Frage an Elisabeth Winkelmeier-Becker bezüglich Recht

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Elisabeth Winkelmeier-Becker
CDU
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Frage von Jürgen T. •

Frage an Elisabeth Winkelmeier-Becker von Jürgen T. bezüglich Recht

Sehr geehrte Fr. Winkelmeier-Becker,

anlässlich einer Wahlveranstaltung im Vorfeld der letzten Bundestagswahl hatte ich Sie im Zusammenhang mit dem Luftsicherheitsgesetz mit dem Vorwurf konfrontiert, dass Sie zu gewissen Positionen Ihrer Partei keine eigene Meinung hätten sondern lediglich die offizielle Parteimeinung vertreten würden. Verständlicherweise reagierten Sie darauf entsprechend heftig und wiesen darauf hin, dass zu dem Zeitpunkt, zu dem im Parlament ein Thema behandelt wird, Sie sehr wohl eine eigene Meinung entwickeln und auch vertreten würden. Ich könne allerdings nicht erwarten, dass Sie zu allen politischen Themen zu jeder Zeit eine persönliche Stellungnahme abgeben würden. Ich verstehe und respektiere dieses.

Nun ist seit einigen Wochen das Luftsicherheitsgesetz erneut in der Diskussion und hierbei speziell der umstrittene Abschussparagraph. Was ist Ihre persönliche Meinung zu diesem Thema? Sollte der präventive Abschuss von Flugzeugen erlaubt sein? Wie bewerten Sie den Begriff "Quasi-Verteidigungsfall"? Würden Sie einer entsprechenden Grundgesetzänderung zustimmen?

In Ihrer Antwort spezifizieren Sie bitte ausdrücklich, ob es sich dabei um Ihre persönliche Position oder lediglich um die Weitergabe einer offiziellen Parteimeinung handelt.

Mit freundlichen Grüßen
J. Tantau

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CDU

Sehr geehrter Herr Tantau,

Ihre Anfrage beantworte ich wie folgt:

In verfassungsrechtlicher Hinsicht ist festzustellen, dass nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine Regelung wie die des § 14 Abs. 3 Luftsicherheitsgesetz gegen Art. 1 und Art. 2 Abs.2 Satz 1 GG verstößt mit der Folge, dass eine gesetzliche Ermächtigung zum Abschuss eines Renegade-Flugzeugs, in dem sich neben Terroristen auch unbeteiligte Personen befinden, nicht verfassungsgemäß wäre.

Die von Ihnen gewählte Formulierung „Quasi-Verteidigungsfall“ möchte ich in diesem Zusammenhang nicht benutzen, weil der Begriff „Verteidigungsfall“ ein terminus technicus des Art. 115 a ist und die Tatbestandsvoraussetzung des Inkraftsetzens der Notstandsverfassung mit geänderten Gesetzgebungskompetenzen usw. darstellt. Darum geht es hier aber nicht. Hier geht es um die Voraussetzung für den legalen Streitkräfteeinsatz nach Art. 87 a Abs 2, d.h. wenn es „zur Verteidigung „ geschieht.

Die von Ihnen angesprochene Argumentation soll die Anwendung völkerrechtlicher Grundsätze ermöglichen, nach denen im Fall eines Krieges zwischen Staaten anerkannt ist, dass unter der Voraussetzung des Gebotes möglichster Schonung unschuldigen Lebens der Zivilbevölkerung sowie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Zweifel die Inkaufnahme der Tötung Unschuldiger rechtmäßig sein kann. Dem steht das Recht auf Leben aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und die Menschenwürdegarantie aus Art.1 GG dann nicht entgegen, da ansonsten in letzter Konsequenz ein Verteidigungskrieg nicht möglich wäre. In dieser Richtung sind wohl auch Äußerungen aus SPD-Kreisen in Bezug auf die Situation des 11. September zu verstehen. Ob diese rechtliche Argumentation vor dem Bundesverfassungsgericht standhält, ist aber zweifelhaft, da dieses die diskutierten Fälle offenbar als „Streitkräfteeinsatz nichtkriegerischer Art“ einordnet (Rdnr. 130).

Aus dem Urteil ergibt sich des Weiteren, dass eine Verfassungsänderung bereits erforderlich ist, um den sicher unproblematischen Fall des Abschusses eines unbemannten oder nur mit Terroristen besetzen Flugzeugs zu ermöglichen. Eine Ergänzung von Art 35 GG zu diesem Zweck sehe ich grds. positiv.

Bei der vorgeschlagenen Ergänzung von Art. 87 a Abs. 2 GG, der den Einsatz der Streitkräfte bei Angriffen auf die Grundlagen des Gemeinwesens mit dem Ausmaß kriegerischer Gewaltanwendung im Inneren ermöglichen soll, bin ich skeptisch, ob damit eine Regelung wie § 14 Abs. 3 Luftsicherheitsgesetz ermöglicht würde. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits dargelegt, dass es bei § 14 Abs. 3 Luftsicherheitsgesetz nicht nur um die Abwehr von Angriffen geht, die auf die Beseitigung des Gemeinwesens und die Vernichtung der staatlichen Rechts- und Freiheitsordnung gerichtet sind. Bei einem vorstellbaren Angriff auf ein voll besetztes Fußballstadion ließen sich diese Voraussetzungen z.B. kaum bejahen.

Klar ist allerdings, dass in einem eindeutigen Fall – z. B wie beim Anflug des 2. Flugzeugs auf das WTC – die Abschussentscheidung und damit Tötung unbeteiligter Menschen straffrei sein kann, wenn die tatbestandliche und rechtswidrige Tötung zum Schutz vieler anderer Menschen zumindest zu entschuldigen ist. Hier ergeben sich zumindest für die einzelnen handelnden Personen Optionen zum Eingriff, allerdings mit der Maßgabe, persönlich die volle Verantwortung zu tragen. Mir erscheint jedoch die Vorstellung inakzeptabel, an Stelle des verfassungsgemäß handelnden Staates, der in einem vorgeschriebenen Abstimmungsverfahren sachkundig und politisch verantwortliche Stellen in die Entscheidungsfindung einbezieht, solle doch der einzelne Amtsträger mit Waffengewalt handeln und die Konsequenzen tragen. Dies wäre für jeden Soldaten und Polizisten eine Zumutung und zugleich der Weg aus dem Rechtsstaat. Wir benötigen an dieser Stelle verfassungsrechtlich einwandfreie rechtliche Grundlagen, die für die nötige Rechtssicherheit sorgen.

Zu Recht weist das Bundesverfassungsgericht außerdem darauf hin, dass die Schwierigkeiten zumeist im tatsächlichen Bereich liegen, nämlich bei der zutreffenden Einschätzung der Situation in Bezug auf die Anwesenheit unbeteiligter Personen und vor allem in der Gefahrenprognose. Diese Schwierigkeiten lassen sich auch durch Schaffung einer verfassungskonformen Rechtsgrundlage nicht ausräumen; sie sprechen aber m.E. auch nicht gegen die Schaffung einer solchen Rechtsgrundlage.

In politischer Hinsicht habe ich durchaus Verständnis für die Überlegungen des Bundesinnenministers, im Interesse der handelnden Personen, vor allem der Soldaten, für eindeutige Fälle eine verfassungskonforme Rechtsgrundlage zu schaffen. Die momentane Rechtsunsicherheit hinsichtlich des Eingriffs mit militärischen Mitteln darf nicht dazu führen, dass sich Terroristen für Ziele in Deutschland besonders gute Chancen ausrechnen. Die Rechtsgrundlage muss sich allerdings an den vom Bundesverfassungsgericht dargestellten Grundsätzen messen lassen.
Ein offizieller Gesetzesentwurf liegt derzeit noch nicht vor. Auch die fraktionsinterne Meinungsbildung befindet sich noch am Anfang. Insoweit behalte ich mir eine abschließende Meinungsbildung selbstverständlich vor.

Mit freundlichen Grüßen,

Elisabeth Winkelmeier-Becker

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