Frage an Ernst Dieter Rossmann bezüglich Entwicklungspolitik

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Ernst Dieter Rossmann
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Frage von Nora D. •

Frage an Ernst Dieter Rossmann von Nora D. bezüglich Entwicklungspolitik

Sehr geehrter Herr Rossmann,

mit wachsendem Entsetzen verfolge ich seit Tagen die Bilder aus dem ehemaligen Flüchtlingslager Moria auf Lesbos in Griechenland. Exponentiell zu meinem Entsetzen wächst dabei auch meine Verzweiflung über die Untätigkeit der deutschen Politik und insbesondere die der SPD (in der ich nun seit fast einem Jahr Mitglied bin, aber leider inzwischen ein sehr desillusioniertes).
Ich frage mich daher, wie Ihr Evakuierung-Plan für die ehemaligen "Insassen" von Moria aussieht, warum auch Sie persönlich im März gegen die Aufnahme besonders schutzbedürftiger Geflüchteter gestimmt haben (https://www.abgeordnetenwatch.de/bundestag/19/abstimmungen/aufnahme-besonders-schutzbeduerftigter-gefluechteter-aus-den-griechischen) und warum es die SPD nicht schafft, gemeinsam mit den Kommunen und Ländern, die bereit sind, Geflüchtete aufzunehmen, diese Menschen, die unter unwürdigsten Bedingungen in der EU leben, unverzüglich nach Deutschland zu holen.

Vielen Dank für Ihre ehrliche Antwort und herzliche Grüße aus dem Kreis Pinneberg,
Nora Dornis

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Antwort von
SPD

Liebe Frau Dornis,

ich möchte mit diesem Schreiben noch einmal zurückkommen auf Ihre Zuschrift vom 14. September über abgeordnetenwatch.de. Sie hatten mir damals persönlich geschrieben und Ihr Schreiben unterschied sich auch von den Standard-Zuschriften, die ich zahlreich bekommen habe und auf die ich mit einem allgemeinen Antwortbrief geantwortet habe. Auf Ihr individuelles Schreiben möchte ich auch mit einer persönlichen Argumentation eingehen und bitte deshalb um Verständnis, dass diese Antwort etwas Zeit in Anspruch genommen hat. Die Unterlagen, die ich zur allgemeinen Information verschickt habe lasse ich Ihnen gerne auch nochmals postalisch zukommen und biete auch gerne an, das Thema im SPD-Ortsverein persönlich zu diskutieren.

1. Natürlich ist die Lage in Griechenland auf Lesbos, aber auch in den anderen Flüchtlingslagern, überhaupt in den Flüchtlingslagern auch in anderen Ländern nach wie vor sehr, sehr kritisch. Viele Menschen weisen ja darauf hin, auch sehr kundige, dass die Türkei durchaus, was die Unterbringung und den Umgang mit den vielen Geflüchteten aus Syrien etc. angeht, keine negative Rolle spielt, wohl aber in Bezug auf die politische Nutzung als wirkliches Druckmittel. Deshalb habe ich das als sehr wichtig empfunden, dass auch sozialdemokratische Kolleginnen und Kollegen, die mit diesen Fragen mehr befasst sind als ich als Bildungs-, Wissenschafts- und Forschungspolitiker, direkt nach Griechenland hingefahren sind, wie der Kollege Lars Castellucci, unser Sprecher in diesen Fragen, oder auch die Kollegin Hilde Mattheis, die sich hier seit Langem sehr engagiert. Ich nehme es so wahr, dass dieses Thema wieder bei uns in der Bundespolitik in der Diskussion aufkommen wird, weil wir natürlich ganz anders als konservative Parteien, von Rechtsextremen und anderen ganz zu schweigen, hier sehr wohl den humanitären Auftrag sehen, um den wir uns immer wieder neu Gedanken zu machen haben und den wir auch in praktische Hilfe umzusetzen haben.

2. Dass es sich bei den Menschen, die aus Moria und aus anderen Lagern gekommen sind, um anerkannte Asylbewerber und Familien handelt, finde ich allerseits sehr gut, weil es überhaupt nicht zu erklären ist, dass diese Familien noch in Griechenland sind und nicht in europäische Zielländer, entsprechend einer solidarischen Verteilung, weiterfahren dürfen. Auf der anderen Seite fand ich es erschreckend, dass für diese Familien bisher keine Lösung gefunden worden ist. Hier geht Deutschland jetzt in einem begrenzten Maße in Vorlage und tut dies ziemlich alleine in Europa. Ich persönlich glaube, dass wir hier neben der unmittelbaren Hilfe für dringend schutzbedürftige Kinder und unbegleitete Minderjährige oder Schwersterkrankte vor allen Dingen weiter Angebote über die Verabredung hinaus machen müssen. Ich nehme es so wahr, dass die SPD sich dafür sehr einsetzt.

3. Ein großes Problem ist, dass bei dem wichtigen zweiten Ansatz der Hilfen, nämlich, dass auf Griechenland oder in anderen Erstaufnahmeländern die Aufnahmeunterkünfte wirklich menschenwürdig sind, zu wenig getan werden kann. Diese Länder setzen ja eher auf Vernachlässigung, Abschreckung und Nichtannahme von Hilfsangeboten. Das finde ich sehr dramatisch, aber hier wird man nur mit politischer Hilfe weiterkommen können, denn natürlich sind die jeweiligen Staaten souverän und wollen diese Souveränität einmal dadurch belegen, dass sie sich gegen die Unterstützung im Asylbewerberverfahren sträuben und zum Zweiten, dass sie ganz konkrete Hilfe in Form von Geld, Geräten, Unterkünften, etc. offensichtlich eher verweigern, als schnell zu den Menschen in Not durchzulassen. Nur was aber tun, als immer wieder politisch Gespräche zu führen, drauf hinzuwirken und das ganze Instrumentarium einer menschenrechtsorientierten Politik in dieser Frage einzusetzen. Gerade, dass auch die Begleitung und Unterstützung bei den Asylverfahren abgelehnt worden ist, hat mich besonders betroffen gemacht.

4. Es bleibt für mich mit entscheidend, dass wir vor allen Dingen noch mehr tun in Bezug auf die Bekämpfung von Fluchtursachen. Und das heißt Wirtschafts- und Arbeitsplatzentwicklung in den Herkunftsregionen dieser Menschen, neben all den Versuchen, weitere Flüchtlingsbewegungen aufgrund von Krieg und Gewalt im verteidigungs-, außen- und entwicklungspolitischen Sinne zu bekämpfen. Speziell in Bezug auf die Unterstützung von Entwicklung in Herkunftsregionen haben sich gerade SPD-Kollegen wie Sascha Raabe, unser Sprecher für Entwicklungspolitik, zusammen mit Heidi Wieczorek-Zeul, unseren früheren Ministerin, seit Jahren dafür eingesetzt, dass hier wirklich etwas zusätzlich geschieht und es hat eine massive Verstärkung der Finanzmittel gegeben. In Deutschland liegen wir mittlerweile fast an der Weltspitze, was den Förderbeitrag für solche internationalen Organisationen, aber auch für die direkte zwischenstaatliche Hilfe in entsprechenden Regionen angeht.

Wenn ich dies so umfassend geschrieben habe, dann, weil mir noch einmal wichtig ist, dass ich dort persönlich keine Möglichkeit sehe, von den politischen Verhältnissen in Deutschland abzusehen. Aktuell hätten wir im Bundestag dafür keine Mehrheit. CDU/CSU und AFD und FDP würden dem nicht zustimmen und SPD, Grüne und Linkspartei sind nun einmal in der Minderheit. Ein Bruch der Koalition, der mit einer einseitigen Abstimmung der SPD verbunden wäre, würde sicherlich nicht helfen, zumal ja nicht klar ist, ob und wann es dann überhaupt weiter ein exekutives, hilfreiches Handeln geben könnte. Deshalb bleibt uns in der SPD nur die beharrliche und nach meinem Dafürhalten richtig angesetzte Einwirkung auf den Koalitionspartner. Für die einen ist dieses zu wenig, für die anderen ist dies immerhin ein Schritt, der deutlich mehr Menschen eine Hilfe ist, als ursprünglich gedacht war. Ich kann nur sagen, dass wir alle in diesem Dilemma leben, als Bürger, wir als Parteien, wir als Abgeordnete solche Fragen eben nicht nur nach dem besten Wissen und Wollen mitentscheiden, sondern dort auch die jeweiligen Macht- und Mehrheitsverhältnisse, wie sie durch Wahlen entschieden sind, mit respektieren. Wir werden uns sicherlich als SPD sehr eingehend mit dem befassen, was jetzt auf der europäischen Ebene von der EU-Kommission vorgestellt worden ist, wo einige positive Elemente und andere kritische Komponenten dabei sind. Aber selbst dort ist nicht sicher, ob diese Beschlüsse tatsächlich zustande kommen, in dem in diesen Fragen ja sehr gespaltenen und nicht sehr solidarischen Europa, oder ob es am Ende nicht doch wieder mehr nationale Lösungen geben wird.

Das hört sich zwar alles sehr politisch und damit vielleicht desillusionierend an, aber ich glaube, dass wir hier mit Beharrlichkeit immer wieder Wege im Interesse der Menschen finden müssen und die SPD hier ihren Teil mit dazu beiträgt. Ich will es jedenfalls als Abgeordneter, so lange ich weiter im Bundestag bin, gerne tun und bin hier gerne bereit, mich nicht nur mit der unmittelbaren Not in den Flüchtlingslagern und in der globalen Asyl- und Fluchtbewegung auseinanderzusetzen, sondern eben besonders intensiv mit den Menschen, die als anerkannte Asylbewerber oder als Flüchtlinge gemäß der Genfer Flüchtlingskommission bei uns in Deutschland sind, und die wir darin unterstützen müssen, dass sie hier bei uns gut aufgenommen und gut behandelt werden und dass ihre Kinder und Jugendlichen auch eine Integrationsperspektive mitbekommen. So war ich kürzlich wieder bei den Jugendmigrationsdiensten in Elmshorn, die einem sehr anschaulich machen konnten, was im Bereich von Bildung, beruflicher Ausbildung und Sprachförderung wichtig ist. An diesen Baustellen sehe ich vor allen Dingen meine Aufgaben und die nehme ich entsprechend engagiert und interessiert mit wahr.

Nochmals Danke für Ihre persönliche Zuschrift und deshalb auch mein längerer Gedankenaustausch zu Ihrem Anliegen. Ich verbleibe mit freundlichen Grüßen und hoffe, dass wir am Ende für die betroffenen Menschen Schritt für Schritt etwas mit erreichen können, so schwierig es ist, manchmal nicht sehr große, sondern eher nur kleine Schritte gehen zu können.

Ernst Dieter Rossmann