet werden. Innerhalb der Bundesregierung ist es der SPD gelungen, eine doppelte Privatisierungsschranke im Gesetzentwurf der Regierung zur Änderung des Grundgesetzes durchzusetzen. Im Grundgesetz selbst wird daher in Artikel 90 geregelt werden, dass nicht nur die Bundesfernstraßen selbst im unveräußerlichen, 100-prozentigen Eigentum des Bundes stehen, sondern auch die Infrastrukturgesellschaft, die für deren Planung, Bau und Betrieb zuständig sein wird. CDU-Finanzminister Schäuble und CSU-Verkehrsminister Dobrindt wären bereit gewesen, 49 Prozent dieser Gesellschaft an private Investoren zu verkaufen. Das meine Fraktion schon verhinderte, noch bevor das Gesetzgebungsverfahren den Bundestag erreichte! In intensiven und schwierigen Verhandlungen mit CDU/CSU haben wir als SPD-Bundestagsfraktion nun zwei weitere Grundgesetz-Änderungen durchgesetzt.

1) Eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung Dritter an der Infrastrukturgesellschaft und deren Tochtergesellschaften wird in Artikel 90 Absatz 2 des Grundgesetzes ausgeschlossen. Damit ist klar: Die Gesellschaft bleibt zu 100 Prozent staatlich, null Prozent privat.

2) Ausgeschlossen wird auch eine funktionale Privatisierung durch die Übertragung eigener Aufgaben der Gesellschaft an Dritte, z.B. durch sogenannte Teilnetz-ÖPP. In Artikel 90 Absatz 2 des Grundgesetzes wird dazu der Satz eingefügt: „Eine Beteiligung Privater im Rahmen von Öffentlich-Privaten Partnerschaften ist ausgeschlossen für Streckennetze, die das gesamte Bundesautobahnnetz oder das gesamte Netz sonstiger Bundesfernstraßen in einem Land oder wesentliche Teile davon umfassen.“ Einfachgesetzlich wird geregelt, dass Öffentlich-Private-Partnerschaften (ÖPP) nur auf der Ebene von Einzelprojekten bis zu einer maximalen Länge von 100 Kilometern erfolgen, die nicht räumlich miteinander verbunden sein dürfen.

Mit diesen Grundgesetz-Änderungen und vielen einfachgesetzlichen Änderungen stellen wir sicher, dass auch theoretisch mögliche Hintertüren für eine Privatisierung fest verschlossen sind. Vieles, was bislang rechtlich möglich gewesen wäre bei der Einbeziehung privater Betreiber und institutioneller Investoren, ist jetzt erstmals rechtlich ausgeschlossen. Manche Kritiker und manche Kampagne haben absurderweise gerade uns als SPD bezichtigt, mit den Grundgesetz-Änderungen die Türen für eine Privatisierung zu öffnen. Das Gegenteil ist richtig: Wir schließen Türen, die bislang offen standen.

Der von der Bundesregierung ursprünglich vorgelegte Entwurf hat den verkehrspolitischen Anforderungen jedoch zum einen nicht ausreichend Rechnung getragen, zum anderen gravierende Mängel hinsichtlich Privatisierung, Struktur, Beteiligung der Politik und Mitarbeiterrechten aufgewiesen. Er war daher nicht zustimmungsfähig. Deshalb haben wir in langen Verhandlungen wesentliche Änderungen durchgesetzt.

Der häufigste Vorwurf gegen den vorliegenden Vorschlag zur Bundesfernstraßengesellschaft ist der, er ermögliche Privatisierungen durch die Hintertür. Festgemacht wird dies an der Rechtsform der Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Es gibt aber genug Praxisbeispiele – zum Beispiel die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft (VIFG) oder die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) – die beweisen, dass eine GmbH in öffentlichem Besitz nicht gewinnorientiert sein muss. Hierfür galt es die notwendigen Schranken dauerhaft zu setzen. Die von der SPD verhandelten Begrenzungen für die Privatisierung sind und waren daher für mich eine notwendige Voraussetzung für meine Zustimmung. Im Ergebnis haben wir als SPD die doppelte Privatisierungsschranke des Regierungsentwurfs (Bund ist 100prozentiger Eigentümer erstens der Autobahnen und zweitens der Autobahngesellschaft) mit weiteren Privatisierungsschranken verstärkt.

Neben den beiden Grundgesetz-Änderungen verweise ich auf folgende Punkte, die in der öffentlichen Diskussion immer wieder auftauchen und häufig falsch dargestellt werden:

‒ Die Gesellschaft wird nicht kreditfähig. Damit ist die Gefahr einer Aufnahme von privatem Kapital zu hohen Zinsen gebannt. Um effizient wirtschaften und „atmen“ zu können, kann die Gesellschaft aber Liquiditätshilfen (zinslose Darlehen) aus dem Bundeshaushalt erhalten, wie andere Bundesgesellschaften im Übrigen auch.
‒ Eine Übertragung von sog. Altschulden auf die Gesellschaft wird ausgeschlossen.
‒ Das wirtschaftliche Eigentum an den Bundesautobahnen geht nicht an die Gesellschaft über, sondern bleibt beim Bund. Die Übertragung und die Überlassung von Nießbrauch-Rechten und anderen Rechten werden ausgeschlossen.
‒ Mautgläubiger der LKW-Maut und der PKW-Maut bleibt der Bund. Die Option, dass die Gesellschaft das Mautaufkommen direkt vereinnahmen kann, wurde gestrichen.
‒ Die neue Gesellschaft wird als GmbH errichtet und damit als juristische Person des privaten Rechts. Es ist aber grob irreführend, „privatrechtlich“ mit „Privatisierung“ gleichzusetzen. Deutschland organisiert zum Beispiel einen Großteil seiner internationalen Entwicklungshilfe über die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die ebenfalls eine GmbH ist. Trotzdem kann wohl noch niemand ernsthaft behaupten, Deutschland habe seine Entwicklungshilfe privatisiert.

Genauso irreführend ist die Behauptung, durch die Zulässigkeit einzelner ÖPP-Projekte werde die Privatisierung eben doch noch ermöglicht. Erstens: Eine öffentlich-private Partnerschaft ist nicht das gleiche wie Privatisierung. Aber selbst dann, gilt zweitens: ÖPP sind immer nur dann erlaubt, wenn sie wirtschaftlicher sind als die herkömmliche Beschaffung (Staat bzw. Gesellschaft bauen und betreiben selbst) – was bei einer effizient arbeitenden neuen Gesellschaft seltener der Fall sein wird als in den jetzigen Strukturen (weswegen beispielsweise die österreichische Autobahngesellschaft ASFINAG kein einziges ÖPP-Projekt macht, obwohl sie könnte). Drittens und aus meiner Sicht am Wichtigsten: ÖPP bleibt auf Einzelprojekte beschränkt, und durch die von uns durchgesetzte Grundgesetz-Änderung ist es dauerhaft verboten, ein ÖPP-Projekte an das andere zu setzen, bis irgendwann wesentliche Teile des Autobahnnetzes oder des Bundesstraßennetzes in einem Bundesland als ÖPP betrieben werden.

Zu guter Letzt war es uns als SPD-Fraktion unerlässlich, dass die Reform nicht zu weniger demokratischer Kontrolle und Einflussnahme führt, sondern dass die Informations- und Steuerungsrechte des Bundestages gewahrt bleiben. So bedürfen der Gesellschaftsvertrag der GmbH, sowie wesentliche Änderungen der vorherigen Zustimmung durch den Haushaltsausschuss und den Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages. Mitglieder des Deutschen Bundestages werden im Aufsichtsrat der Gesellschaft vertreten sein. Der fünfjährige Finanzierungs- und Realisierungsplan der Gesellschaft bedarf der vorherigen Zustimmung durch den Haushalts- und Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages. Eine unabhängige externe Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung der Gesellschaft sowie möglicher Töchter wird sichergestellt, indem entsprechende Prüfrechte des Bundesrechnungshofes verankert werden. Aus der ursprünglich geplanten staatsfernen Gesellschaft ist somit eine staatliche Gesellschaft geworden, die demokratischer Kontrolle unterliegt.

In der Summe ergibt sich damit ein Gesetz, dem ich guten Gewissens zugestimmt habe. Die im Regierungsentwurf angelegte Reform und teilweise Beendigung der Auftragsverwaltung für die Autobahnen ist sinnvoll. Die bundeseigene Verwaltung verspricht zügigere Baumaßnahmen und einen effizienteren Mitteleinsatz. Der Bund ist künftig durch die zentrale Steuerung weniger abhängig von der Kooperationsbereitschaft und der Leistungsfähigkeit von Landesstraßenbauverwaltungen, um seine Prioritätensetzungen bei den Verkehrsinvestitionen umzusetzen. Ferner wird der Lebenszyklus einer Bundesautobahn in den Fokus gerückt.

Entscheidend sind aber die Verbesserungen, die wir im parlamentarischen Verfahren erreicht haben.
(1) Eine Privatisierung der Autobahnen und Bundesstraßen findet nicht statt; mit dem Gesetz errichten wir Schranken, wo es vorher keine gab, auch im Grundgesetz.
(2) Wir haben die berechtigten Interessen der Beschäftigten geschützt und schaffen eine leistungsfähige neue Organisation, die ein attraktiver Arbeitgeber wird.
(3) Der Einfluss des demokratisch gewählten Parlaments auf die Verkehrsinvestitionen bleibt gewahrt.

Unser verkehrspolitisches Ziel ist es, die neue Gesellschaft so zu gestalten, dass sie als gemeinwohlorientierte Einrichtung für ein effizientes Autobahn-Netz in Deutschland sorgt, das allen Menschen in unserem Land zu Gute kommt.

Bitte haben Sie keine Scheu, sich bei weiteren Fragen an mich zu wenden oder mich bei einer meiner Veranstaltungen oder bei meiner Sprechstunde im Wahlkreis zu kontaktieren.

Mit freundlichen Grüßen

Ihre

Dr. Daniela De Ridder, MdB

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